Die Google-Rechtsabteilung könnte künftig deutlich mehr zu tun haben. Aber diejenigen, die nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofes ihr „Recht auf Vergessen“ einklagen wollen, können sich auf heftige juristische Gegenwehr gefasst machen.

Stadtentwicklung & Infrastruktur: Andreas Geldner (age)

Stuttgart - Der Europäische Gerichtshof hat am Dienstag die Rechte der Verbraucher im Internet gestärkt. Europas Bürger können laut den Luxemburger Richtern von Google verlangen, bestimmte Suchergebnisse zu streichen, wenn dort Persönlichkeitsrechte verletzt werden. Es geht dabei um Links zu Webseiten, die bei der Suche nach einem Namen auftauchen. Das können Verweise auf Seiten sein, die sensible persönliche Daten enthalten. Google muss diese im Einzelfall löschen, wenn die Veröffentlichung lange zurückliegt oder die ursprüngliche Bedeutung der Informationen geschwunden ist. Geklagt hatte ein Spanier, dessen Grundstück vor mehr als 15 Jahren zwangsversteigert wurde. Die amtliche Bekanntmachung über die Pfändung wurde 1998 in einer spanischen Zeitung und im Internet veröffentlicht. Sie tauchte bei Google noch Jahre später weiter auf.

 

Wird nun die Rechtsabteilung des Internetgiganten unter einer Flut von Beschwerden zusammenbrechen, wie es der Begriff vom „Recht auf Vergessen“ suggeriert? Für Google ist das Urteil durchaus schmerzlich – aber aus anderen Gründen. Die Amerikaner haben sich nach dem Urteil zugeknöpft gezeigt. Es brauche Zeit, um die Konsequenzen im Detail einzuschätzen, sagte ein Sprecher.

Aus Sicht von Google gründet die Überlegenheit der Suchmaschine auf ihren binnen eineinhalb Jahrzehnten immer weiter verfeinerten Automatismen. Von Anfang an war Googles Suchmaschine wohl das mächtigste lernende System der Erde, deren wichtigster Auftrag es war, aufgrund von komplexen Formeln und ständig perfektionierten Erfahrungswerten herauszufinden und möglichst sogar vorauszuempfinden, was die Nutzer wollen.

Eingriffe in die Algorithmen verfälschen die Treffer

Jeder Eingriff in diesen Automatismus verfälscht aus diesem Blickwinkel die Trefferquote der Suchalgorithmen und öffnet die Tür für weitere Begehrlichkeiten, um die Resultate vielleicht auch noch nach anderen Kriterien zu beeinflussen. Eine mögliche Präzedenzwirkung des Luxemburger Urteils dürfte deshalb die größte Sorge des Internetgiganten sein – und weniger die Frage, ob sich nun womöglich Hunderttausende Menschen durch die Instanzen klagen, um Suchresultate zu beeinflussen, die im Übrigen ständig im Fluss sind.

Schon im Mai 2013 hat der Bundesgerichtshof einem klagenden Kaufmann aus der Region Köln recht gegeben, der beanstandete, dass er schon bei den Vorschlägen, welche die Suchmaschine beim Eintippen macht, mit der Scientology-Sekte in Verbindung gebracht wurde. Google hatte bereits vor dem Urteil die Verknüpfung manuell entfernt. Doch obwohl dieser Richterspruch in Deutschland weithin publiziert wurde, hat den Internetriesen bisher keine Flut an Beschwerden erreicht. Der Fall ist etwas anders gelagert als der jetzige. In Deutschland ging es nur um ein Komfortmerkmal bei der Suche. Doch Google bietet trotz des Aufwands für die manuelle Bearbeitung von Einsprüchen diese Funktion auf der deutschsprachigen Webseite weiter an. Wenn es um die Suchergebnisse selbst geht, wird der Internetgigant erst recht keinen Aufwand scheuen.

Die Amerikaner werden deshalb höchstwahrscheinlich nicht an ihre Suchalgorithmen herangehen, sondern die Konflikte jeweils ausfechten. Sie sehen keine Möglichkeit zu einem Automatismus oder einem Verfallsdatum, wodurch Links zu Texten mit Begriffen wie „Müller und Zwangsversteigerung“ oder „Maier und Sex“ systematisch aus den Suchergebnissen verschwinden. Google wird erst handeln, wenn im Einzelfall entschieden ist, ob ein Link anstößig ist.

Googles Suchmaschine mag bei der Analyse von Kontexten inzwischen geradezu genial sein. Bei der Bewertung der Inhalte von Webseiten muss sie kapitulieren. Anders wäre es etwa, wenn beispielsweise sich verunglimpft fühlende gesellschaftliche Gruppen, ganze Kategorien von Webseiten blockieren wollten. Auch die Luxemburger Richter sprechen ausdrücklich von einer Einzelfallabwägung zwischen Informationsfreiheit und Persönlichkeitsrechten. Sie haben also Standards, die für traditionelle Medien gelten, analog auf das Netz übertragen. Das Gericht hat Google aber nicht als Informationsanbieter, sondern als Datenverarbeiter klassifiziert, weil die Informationen nicht von der Firma selbst stammen.

Echtes Vergessen ist im Internet kaum möglich

Löschen kann Google beanstandete Inhalte deshalb nicht. Dazu können sie im Internet auch viel zu leicht kopiert, verlagert und verbreitet werden. Sie können durch andere Suchkombinationen, auf anderen Webseiten oder mit Hilfe von konkurrierenden Suchmaschinen weiter gefunden werden. Im Falle des Spaniers, der gegen Google nun obsiegt hat, hat ein spanisches Gericht ausdrücklich entschieden, dass die Zeitung, auf deren Online-Inhalt Google verlinkt hat, den beanstandeten Text nicht löschen muss.

Selbst wenn die Beschwerden gegen Google zu einem europäischen Massenphänomen werden sollten, wird Google alle juristischen Register ziehen. Schon heute gibt es ein Prozedere, um dem Verdacht auf Copyright-Verletzungen nachzugehen. Der US-Suchmaschinengigant hat allein im ersten Quartal 2014 weltweit einen Gewinn von umgerechnet 2,5 Milliarden Euro gemacht und beschäftigt heute schon ein Heer von Anwälten. Auch Tausende von Prozessen würden da nur eine Delle in der Bilanz bedeuten. Das Konzept der Suchmaschine wird man nicht infrage stellen.

Google hat im Blick auf die EU ganz andere Sorgen. Die Brüsseler Kommission streitet mit den Amerikanern darüber, ob der Suchmaschinenriese ganz andere, problematische Ergebnisse auswirft. Bevorzugt der US-Anbieter bei den Resultaten systematisch die eigenen Angebote? Diese Frage berührt den Kern von Googles Geldmaschine. Hier geht es in der Tat um Automatismen und Algorithmen, die der Anbieter verändern oder offenlegen könnte. Hier könnten für die Wettbewerbshüter statistische Analysen reichen – und Strafen teuer werden.