Am 12. Juni waren 72 Afghanen in Karlsruhe angekommen, auf der Flucht vor „unhaltbaren Zuständen“ im EU-Land Ungarn.Inzwischen sind erste Urteile gefallen. Das Verwaltungsgericht in Freiburg plädiert für ein vorläufiges Bleiberecht.

Karlsruhe - Am 12. Juni waren sie als 72 Personen starke Gruppe in Karlsruhe angekommen, auf der Flucht vor den laut Menschenrechtlern „unhaltbaren Zuständen“ im EU-Land Ungarn. Alle nahmen sich einen Rechtsbeistand: inzwischen sind erste Urteile gefallen. Gleich in zwei Fällen plädierte die 5. Kammer beim Verwaltungsgericht in Freiburg jetzt für ein vorläufiges Bleiberecht der Flüchtlinge afghanischer Herkunft.

 

Diese Entscheide könnten richtungsweisend sein: sie geben denselben Tenor wieder wie Urteile der Verwaltungsgerichte im bayerischen Ansbach (im Januar) und in Hannover (im März), die ebenfalls gegen Abschiebung nach Ungarn votierten. Angelika von Loeper vom Flüchtlingsrat Baden-Württemberg äußert sich auf Anfrage dennoch eher zurückhaltend. Ihr ist ein höchstrichterliches Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Mannheim bekannt, das einen deutlich anderen Blick auf Ungarn zeigt. Dieses war im Vorfeld auch dem Vorsitzenden der 5. Kammer des Freiburger Gerichts, Wolfgang Albers, bekannt. Er kam freilich zu anderen Schlüssen.

„Keine menschenwürdige Existenzmöglichkeit“

Am 28. August bereits hatte die Kammer entschieden, ein klagender Asylbewerber dürfe gegenwärtig nicht abgeschoben werden. Anhängig sind in Freiburg noch zwei Klagen von Flüchtlingen der Gruppe und – beide Personen sind dabei identisch – zwei Anträge auf „vorläufigen Rechtsschutz“. Auch der zweite Fall am 12. September wurde zu Gunsten des Klägers entschieden, von derselben Kammer, allerdings mit einem anderen Berichterstatter. „Für den Asylbewerber bestehe in Ungarn voraussichtlich keine menschenwürdige Existenzmöglichkeit“, heißt es in dem Urteil zur Aussetzung der Abschiebung. Beide Entscheidungen werten Beobachter als deutliche Ohrfeige für die auch dem EU-Land Ungarn auferlegten Verpflichtungen zum Umgang mit Flüchtlingen. Erhebliche Zweifel sieht das Gericht insbesondere bei der Unterbringung mit Blick auf den näher rückenden Winter. Der Rechtsanwalt Berthold Münch, der den zweiten Fall vertrat, ruft dazu auf, bei anderen Flüchtlingen in den Gerichtsbezirken „vorerst keine Abschiebungen vorzunehmen“.

72 afghanische Flüchtlinge waren nach Protesten in Ungarn – mehrfach auch vor EU-Gebäuden in Budapest – als Gruppe nach Deutschland gekommen. Nach Ankunft in der Landeserstaufnahmestelle in Karlsruhe wurde die Gruppe teilweise in Asylantenheime in Stuttgart, im Enzkreis, im Rhein-Neckar-Kreis und nach Konstanz verlegt. Jeweils zehn Klagen gegen eine Abschiebung sind auch bei den Verwaltungsgerichten in Karlsruhe und in Stuttgart anhängig. Eine weitere Entscheidung „werde die nächsten Tagen bekanntgegeben“, sagte eine Sprecherin in Stuttgart. In Karlsruhe ist derzeit noch kein Fall verhandelt.

Die ungarischen Lager sind völlig überfüllt

In Ungarn drohe der Gruppe „Obdachlosigkeit“, befürchtet Angelika von Loeper, die Vorsitzende des Flüchtlingsrats. Dem pflichtet ein Mitarbeiter des bayerischen Flüchtlingsrats bei, der mit dem Fall der Karlsruher Gruppe vertraut ist und selbst zwischen 2010 und – zuletzt – dem Juli dieses Jahres, Lager in Debrecen (Ostungarn) und in Bicske (eine Kleinstadt nahe Budapest) inspizieren konnte. Insbesondere Bicske, wohin die Gruppe der 72 verlegt werden sollte, scheint hoffnungslos überfüllt. Auf einem freien Feld wurden Zelte aufgestellt, die an Flüchtlingshilfe nach Erdbeben erinnern. Doch selbst darin wäre für die Gruppe kein Platz, sondern diese wäre „einfach auf die Straße gesetzt worden“. Betreuer berichten, dass im Lager derzeit rund 500 Menschen untergebracht seien – 300 mehr als üblich.

Viele ähnliche Urteile über Griechenland

Viele beurteilen die Lage in Ungarn – und die mutmaßliche Nichtumsetzung von Vorgaben für die Flüchtlingsunterbringung nach geltendem EU-Recht – ähnlich kritisch wie in Teilen Italiens und in Griechenland. Für Griechenland liegen viele Gerichtsurteile vor, denen zufolge Asylbewerber keiner Abschiebung ausgesetzt werden können – wegen der schlechten Zustände in den Sammellagern. Am 26. September findet in Karlsruhe eine Solidaritätsveranstaltung statt.