Künftig sollen auch in Städten Nutzpflanzen angebaut werden. Ein Projekt zeigt, dass auch die Bürger davon profitieren. Und dass die Wertschätzung für Lebensmittel steigt.

Wissen/Gesundheit: Werner Ludwig (lud)

Stuttgart - Achim Hütten ist mit der Ernte zufrieden: „Wir haben dieses Jahr Hopfen für 25 bis 30 Hektoliter Bier geerntet“, sagte er. Hütten ist kein Landwirt, sondern Oberbürgermeister von Andernach. Die 30 000-Einwohner-Stadt in Rheinland-Pfalz ist für ihr Projekt „Essbare Stadt“ schon mehrfach ausgezeichnet worden. Das Prinzip: Auf einem Teil der öffentlichen Grünflächen wachsen seit 2010 statt Zierpflanzen Obst und Gemüse – und jeder, der vorbeikommt, darf ernten. Hinzu kommen 14 Hektar am Stadtrand, auf denen Nutzpflanzen angebaut und zudem Schweine und Hühner gehalten werden.

 

Um den Anbau kümmern sich vor allem Langzeitarbeitslose und Migranten. „Die saßen vorher auf der Parkbank“, berichtete der Oberbürgermeister. So trage urbane Landwirtschaft auch zum sozialen Zusammenhalt bei, sagte Hütten auf dem Städtekongress in Stuttgart, bei dem es auch um das Thema urbane Landwirtschaft ging. Für wichtig hält er auch, dass die Bürger Nutzpflanzen wieder aus eigener Anschauung kennenlernen. Begeistert erzählte Hütten von den 101 Tomatensorten, die im ersten Jahr angebaut wurden. Und natürlich liefert die urbane Landwirtschaft auch einen Beitrag zur Versorgung der Bürger – ohne lange Transporte. Allerdings seien 350 Eier am Tag für 30 000 Einwohner etwas wenig, räumt der OB ein.

Verein kämpft gegen Lebensmittelverschwendung

Auch Frank Bowinkelmann, Journalist und Vorsitzender des Vereins foodsharing, kann dem Urban Gardening sehr viel Gutes abgewinnen. „Wer sieht, wie viel Arbeit in einer Tomate oder Möhre steckt, wird sie nicht gleich wegwerfen, wenn sie mal eine braune Stelle hat“, sagte er. Das trage zu einer höheren Wertschätzung für Lebensmittel bei. Sein Verein kämpft gegen die allgegenwärtige Lebensmittelverschwendung. Wer etwa den Kühlschrank voll hat und in Urlaub fahren will, kann seine übrig gebliebenen Nahrungsmittel in einen virtuellen Essenskorb im Internet legen. Registrierte Interessenten können die Sachen dann abholen. Eine andere Möglichkeit, Essen an andere weiterzugeben, sind öffentliche Kühlschränke.

Philipp Stierand, Autor und Blogger bei speiseräume.de, beobachtet, dass vielerorts das bürgerliche Engagement für das Thema Ernährung zunimmt. So gebe es in einigen Städten – etwa in Berlin oder Köln – Ernährungsräte, in denen Bürger, Landwirte und Politiker an einem Tisch sitzen, um über die Möglichkeiten der Produktion und Verarbeitung vor Ort zu sprechen. Allerdings seien andere Länder wie die USA, Großbritannien oder die Niederlande hier deutlich weiter. Der Veränderungsbedarf sei groß. „Die Art und Weise, wie unsere Städte mit Lebensmitteln versorgt werden, belastet die Umwelt in Deutschland und weltweit“, heißt es auf speiseräume.de.

Urban Gardening könnte in unserer schnelllebigen Zeit auch zur Entschleunigung beitragen, meinte der Kommunalpolitiker Hütten. „Die Arbeit im Garten erdet die Menschen. Vielleicht ist es das, was die Gesellschaft in Zukunft braucht.“