Die US-Schauspielerin Elle Fanning erzählt im Interview, was ihr an der modernen Gesellschaft nicht passt und warum sie verrückte Drehbücher gut findet.

Cannes - Sie ist gerade einmal 19 Jahre alt, doch Elle Fannings Kinodebüt liegt bereits 16 Jahre zurück. Damals trat sie in „Ich bin Sam“ und „Schweinchen Wilbur und seine Freunde“ auf. Bald schon verfolgte sie eine eigene Karriere. Dieses Jahr spielte Fanning schon in „Live By Night“ und dem wunderbaren Siebzigerjahre-Drama „Jahrhundertfrauen“ mit. Für ihren neuen Film „Die Verführten“ arbeitete Fanning zum zweiten Mal mit Regisseurin Sofia Coppola zusammen. Anlässlich der Weltpremiere trafen wir Fanning in Cannes zum Interview.

 
Miss Fanning, in „Somewhere“ spielten Sie vor sieben Jahren Ihre bis dahin größte Rolle. Nun haben Sie für „Die Verführten“ erneut mit Sofia Coppola gedreht. Wie würden Sie Ihr Verhältnis zueinander beschreiben?
Bei „Somewhere“ war ich elf Jahre alt und das erste Mal vom ersten bis zum letzten Drehtag an einem Film beteiligt. So eng wie mit Sofia hatte ich noch nie mit einem Regisseur gearbeitet; das hat natürlich bleibenden Eindruck hinterlassen. Für mich wird sie immer mehr eine große Schwester oder Freundin sein als meine Regisseurin. Wobei unser Verhältnis sich natürlich verschoben hat.
In welchem Sinne?
Weg vom Mütterlichen, das eine große Schwester ja durchaus haben kann, hin zu einer erwachseneren Freundschaft. Wir sind uns viel mehr auf Augenhöhe begegnet. Für mich war die Arbeit an „Die Verführten“ ohnehin besonders cool, denn ich war inzwischen 18 Jahre alt geworden. Das bedeutete, dass es nicht mehr nötig war, meine Mutter mit zu den Dreharbeiten zu bringen. Ich bin also ganz alleine nach New Orleans ans Set gefahren und habe diese neue Freiheit sehr genossen. Was meine Mutter jetzt hoffentlich nicht falsch versteht. Dadurch dass ich zu Sofia ohnehin diese enge Bindung hatte, mit Kirsten Dunst schon lange befreundet bin und mit Nicole Kidman kurz vorher den Film „How to Talk to Girls at Parties“ gedreht hatte, fühlte sich die Sache nicht wie Arbeit an, sondern wie ein ganz besonderes Abenteuer mit meinen Freundinnen.
Der Film spielt vor dem Hintergrund des amerikanischen Bürgerkriegs, dabei aber ausschließlich innerhalb eines Mädchenpensionats. Spielten historische Fakten für Sie eine Rolle bei der Vorbereitung?
Das Historische kam in soweit ins Spiel, dass wir Schauspielerinnen in der Probenphase gemeinsam Hauswirtschafts- und Etikette-Kurse machten. Wir trugen unsere Korsetts, lernten nähen und tanzen oder bereiteten Essen zu. Nie den Rock mit zwei Händen hochheben, nie die Knöchel zeigen! Alles, was wir im Film von Nicole Kidman beigebracht bekommen, mussten wir auch in echt lernen.
Nach Ankunft des verletzten Soldaten verändert sich das Verhältnis der Frauen untereinander. In den Zusammenhalt mischt sich Konkurrenz und schließlich auch Gewalt.
Das kommt aber auch ein bisschen auf die Perspektive an. Kirsten und ich etwa haben unsere Figuren nicht in erster Linie als Feindinnen gesehen. Für uns waren das ein etwas außer Kontrolle geratenes Mädchen und seine Lehrerin. Sicherlich verschiebt sich das durch die Ankunft des Mannes ein wenig in Richtung Rivalität. Aber am Ende sind es ja schließlich die Frauen, die zusammenhalten und in der Situation wieder gemeinsam die Fäden in die Hand nehmen.
In dieser Hinsicht lässt sich dann „Die Verführten“ also fast als feministischer Film verstehen.
Ich bin sicher, dass viele Zuschauer das so sehen werden. Wobei ich persönlich immer zögere, einem Film so ein Label aufzudrücken. Denn wenn er erst einmal einen Stempel hat, gehen viele andere Facetten dieser einzigartigen Geschichte womöglich verloren. Für mich ist es in erster Linie einfach etwas sehr Besonderes, wie Sofia dieser spannenden Geschichte ihren ganz eigenen, unverwechselbaren Schliff gegeben hat. Und trotzdem etwas ganz Neues wagt. Denn wann hat man schon einmal einen Sofia-Coppola-Film gesehen, in dem Blut fließt?!
Sie selbst haben trotz Ihrer jungen Jahre auch immer Neues gewagt. Wie kommt es, dass Sie nie in typischen Teenager-Filmen zu sehen waren?
Ich habe mir auch erst im vergangenen Jahr anlässlich meines Schulabschlusses so wirklich bewusst gemacht, dass ich zwar selbst eine reguläre High School besucht habe, aber nie in einem dieser Filme mitwirkte, die dort spielen. Wahrscheinlich gerade deswegen: weil ich den direkten Vergleich hatte und immer fand, dass die Drehbücher zu solchen Filmen sich nicht authentisch lesen. Abgesehen davon hat mich schon als Kind an der Schauspielerei ganz besonders gereizt, etwas zu spielen, was mit meinem realen Alltag eben gerade nichts zu tun hat. Dabei darf es dann gerne auch mal düster oder schräg zugehen.
Warum?
Weil ich schräg gut finde. Das Leben selbst ist doch oft genug schräg. Und ich selbst bin es auch, selbst wenn man das vielleicht auf den ersten Blick nicht glaubt. Aber genau das ist der springende Punkt. Kein Mensch hat nur eine Seite, deswegen finde ich es furchtbar, dass immer alles und jeder in eine Schublade gesteckt wird. Dieser einseitige Blick ist in unserer Gesellschaft echt ein Problem. Deswegen bin ich – privat wie als Schauspielerin – immer auf der Suche nach Überraschungen und möglichst vielen Facetten. Alles andere langweilt mich.
Das Thema Schulabschluss fiel schon. Fühlte sich das an wie der Startschuss für einen neuen Lebensabschnitt?
Ich fand das schon ein tolles Gefühl, nicht mehr zur High School zu müssen. Außerdem habe ich mir ein paar Monate Auszeit genommen. Doch ansonsten ging es für mich erst einmal weiter wie vorher. Natürlich habe ich auch mal kurz darüber nachgedacht, ob ich vielleicht aufs College gehe. Dafür drehe ich allerdings viel zu gerne Filme. Irgendwann will ich auch selbst Regie führen. Meinen ersten Kurzfilm plane ich schon und habe mit Sofia Coppola ja das beste Vorbild, das man sich wünschen kann.
Sie scheinen sehr gerne zu arbeiten. Aber was macht Elle Fanning in ihrer Freizeit? Lesen? Serien gucken?
Beides gar nicht so sehr. Netflix zum Beispiel habe ich erst seit ein paar Monaten, so selten gucke ich Filme und Serien. Und ich bin eine sehr langsame Leserin, weswegen auch Bücher nicht so mein Fall sind. Wenn ich gar nichts zu tun habe, ziehe ich mich ehrlich gesagt gerne einfach in meinen Kopf zurück. Dann mache ich es mir gemütlich und denke nach. Aber ich habe auch sehr viele Freunde, und gerade jetzt im Sommer, wenn alle aus dem College zurückkommen, unternehme ich mit denen etwas. Ich male, mit Bleistift, Wasserfarben und Acrylfarben. Jeder Regisseur und jede Regisseurin, vor deren Kamera ich stehe, bekommt von mir ein Bild, das ich von meiner Figur gemalt habe. Schade eigentlich, dass ich nicht mal frühzeitig daran gedacht habe, die Bilder zu scannen oder so. Daraus hätte über die Jahre eigentlich ein schönes Buch entstehen können.