Eltern können Verdienstausfälle nicht geltend machen, wenn sie ihre Kinder mangels Kita-Platz daheim betreuen, urteilt das Oberlandesgericht Dresden. Revision ist möglich, und es gibt viele weitere Klagen – auch gegen die Stadt Stuttgart.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Stuttgart - Eltern, die für ihr ein- bis dreijähriges Kind noch keinen Kita-Platz gefunden haben und den Nachwuchs daraufhin daheim betreuen, können vom öffentlichen Träger keinen Ausgleich für ihren Verdienstausfall verlangen. Dies hat das Oberlandesgericht Dresden in einem Musterverfahren entschieden. Zugleich wurden die für die Eltern positiven Urteile des Leipziger Landgerichts kassiert, das die Stadt Leipzig zuvor dazu verurteilt hatte, 15 000 Euro plus Zinsen an die Familien zu zahlen. Zugelassen wurde jedoch eine Revision zum Bundesgerichtshof.

 

Zwar liege, so das Gericht, ein Verstoß der Stadt Leipzig gegen die Pflicht vor, zeitgerecht ausreichend Kita-Plätze zur Verfügung zu stellen. Diese Pflicht schütze aber nicht das Vermögensinteresse der Eltern, insbesondere wenn es darum geht, dass eine fehlende Betreuung die Arbeitsaufnahme verhindere. Somit ging es in diesem Verfahren ausschließlich um Schadenersatzforderungen – nicht um den seit 1. August 2013 geltenden Rechtsanspruch selbst, der vom Gesetzgeber direkt dem Kind zugeschrieben wird. Dieser Anspruch auf frühkindliche Bildung bleibt einklagbar. Wird der Kita-Platz von der Kommune nicht zur Verfügung gestellt, und die Eltern nehmen einen privaten Betreuungsplatz wahr, können sie einen finanziellen Ausgleich verlangen – notfalls per Klage in einem Verwaltungsgerichtsverfahren.

Der Blick richtet sich nach Karlsruhe

Dazu gibt es bereits ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig. Dieses hat am 12. September 2013 entschieden, dass ein Kind, dessen Rechtsanspruch auf den Kindergartenplatz nicht erfüllt wird, unter Voraussetzungen einen Anspruch darauf hat, dass die Aufwendungen der Eltern für die Unterbringung in einer privaten Kindertagesstätte ersetzt werden.

Mit Blick auf den Dresdner Fall gibt der Bundesgeschäftsführer des Deutschen Familienverbandes, Siegfried Stresing, den Klägern bei einer Revision wenig Chancen, weil sie dem Oberlandesgericht Verfahrensfehler nachweisen müssten. Doch sollten sie den Rechtsweg ausschöpfen, sagte er der StZ. Im Endeffekt müsste das Bundesverfassungsgericht darüber befinden, das vor vielen Jahren noch klar gesagt habe: Die Eltern haben selbst zu entscheiden, wie das Kind bestmöglich betreut werde.

40 Klagen gegen die Stadt Stuttgart binnen zwei Jahren

Die Gesamtzahl der bundesweit anhängigen Klagen ist nicht bekannt. Auch der Deutsche Städtetag kennt sie nicht. Einen noch unbefriedigten Bedarf an Betreuungsplätzen sieht er vor allem in den großen Universitätsstädten, wo es viele junge Familien gebe und der Ausbau noch nicht abgeschlossen sei. Dass die vor zwei Jahren befürchtete Klagewelle ausgeblieben ist, hält Siegfried Stresing vom Familienverband für „verständlich“. Es sei eine gehobene Schicht, die die Chancen im juristischen Weg erkenne und sich diesen zutraue. Diejenigen Familien, die eher auf Kita-Betreuung angewiesen seien, würden den Gang zum Gericht zumeist scheuen.

Gegen die Stadt Stuttgart wurde seit Inkrafttreten des Rechtsanspruchs in 40 Fällen Klage erhoben. Davon seien zwischenzeitlich zwölf Klagen aus diversen Gründen wieder zurückgezogen worden, sagt der stellvertretende Jugendamtsleiter Heinrich Korn. In den verbleibenden 28 Verfahren würde zur Hälfte auf einen finanziellen Ausgleich geklagt, weil private Betreuungsplätze für mehrere hundert Euro im Monat in Anspruch genommen wurden. Bereits im November 2014 hat die Stadt eine Niederlage vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart erlitten – sie wurde verpflichtet, einem Elternpaar die Mehrkosten für die Unterbringung in einer privaten Krippe zu erstatten. Die Stadt beantragte daraufhin im Januar eine Zulassung zur Revision beim Verwaltungsgerichtshof in Mannheim. Ob diese möglich ist, wird wohl im Herbst entschieden. Solange dies nicht ausgestanden sind, werden auch 12 andere Verfahren in der Schwebe bleiben. Lediglich ein weiterer offener Fall ist mit dem Dresdner Vorgang vergleichbar – dieser Kläger will ebenso auf privatrechtlichem Wege den entgangenen Verdienstausfall bei der Stadt geltend machen.

In den übrigen 14 Fällen wurde direkt auf einen Kita-Platz geklagt – auch dazu stehen die Entscheidungen noch aus.