Seit drei Jahren kämpfen die New Yorker gegen den Abstieg. Langsam reift die Erkenntnis, dass Amerika seine besten Zeiten hinter sich hat.  

New York - Als im September 2008 die Finanzmärkte in die Knie gegangen waren, hat Francis Ledwidge erfahren, was Panik ist. Wochenlang verbrachte der Partner der New Yorker Investmentfirma Eddystone in banger Sorge um die Zukunft. Dieses Mal hatte Ledwidge nicht mehr die Kraft, so viel Energie und Gefühle aufzubringen.

 

Als kürzlich der Dow Jones derart in den Keller schoss, dass die "New York Times" ihre Wirtschaftsseite am nächsten Tag mit einem riesigen nach unten zeigenden roten Pfeil aufmachte, spürte Ledwidge nur noch Depression. "Unsere Stimmung ist schon sehr lange sehr finster", sagt er mit monotoner, flacher Stimme, während er sein Büro in der Madison Avenue aufräumt. "Jetzt ist sie rabenschwarz."

2008, erinnert sich der erfahrene Finanzier, der seit 1989 an der Wall Street handelt, habe man zwar die Katastrophe vor Augen gehabt, man habe ernsthaft den Zusammenbruch des globalen Finanzwesens befürchtet. So schlimm, glaubt er, sei es diesmal vermutlich nicht. Aber der Unterschied zu damals sei, dass es seinerzeit Optionen gab. "Jetzt", sagt Ledwidge, "weiß man nicht mehr, woher noch Hilfe kommen soll."

 Der Optimismus schmilzt dahin

Auf die Regierung vertrauen Ledwidge und seine Freunde in der Finanzbranche nach dem absurden Theater wegen des Schuldenlimits in Washington jedenfalls nicht mehr. "Was Washington anbetrifft, kann man nur noch resignieren", sagt er. "Man fragt sich, was zum Teufel man mit diesem Haufen anfangen soll!" Die Eingriffsmöglichkeiten der Federal Reserve, glaubt er, seien ebenfalls ausgeschöpft.

Erleichterung könne nur noch aus Europa kommen. Aber auch darauf, dass die Deutschen Griechenland, Irland und Portugal aus der Eurozone werfen, wagt er nicht wirklich zu hoffen."Unser Gewerbe beruht auf Optimismus", meint Ledwidge mit hängenden Schultern. "Aber im Moment ist es ganz schwer, den noch aufzubringen." Man könne nur noch daran glauben, dass alles besser werde, weil alles bisher immer irgendwie besser geworden sei. Wie das passieren solle, sei allerdings ein Mysterium.

So wie Francis Ledwidge geht es einer rapide wachsenden Anzahl an Amerikanern. Der sprichwörtliche amerikanische Optimismus schmilzt dahin, der bislang schier unerschütterliche Glaube daran, dass Amerika alles, was es anpackt, auch schaffen kann. Die Lähmung in Washington, die bei der Debatte über das Schuldenlimit nur allzu schmerzlich deutlich wurde, zementiert ein Gefühl, das sich in der amerikanischen Psyche in den vergangenen Jahren immer stärker festgesetzt hat.

Bei einer Umfrage des "Time Magazine" Ende Juni glaubten 71 Prozent der Befragten, dass es Amerika schlechter gehe als noch vor zehn Jahren. Die Tage der Supermacht sind gezählt. Das jahrhundertealte nationale Credo, dass Amerika dazu auserkoren ist, die Menschheit in eine bessere Zukunft führen zu können, hat Risse bekommen.

 Die USA sind an ihre Grenzen gestoßen

Peter McCormick etwa glaubt, dass Amerika seine Chance, die Rolle einer echten Supermacht auszufüllen, verspielt hat. Der New Yorker hat sein Leben lang als Journalist gearbeitet, für die "New York Times" als Korrespondent aus Krisengebieten wie Nicaragua und Somalia berichtet. Zuletzt war er bei einem Fachmagazin für Bildung und Wissenschaft beschäftigt. Jetzt ist er seit dreieinhalb Jahren arbeitslos.

"Die USA hätten nach 1989 die Gelegenheit gehabt, in der Welt etwas zu bewegen. Doch uns fehlt einfach die Gravitas und die Dignitas, die das alte Rom ausgezeichnet haben."Wenn McCormick sich anschaut, was sich in Washington abspielt, geht es ihm ähnlich wie Francis Ledwidge. Resignation herrscht vor. "Das ist ein surrealer Zirkus", sagt er. Ein apokalyptisches Szenario befürchtet er dennoch nicht: "Das System wird sich auf seine bizarre, barocke Art und Weise irgendwie durchwurschteln." Doch das ist freilich etwas anderes, als die Welt in eine bessere Zukunft zu führen.

Seine Situation als Langzeitarbeitsloser sieht McCormick indes mit weniger gelassener Distanz. "Ich habe ja keine andere Wahl, als optimistisch zu bleiben, sonst würde ich den ganzen Tag im Bett bleiben." McCormick schickt weiterhin jede Woche Bewerbungen für alles heraus, wofür er auch nur entfernt qualifiziert ist. Doch er weiß genau, dass die Zeit gegen ihn arbeitet. "Das Einzige, was mich aufrechthält sind meine Frau und regelmäßiger Sport."

Dass es Amerika nicht schafft, jemanden wie Peter McCormick, hochgebildet und hochqualifiziert, wieder in das Berufsleben einzugliedern, ist nur eine der vielen bitteren Realitäten, mit denen sich die USA derzeit abfinden müssen. Das Land der unbegrenzten Möglichkeiten ist an seine Grenzen gestoßen und versucht diese Tatsache irgendwie zu verdauen.

An der Realität lässt sich nicht mehr vorbeischauen

So schrieb der "New York Times"-Kolumnist Frank Bruni anlässlich des Starts zur letzten Spaceshuttle-Mission: "Das Ende dieses Weltraumprogramms trägt die Kraft einer grausamen Metapher. Es kommt zu einer Zeit, in der wir über nichts anderes mehr reden als über Grenzen. Wir haben keine Sterne mehr in den Augen." Nach gut einem Jahrzehnt, in dem die Dinge konstant schlechter werden, setzt sich bei den Amerikanern die Einsicht fest, dass dies mehr ist als nur eine vorübergehende Krise.

So sagte der republikanische Politiker Jon Huntsman bei der Bekanntgabe seiner Präsidentschaftskandidatur, dass "dies das erste Mal in unserer Geschichte ist, dass wir unseren Kindern ein Land hinterlassen, das weniger mächtig, weniger wettbewerbsfähig, weniger mitfühlend und weniger selbstbewusst ist als das, das wir geerbt haben".

Der Soziologe Andrew Ross, der den Fachbereich für Amerikastudien an der New York University leitet, kann diesem Niedergang etwas abgewinnen. Die Einsicht in die Grenzen der amerikanischen Macht sei seit Langem überfällig. "Die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit wird in den USA seit 30 Jahren unaufhörlich größer", sagt er in seinem Büro am Washington Square. Jetzt werde diese Diskrepanz so offensichtlich, dass man nicht mehr daran vorbeischauen könne.

New Yorker Psychotherapeuten haben Hochbetrieb

Seit Beginn der konservativen Ära in der jüngeren amerikanischen Geschichte mit dem Amtsantritt von Ronald Reagan, erklärt Ross, wachse die soziale Ungleichheit in den USA. Diese Tatsache sei jedoch bisher immer von der amerikanischen Ideologie der "opportunity", des für jedermann zugänglichen sozialen Aufstiegs, maskiert worden. Die Statistik habe diese Ideologie jedoch schon lange Lügen gestraft - die soziale Mobilität ist seit vielen Jahren in beinahe jeder anderen hochentwickelten Nation größer als in den USA.

Dennoch lies sich die Fiktion aufrechterhalten, solange es überall leichten und billigen Kredit gab. Die Mittelschicht konnte auf Pump am amerikanischen Traum teilhaben. "Die Mittelschicht war wie eine dieser Cartoon-Figuren kurz vor dem Absturz in die Schlucht, die noch in der Luft hängt und versucht weiterzurennen." Mit der Wirtschaftskrise falle sie nun jedoch in den Abgrund. Amerika leidet an einer kollektiven Depression.

Die New Yorker Psychotherapeuten haben Hochbetrieb und das, obwohl sich immer weniger Menschen die überteuerte Krankenversicherung leisten können. "Die Zahl der Leute, die an Angstzuständen oder Depressionen leidet, ist immens gewachsen", sagt Ryan Fuller, ein renommierter Therapeut mit einer gut gehenden Praxis an der Upper East Side von Manhattan. "Die Menschen stehen unter einem immensen finanziellen Druck. Das wirkt sich auf ihre Beziehungen, auf ihre Familien, auf ihr ganzes Leben aus. Das Schlimmste ist, dass sie keine Hoffnung haben, dass es irgendwann in absehbarer Zeit besser wird."

Die Hoffnung stirbt zuletzt

So geht es auch Greg Yang, einem jungen Architekten aus Brooklyn mit einer Ausbildung an einer der besten Architekturschulen des Landes. Yang gründete 2006 eine kleine, aber feine Architekturfirma, die sich auf den eleganten Innenausbau New Yorker Wohnungen und Häuser spezialisierte. Damals war das ein hervorragendes Geschäft. Doch die Zeiten änderten sich rasch.

"Meine Klientel waren nicht die Superreichen von New York", sagt Yang, "sondern ganz normale Angehörige der Mittelschicht: Lehrer, Ärzte, Journalisten." Doch genau diese Schicht konnte sich nach 2008 einen Luxus wie einen Architekten nicht mehr leisten. Die Aufträge brachen weg, Yang nahm immer mehr Arbeit an, bei der er nichts verdiente, nur um überhaupt im Geschäft zu bleiben. Im Januar musste er seine Partnerin entlassen, jetzt ist er alleine mit einer Assistentin.

Den Punkt, an dem er ganz hätte aufgeben sollen, hat Yang vermutlich schon überschritten - er musste bereits seine Lebensversicherung beleihen. Aber er ist noch nicht dazu bereit, jede Hoffnung aufzugeben. "Vielleicht bin ich ein Idiot, aber ich bleibe optimistisch." Allerdings gibt auch er zu, dass das immer schwerer wird, wenn sich eine schlechte Nachricht zur nächsten gesellt.

"Vorrat an Optimismus ist fast aufgebraucht"

Von ganzem Herzen optimistisch sind in Amerika eigentlich nur noch die extremen Rechten. "Das war ein echter Triumph", freut sich David Webb, der Direktor der Teepartei von New York, über den Schuldenkompromiss in Washington. "Das Volk hat die Macht an sich gerissen und gibt nun in Washington den Ton an." Das gebe ihm Hoffnung für die Zukunft Amerikas, um die er sich sorge, seit Obama Präsident geworden ist, sagt Webb.

"Unsere Stärke war immer unser Wohlstand und unser kapitalistisches System", meint er. Und das sei jetzt wieder auf dem richtigen Weg, nachdem der Druck der Teepartei die Mächtigen in die Knie gezwungen habe. Doch in New York wird Webb nicht viele Menschen finden, die sich mit ihm freuen.

Mit einem Blick auf die Randale in London meint etwa der Sozialforscher Andrew Ross: "Es ist nur eine Frage der Zeit, bis das auch bei uns passiert. Die Menschen halten nicht endlos still, wenn immer wieder ihre Hoffnungen und Erwartungen enttäuscht werden." Der in Amerika einst schier unendlich große Vorrat an Optimismus ist fast aufgebraucht.

 US-Verbraucher packt die Angst vor einer Rezession

Kauflust: Die Angst vor einem Rückfall der USA in die Rezession hat die Verbraucher erfasst: Sie blicken so skeptisch auf die Konjunktur wie seit mehr als drei Jahrzehnten nicht mehr. Der entsprechende Index von Reuters und der Universität Michigan sackte im August auf 54,9 Punkte von 63,7 Zählern im Vormonat ab. Dies ist der niedrigste Stand seit Mai 1980, als die Amerikaner ebenfalls eine konjunkturelle Durststrecke durchlebten.

Pessimismus: Drei Viertel aller Befragten rechnen damit, dass die USA schweren Zeiten entgegengehen. Zwei Drittel der Amerikaner meinen, dass sich die Wirtschaftslage verschlechtert hat. Nur jeder Fünfte rechnet damit, dass sich der Wind konjunkturell in Kürze drehen wird. Die US-Börsen gaben nach den schlechten Daten einen Teil ihrer Gewinne ab. Experten hatten nicht mit einem Einbruch des Verbrauchervertrauens gerechnet.

Psychologie: Fachleute verweisen darauf, dass die Skepsis der Verbraucher im zweiten Jahr der wirtschaftlichen Erholung in den USA nun sogar tiefer sitzt als am Höhepunkt der Krise nach der Lehman-Pleite 2008 : "Offensichtlich sind viele Verbraucher zusehends davon überzeugt, dass eine neue Rezession heraufzieht", warnte der Ökonom Vimombi Nshom. Die Konsumausgaben machen rund zwei Drittel der US-Wirtschaftsleistung aus.