Richter am Landgericht werten die Attacke des Ultra-Mitglieds mit einer Schranke auf einen Polizisten nicht als versuchten Totschlag, sondern als gefährliche Körperverletzung. Der 18-Jährige muss nicht hinter Gitter, wenn er sich zwei Jahre lang als straffrei bewährt.

Stuttgart - Sichtbar erleichtert atmet der 18-Jährige durch: Für seinen gefährlichen Wurf mit einer Schranke auf einen Polizisten ist der frühere Ultra-Fan des VfB Stuttgart gerade zu zwei Jahren Jugendstrafe auf Bewährung verurteilt worden. „Grade noch“, sagt die Vorsitzende Richterin Cornelie Eßlinger-Graf am Donnerstag in der Urteilsbegründung vor dem Stuttgarter Landgericht und macht deutlich, dass durchaus auch eine höhere Strafe denkbar gewesen wäre.

 

Die Kammer legt dem jungen Mann unter anderem gefährliche Körperverletzung und Sachbeschädigung zur Last. Nicht überzeugt sei sie jedoch, dass er den Tod des Polizisten billigend in Kauf genommen habe, sagt die Richterin. Als versuchter Totschlag, den die S´aatsanwaltschaft angeklagt hatte, wertet das Gericht die Tat nicht. Die Tat des 18-Jährigen beim VfB-Heimspiel am 6. März sei dennoch „hochgefährlich und hochgewalttätig“ gewesen, die ganze Situation „beispiellos brutal“, so die Vorsitzende.

„Unkritisch und unreflektiert“ habe sich der Angeklagte den Werten der Ultras angepasst, die sich über die Rechtsordnung stellten. Am Tattag schließt er sich einem Pulk von 50 bis 80 gewaltbereiten Fans an, nach eigenen Angaben, um die Stadt vor gegnerischen Fans zu „verteidigen“. Nahe des Bad Cannstatter Bahnhofs kreisen sie zwei Polizisten ein, treten und bewerfen sie. Unter anderem fliegen schwere Steine. Der Verurteilte schleudert eine abgerissene Schranke in Richtung eines Beamten, wie er vor Gericht selbst einräumt.

Zum Glück dreht sich der 1,35 Meter lange und rund 1,4 Kilo schwere Schrankenbalken in der Luft, trifft den Polizisten mit der Breitseite und verletzt ihn nur leicht. „Wir hätten über vieles nicht diskutiert, wenn er tot gewesen wäre oder im Rollstuhl sitzen würde“, macht die Richterin deutlich. Schon so seien die psychologischen Folgen für die Polizisten schwerwiegend gewesen. Aufgeflogen ist der junge Mann, weil er sich in der Pause des Fußballspiels die Hände bandagierte und dabei von einer Kamera gefilmt wurde.

Die Vorsitzende Richterin spricht von einem „Augenblicksversagen mit Ansage“, denn er habe um die Haltung der Ultras gewusst und einen solchen Exzess durchaus kommen sehen können. Die Polizisten hätten sich in vorbildlicher Weise defensiv verhalten, macht Eßlinger-Graf deutlich. Doch der Mob habe sich dadurch nur umso besser gefühlt und dies ausgelebt. „Das sind schon sehr primitive Motive.“

Die Staatsanwaltschaft hat vier Jahre Jugendstrafe für den Angeklagten gefordert, die Verteidiger forderten eine Bewährungsstrafe. Die Richterin sagt bei der Urteilsbegründung, letztlich sprächen für den Angeklagten vor allem sein schonungsloses Geständnis, seine bis dahin blütenreine Weste, die fünfeinhalb Monate Untersuchungshaft und die gute Zukunftsprognose als Touristik-Student. Bei der Jugendstrafe müsse der Erziehungsgesichtspunkt eine Rolle spielen. „Die Abschreckung anderer Fans kann hier nicht im Forderung stehen.“

Von der Läuterung des jungen Mannes sei sie aber nicht überzeugt, so Eßlinger-Graf. „Vermutlich haben Sie Einsicht und Reue, zeigen können Sie diese aber nicht.“ Damit er noch eine Weile über das Geschehen nachdenke, macht sie ihm mehrere Bewährungsauflagen. So hat er sich an das VfB-Stadionverbot zu halten. Außerdem soll er unter anderem aus seinem eigenen Budget den beiden Polizisten ein Schmerzensgeld von je 1500 Euro zahlen. Nicht zuletzt ordnet die Vorsitzende regelmäßige Gespräche mit einem Experten vom Täter-Opfer-Ausgleich an, damit der 18-Jährige sich die möglichen und tatsächlichen Folgen seiner Tat nachhaltig vor Augen führt. „Ich weiß, solche Gespräche zu führen ist die Höchststrafe für einen jungen Mann, aber da kommen Sie nicht drum herum.“