Mit 170 Kilometern pro Stunde hatte ein 28-Jähriger in der Nacht zum 1. Februar 2016 in Berlin eine rote Ampel überfahren und einen anderen Wagen gerammt. Das harte Urteil überrascht.

Berlin - Kaum hat der Richter im Namen des Volkes das Urteil gegen die beiden Ku‘damm-Raser verkündet, da ertönt ein spitzer Schrei in Saal 700 des Landgerichts Berlin. „Lebenslänglich!“ Hamdi H. und Marvin N. müssen ins Gefängnis – „wegen Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung“. Hamdi H. sacken die Beine weg, er muss sich mit beiden Ellenbogen auf dem Tisch abstützen. Seine Verlobte sinkt auf die Zuschauerbank, geschüttelt von lautem Schluchzen.

 

Überraschend hartes Urteil

Das Urteil, es kam auch für Prozessbeobachter überraschend. Es ist das erste Mal in der Geschichte der Bundesrepublik, dass Raser nach einem Unfall wegen Mordesverurteilt wurden. Bislang galt die Teilnahme an Autorennen bloß als Ordnungswidrigkeit. Teilnehmer kamen entsprechend glimpflich davon, mit einem Bußgeld von 400 Euro und einem Monat Fahrverbot. Gab es Tote bei solchen Rennen, wurden die Fahrer wegen fahrlässiger Tötung zu niedrigen Gefängnisstrafen verurteilt.

Der Fall der beiden Ku‘damm-Raser Hamdi H., 27, und Marvin N., 25, passe jedoch nicht in das Raster der bisherigen Rechtsprechung hinein, erklärte Richter Ralph Ehestädt. Der Tacho des Autos von Hamdi H. zeigte 170 Kilometer pro Stunde, als ihn die Spurensicherer nach jenem verhängnisvollen Crash in der Nacht zum 1. Februar 2016 auf einer Mittelinsel des Ku‘damms bargen.

Fahrer Michael W. starb in den Trümmern seines Autos.

Der wegen Verkehrsdelikten mehrfach vorbestrafte Arbeiter hatte bei einem Autorennen gegen Marvin N. mehrere rote Ampeln überfahren, bevor er an der Kreuzung Nürnberger Straße den Jeep eines 70-jährigen Berliners erfasste und 70 Meter weit durch die Luft schleuderte. Der Fahrer, Michael W., starb in den Trümmern seines Autos. Wie „ein Schlachtfeld“ habe die Unfallstelle ausgesehen, das hatten Zeugen und Polizisten während des Prozesses berichtet.

Konnten die beiden Raser die Folgen tatsächlich nicht abschätzen, weil sie sich in ihrem Audi A6 und in dem Mercedes-Benz AMG mit 225 beziehungsweise 381 PS wie die Könige des Boulevards fühlten, wie Marvin N. vor dem Rennen geprahlt hatte: „Ku‘damm, Alder! Keiner kann mit uns mithalten. Wir ficken die Straße!“ Oder hatten sie dieses Risiko zumindest billigend in Kauf genommen?

Das war die Kernfrage, um die sich dieser Prozess drehte. Die Verteidiger betonten, der Vorsatz, an einem Rennen teilzunehmen, sei nicht mit einem Tötungsvorsatz zu vergleichen. Die Männer hätten das Gefühl gehabt, alles unter Kontrolle zu haben. Dagegen machte sich das Gericht die Auffassung der Staatsanwaltschaft zu eigen. Die hatte auf Mord plädiert. „Natürlich hatten Sie keinen Tötungsvorsatz. Sie wollten Herrn W. in seinem Jeep nicht töten. Aber sie handelten mit bedingtem Vorsatz“, erklärt Richter Ralph Ehestädt.

Erlaubte Geschwindigkeit um das Dreifache überschritten

Es ist eine Terminologie, der sich auch der Bundesgerichtshof (BGH) schon bedient habe. „Das Mordmerkmal ist auch dann erfüllt, wenn der Täter Mittel einsetzt, die das Leben anderer gefährden können, weil er die Risiken nicht abschätzen kann.“ Die Täter hätten die erlaubte Geschwindigkeit um mehr als das Dreifache überschritten. Der Ku‘damm sei eine Hauptverkehrsstraße, auf der auch nachts Fußgänger und Fahrer unterwegs seien. „Keine Landstraße in Mecklenburg oder im Emsland.“

Konsequenterweise entzog das Gericht den Angeklagten auch noch die Fahrerlaubnis – lebenslänglich. Marvin N. nahm es wie betäubt zur Kenntnis. Er hatte das Rennen nicht begonnen, Hamdi H. hatte ihn herausgefordert. Doch weil die Anklage auf Mord lautet, trifft ihn die Strafe mit derselben Härte.

Anwälte gehen in die Revision

Das Auto als gemeingefährliches Mittel? Die Anwälte der Raser wollen diese Begründung nicht akzeptieren. Nach der Urteilsverkündung kündigte der Verteidiger von Hamdi H. an, er werde in Revision gehen. Politische Signalwirkung hat das Urteil aber so oder so schon. Nach einer Reihe von tödlichen Unfällen hat der Bundesrat im Herbst einer Gesetzesinitiative zugestimmt, die deutlich härtere Sanktionen vorsieht. Wer illegale Rennen fährt, muss mit bis zu zwei Jahren Haft rechnen. Gibt es Todesopfer, drohen zehn Jahre.

Der Entwurf liegt jetzt dem Bundestag vor, neben einem ähnlichen Entwurf, den der Bundesverkehrsminister eingebracht hat.

Strafen für Raser

Verurteilter Hamdi H.

Er war für die Polizei schon vor dem Beginn des Prozesses kein Unbekannter mehr. Seit 2014 war er schon 16-mal wegen Verkehrsordnungswidrigkeiten aufgefallen, immer kam er mit einem Bußgeld davon. Dazu kamen eine Unfallflucht und ein Autounfall, bei dem er zwei Radfahrer leicht verletzte.

Schweiz

Wie kann es sein, dass so jemand noch Auto fahren konnte, fragte eine Schweizer Verkehrspsychologin, die H. für den Prozess begutachtet hatte. In der Schweiz hätte er wohl schon längst seinen Führerschein verloren. Dort können Raser mit bis zu vier Jahren Gefängnis bestraft werden, seit dort 2013 das Verkehrssicherheitsprogramm in Kraft trat. Es sieht hohe Geldbußen schon für kleine Übertretungen vor. Wer außerorts nur sechs bis zehn Kilometer pro Stunde zu schnell fährt, muss schon hundert Euro zahlen. Seither ist die Zahl der Verkehrstoten von 340 auf 300 im Jahr gesunken.

Deutschland

Bei Körperverletzung mit Todesfolge sieht das Strafrecht mindestens drei Jahre Gefängnis vor. Bei fahrlässiger Tötung drohen eine Geldstrafe oder maximal fünf Jahre Gefängnis. Wer einen Menschen umbringt, ohne dass ein Mordmerkmal zutrifft, begeht Totschlag und wird mit einer Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft. In schweren Fällen ist eine lebenslange Gefängnisstrafe möglich. Wer als Mörder verurteilt wird, erhält lebenslange Haft. Frühestens nach 15 Jahren ist eine Entlassung auf Bewährung möglich.