Der Verfassungsgerichtshof des Landes stärkt in seinem Urteil deutlich die Mitwirkungsrechte der Hochschullehrer. Wissenschaftsministerin Theresia Bauer zeigt sich enttäuscht.

Stuttgart - Die Wissenschaftsministerin ist schwer enttäuscht: „Dieses Urteil atmet den Geist der 60er Jahre“, klagt Theresia Bauer (Grüne) nach der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs Baden-Württemberg. Dort hat das Land mit seinem neu gefassten Hochschulgesetz Schiffbruch erlitten. Das Gericht hat die Regelungen zur Wahl und zur Abwahl von Hochschulrektoren und Mitgliedern des Rektorats im Landeshochschulgesetz für verfassungswidrig erklärt. Die Vorgaben würden die Wissenschaftsfreiheit der Hochschullehrer verletzen.

 

Bei der Wahl und Abwahl von Rektoren müssten die gewählten Hochschullehrer entscheidendes Gewicht haben, befand das Gericht. Aktuell entscheiden Senat und Hochschulrat bei der Kür der Rektoren gemeinsam. Im Hochschulrat sitzen externe Experten, zum Beispiel aus der Wirtschaft. Diese Machtverteilung wertete das Gericht unter Vorsitz des Präsidenten Eberhard Stilz als unvereinbar mit der Wissenschaftsfreiheit. Das Gericht hat auch das Gewicht der gewählten Vertreter der Hochschullehrer im Senat gestärkt.

Das Gericht argumentiert mit der Wissenschaftsfreiheit

Träger der Wissenschaftsfreiheit seien die Hochschullehrer, befand das Gericht. Sie müssten in der Lage sein, einen Rektor, oder ein Rektoratsmitglied, das nicht ihr Vertrauen genieße, abzuwählen, ohne auf Stimmen aus anderen Gruppen oder Gremien angewiesen zu sein. So müssen die von den Hochschullehrern gewählten Mitglieder im Senat alleine mehrheitlich über die Abwahl eines Rektoratsmitgliedes entscheiden können. Gewählt werden könne ein Rektoratsmitglied nicht gegen die Stimmen der Vertreter der Professoren.

Das neue Landeshochschulgesetz betrachtete Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (Grüne) als Stärkung der Hochschulen gegenüber den Hochschulräten. Vor 2014 wählte der Hochschulrat die Rektoratsmitglieder, der Senat durfte lediglich bestätigen. Bei einer Abwahl war nur die Anhörung des Senats vorgesehen, die Entscheidung traf der Hochschulrat. Mit der Novelle wollte Bauer eine Abkehr der von ihrem Vorgänger Peter Frankenberg (CDU) initiierten „unternehmerischen Hochschule“ bewirken und die akademischen Gremien stärken. Sie erhielten beispielsweise Mitwirkungsrechte bei der Struktur- und Entwicklungsplanung.

Experten im Ministerium sehen das Urteil kritisch

Das ging dem Gericht nicht weit genug. Rektorate haben durch das Landeshochschulgesetz Befugnisse dazu gewonnen etwa bei Personal-, Sach- und Finanzentscheidungen. „Der Gesetzgeber hat ein organisatorisches Gesamtgefüge geschaffen, das zu einer strukturellen Gefährdung des Wissenschaftsbetriebs führt“, sagte der Präsident Stilz. Damit habe er seinen Gestaltungsspielraum überschritten.

Wissenschaftsministerin Theresia Bauer bedauert, „die Entscheidung erschwert die Teilhabe und das Miteinander an den Hochschule“. Die Experten im Wissenschaftsministerium werten das Urteil der Richter als Schwächung der Senate, aber auch der Hochschulräte und der Rektorate. Im Senat werden demnach künftig die gewählten Vertreter der Hochschullehrer dominieren. Die Vertreter der Studenten und der wissenschaftlichen Mitarbeiter im Senat haben deutlich weniger Einfluss. Die Hochschulräte können nicht mehr auf Augenhöhe mit den Senaten agieren und die Rektorate sind nach Einschätzung des Ministeriums künftig „ausschließlich vom Wohlwollen der gewählten Vertreter der Hochschullehrer abhängig“.

Ein Urteil mit Wirkung über das Land hinaus

Vor allem die Hochschulräte gelten als Brücke zwischen den Hochschulen und der Gesellschaft. Sie sind für die strategische Entwicklung der Hochschulen verantwortlich und kontrollieren die Rektorate. Unter Wissenschaftsminister Frankenberg waren sie stark von der Wirtschaft dominiert. Mit der Reform von 2014 wurden sie für weitere Gesellschaftsbereiche geöffnet. Nach dem Urteil des Verfassungsgerichtshofs kritisiert Bauer: „In einer Zeit, in der die Hochschulen mehr denn je die Verbindung in die Gesellschaft brauchen, ist eine Schwächung dieser Verbindungslinien eine Schwächung der Hochschule selbst.“

Dem Urteil wird Signalwirkung zugesprochen. Zahlreiche Bundesländer haben sich am baden-württembergischen Hochschulgesetz orientiert. Das Wissenschaftsministerium hat nun Zeit, bis zum 31. März 2018 eine verfassungskonforme Neuregelung zu treffen.

Geklagt hatte ein Professor der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Karlsruhe. Er sah sich in seiner Wissenschaftsfreiheit verletzt und monierte eine zu große Bedeutung von Rektorat, Hochschulrat und Dekanen auf der einen Seite und ein zu geringes Gewicht von Senat und Fakultätsrat. Mit dem Urteil ging der Verfassungsgerichtshof über die Argumentation des Klägers und die Haltung des Bundesverfassungsgerichts sogar noch hinaus.