Es ist wie bei Kafkas „Prozess“: Der Badische Fußballverband löst einen Sportrichter Knall auf Fall ab, verrät aber bis heute nicht, was ihm eigentlich vorgeworfen wird. Vor Gericht bekam der Verband nun die Quittung dafür. Ein Lehrstück über Rechtsstaatlichkeit im Sport.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart / Karlsruhe - Die Grundsätze des Rechtsstaats nimmt der Deutsche Fußball-Bund (DFB) auch für sich in Anspruch. Gewaltenteilung, eine unabhängige Justiz – das gelte für den Verband genauso wie für das Land. Die „größte gesellschaftliche Gruppierung“, wird der Ehrenpräsident Egidius Braun auf der DFB-Homepage zitiert, werde dadurch „zu einer demokratischen Institution“.

 

Inwieweit das auch bei den Mitgliedsverbänden gilt, lässt der DFB offen. Der Badische Fußball-Verband (BFV) in Karlsruhe etwa sei ein „eigener, autonomer Verband“. Deswegen äußert sich die Zentrale nicht dazu, wenn rechtsstaatliche Grundsätze dort buchstäblich mit Füßen getreten werden. So jedenfalls bekam es der Verband, etwas pointiert zusammengefasst, von einem staatlichen Gericht bescheinigt.

Erst Schiedsrichter, dann Sportrichter

Es geht um einen Fall, der stark an Kafkas Roman „Der Prozess“ erinnert. Der Protagonist Josef K., ein 30-jähriger Bankangestellter, wird darin eines Morgens verhaftet, ohne sich einer Schuld bewusst zu sein. Fortan versucht er herauszufinden, was ihm eigentlich vorgeworfen wird und wie er sich verteidigen könnte – doch es gelingt ihm nicht. Das Gericht bleibt für ihn ungreifbar.

Im realen Fall heißt die Hauptfigur Roman S., kommt aus der Region Stuttgart, ist 29 Jahre alt und angehender Wirtschaftsjurist. Schon als Teenager verbrachte er viel Zeit auf Fußballplätzen – allerdings nicht als Spieler, sondern als Schiedsrichter. Später wechselte er die Rolle und wurde, wie viele Kollegen, ehrenamtlicher Sportrichter. In jedem Kreisverband gibt es einen solchen, zuständig für Verfehlungen bei den Spielen auf Kreisebene. Jede Woche hat er vielleicht ein Dutzend Fälle zu entscheiden – zum Beispiel, wie lange eine Sperre nach einer Roten Karte gelten soll.

Abberufung wegen ominöser „Faktenlage“

Seit August 2013 verkörperte Roman S., das Kreissportgericht in Pforzheim. Ernannt wurde er vom Badischen Fußballverband, für die Periode bis 2016. Später wurde er auch noch Beisitzer im BFV-Sportgericht, einer höheren Instanz. S. versah die Ehrenämter mit hohem Engagement, von Kritik oder Vorwürfen hörte er nie etwas. Entsprechend unerwartet traf ihn im Dezember 2014 die Abberufung. „Nach Darlegung der Faktenlage“, wurde ihm mitgeteilt, habe der Verbandsvorstand einstimmig beschlossen, seine Ernennung zu widerrufen. Wirksamkeit: sofort. Welche Fakten gemeint waren, welches Fehlverhalten ihm angekreidet wurde, blieb rätselhaft; er war weder mit Vorhalten konfrontiert noch dazu angehört worden.

Also beschwerte sich S. schriftlich beim Ehrenrat des Badischen Verbandes, der Berufungsinstanz, die ihn jedoch abblitzen ließ – erneut ohne jede inhaltliche Begründung. Erst auf ein weiteres Beschwerdeschreiben seines Anwalts Markus Höss, eines Stuttgarter Sportrechtsexperten, lüftete der BFV den Schleier ein wenig: Der Sportrichter habe „bei seiner Ernennung Sachverhalte verschwiegen, bei deren Kenntnis die Ernennung gar nicht erfolgt wäre“. Erwähnt wird eine „Auseinandersetzung“ mit dem Württembergischen Fußball-Verband, von dem Roman S. 2012 die Löschung seiner Daten aus dem DFB-Net begehrt hatte. Der Grund: völlig rechtskonforme „Datensparsamkeit“ nach dem Ende seiner Schiedsrichtertätigkeit. Dem badischen Verband gestattete er selbstverständlich die Verwendung seiner Daten.

Quittung für Abwehr von Mauscheleien?

Das also sollte der Grund sein, ihn Knall auf Fall abzulösen? Roman S. konnte das kaum glauben. Womöglich sei es die Reaktion darauf, dass er sich als Sportrichter gegen Mauscheleien gewehrt habe – und gegen Versuche, sich in seine Tätigkeit einzumischen. Die Strafhöhe für bestimmte Vergehen etwa habe das Verbandssportgericht konkret vorgegeben, obwohl die Strafordnung den Richtern dabei Spielräume lasse. In zwei Fällen seien ihm sogar konkrete Vorgaben gemacht worden.

Gegen die „Geheimjustiz“ zog Roman S. vor ein staatliches Gericht, das Amtsgericht in Karlsruhe-Durlach. Dort wollte er feststellen lassen, dass seine Abberufung rechtswidrig war und ihm rund 2500 Euro Schadenersatz zustünden. Sein Hauptziel: Der Makel des Rauswurfs sollte getilgt sein, damit er „mit weißer Weste“ wieder als Sport- oder Schiedsrichter tätig werden könne. Einen Anspruch auf die entfallene Aufwandsentschädigung sah der Richter nicht, da der Kläger ja keinen Aufwand mehr gehabt habe. Im zentralen Punkt aber obsiegte Roman S. glasklar: seine Abberufung sei rechtswidrig gewesen, entschied das Gericht Ende 2016.

Gericht liest Verband die Leviten

Das Urteil (Aktenzeichen 2 C 281/16) lag ganz auf der Linie von Roman S.’ Anwalt und enthielt gleich mehrere Ohrfeigen für den Badischen Fußballverband. Auch Vereine hätten „rechtsstaatliche und verfassungsgemäße Prinzipien“ zu beachten – doch die seien mehrfach verletzt worden. Weder sei der Grund für die Abberufung konkret benannt worden, damit sich der Sportrichter überhaupt erst verteidigen könne, noch habe dieser Gelegenheit zur Stellungnahme, also rechtliches Gehör erhalten. Auch inhaltlich genüge das Schreiben des Verbands „in keiner Weise“ den Vorgaben. Es lasse im Dunkeln, gegen welche Satzungsklausel oder welche allgemeine Vereinspflicht Roman S. verstoßen habe.

Das will der Karlsruher Verband, dessen Präsident Ronny Zimmermann im Hauptberuf Rechtsanwalt ist und in dessen Vorstand auch Juristen wie der Karlsruher Bundestagsabgeordnete Ingo Wellenreuther (CDU) sitzen, bis heute nicht verraten. Auf StZ-Anfrage schwieg er zur ominösen „Faktenlage“ samt Fehlverhalten. Man sei mit dem Urteil „inhaltlich nicht einverstanden“, verzichte aber auf Rechtsmittel dagegen, sagte eine Sprecherin. Begründung: Es handele sich um einen „absoluten Einzelfall“ ohne grundlegende Bedeutung; zudem hätte die Amtszeit des Sportrichters ohnehin im Juli 2016 geendet.

Regeln sollen nun präzisiert werden

Im Nachgang des Verfahrens habe man den Satzungsausschuss beauftragt, die Disziplinarregelungen „präziser zu formulieren“. Man sei ein „demokratisch strukturierter Verband“, alle Organe arbeiteten „selbständig, unabhängig und neutral“ – natürlich auch die Sportgerichtsbarkeit. Diese habe sich allerdings „interne Richtlinien“ gegeben, um eine vergleichbare Handhabung von Fällen sicherzustellen.

Für Roman S. klingt das wie Hohn. Einen gerichtlich festgestellten Willkürakt als unbedeutend einzustufen – das sei schon ein starkes Stück. Die fortdauernde Geheimniskrämerei lasse vermuten, „dass hier etwas vertuscht werden soll“. Sein Anwalt wird noch deutlicher. Die Verantwortlichen in Karlsruhe seien „entweder bar jeglicher Rechtskenntnisse oder von allen guten Geistern verlassen“, sagt Markus Höss. Um einen Einzelfall handele es sich nur insofern, als er vor ein ordentliches Gericht getragen wurde – was fast nie vorkomme. Tatsächlich werde der Sport oft als rechtsfreier Raum empfunden, in dem einige Funktionäre ungezügelt ihren sonst unterdrückten „Machtgelüsten“ frönten, kritisiert Höss. Regeln seien entweder lückenhaft, würden nicht verstanden oder ignoriert, Ehrenamtliche oder Sportler würden als „Spielball und Marionette“ betrachtet. Echte Gewaltenteilung gebe es in den Verbänden ohnehin nicht. Einen solchen hemdsärmeligen Umgang mit dem Recht finde man nach seinen Erfahrungen nicht nur in der badischen Provinz, sondern auf allen Ebenen der Fußball- und Sportwelt.

Der DFB soll sich nicht wegducken

Umso wichtiger fände es Höss, dass sich der Deutsche Fußball-Bund nicht wegduckt. Vieles schreibe der DFB den Mitgliedsverbänden „bis ins Detail vor“, aber ausgerechnet bei Verstößen gegen rechtsstaatliche Grundsätze halte er sich raus? Das passe schlecht zum Anspruch des Verbands und seinem Ethikcode. Doch als sich die Kanzlei 2015 an die DFB-Spitze wandte, bekam sie die gleiche Auskunft wie jetzt unsere Zeitung: die Angelegenheit sei „ausschließlich“ Sache des badischen Verbands.