Im Selbstversuch hat StZ-Redakteur Knut Krohn die Wahlnacht im Internet, vor dem Fernseher und in der Stadt verbracht. Eine Chronologie.

Korrespondenten: Knut Krohn (kkr)

Stutttgart - Die Tagesschau ist der richtige Einstieg in solch eine lange Nacht. Die Sendung ist seit Jahrzehnten ein Fels in der Brandung, sie wirkt wie ein Anachronismus in einer Zeit, in der der amerikanische Präsident um 5.14 Uhr deutscher Zeit über Twitter seinen Sieg höchstpersönlich als erster in die Welt hinausposaunt.

 

Am Anfang des Wahlmarathons steht also die mediale Entschleunigung mit der altmodischen Tagesschau. Und der Abend beginn fast typisch mit einem trockenen Verweis, dass die Sondersendung zur US-Wahl erst um 22.45 Uhr gestartet werde. Das ist ein Schock, zumal auch die anderen TV-Sender zu dieser Stunde ebenfalls mit Informationen zur Abstimmung geizen. Das heißt: Ton wegdrehen und ab ins Internet. Dort stellt sich ein ganz anderes Problem: es schwirren so viele Informationen durch das Netz, dass erst einmal einige breite Schneisen in den Datendschungel geschlagen werden müssen. Auf Twitter machen Tweets die Runde, dass sich der Datenfluss am besten unter dem Suchbegriff „#election“ kanalisieren lässt. Danach noch die Seiten von CNN, CBS und zwei einschlägige Wahlseiten aufgerufen – jetzt kann es losgehen.

Schnell macht sich Ernüchterung

Nach diesen ersten, fast fiebrigen Vorbereitungen macht sich allerdings eine gewisse Ernüchterung breit, denn es passiert fast nichts. Egal, die Zeit bis zum Start der TV-Übertragungen kann zur weiteren Orientierung genutzt werden. Schnell stellt sich aber die Frage: Wieso twittern so viele Leute Fotos von Essen? Hamburger und Cola, die auf USA-Flaggen stehen? Im Internet finden sich auf Youtube schon die ersten Filmchen von der Stimmabgabe in den USA. Schnell Karriere macht ein kurzer Clip, in dem ein Wähler versucht, an einer elektronischen Wahlurne Barack Obama zu wählen, das grüne Häkchen aber immer nur bei Mitt Romney aufleuchtet. Sofort machen über Twitter die ersten Theorien über gezielte Wahlfälschungen die Runde.

Gegen 23 Uhr nehmen dann endlich die meisten TV-Stationen die Berichterstattung in geballter Form auf. Das Problem: inzwischen hat man über das Internet so viele Informationen in sich hineingepumpt, dass die Herrschaften auf der Mattscheibe im Grunde nichts Neues mehr zu erzählen haben. Das heißt: eine Analyse jagt die andere und überraschend ist nur, dass es ein schier unendliches Heer von Wahlexperten zu geben scheint. Das ZDF hat zudem ein gewisses Glaubwürdigkeitsproblem in Person von Markus Lanz. Der führt durch die Sendung, muss nun ein ernstes Gesicht machen, ist aber irgendwie als sackhüpfender Spaßmacher von „Wetten dass...“ abgespeichert.

Ein kurzer Abstecher zur Wahlparty am Charlottenplatz

In den nächsten Stunden hangelt sich die Berichterstattung von voller Stunde zu voller Stunde. Dann nämlich werden die neuen Ergebnisse aus den einzelnen Bundesstaaten bekannt gegeben. Es wird ermüdend viel erzählt, aber nichts gesagt. Um 2 Uhr nachts steuern wir dann endlich auf einen kleinen Höhepunkt zu. Obama gewinnt Massachusetts und Illinois und er führt offensichtlich im Schlüsselstaat Ohio. Es sieht zum ersten Mal gut aus für den amtierenden Präsidenten.

Nach dieser Neuigkeit sackt die eigene Aufmerksamkeitskurve allerdings dramatisch in den Keller. Nun ist die Zeit gekommen, sich kurz von der digitalen Medienwelt zu verabschieden und in die analoge Welt einzutauchen. Das Smartphone bleibt aber in der Tasche, um die Eil-Meldungen in Echtzeit zu bekommen. Der Weg führt ins Deutsch-Amerikanische Zentrum am Charlottenplatz. Dort wird eine Wahlparty gefeiert. Die Stimmung unterscheidet sich aber nicht wesentlich von den Events in ARD und ZDF und kann als ermattet-interessiert bezeichnet werden.

Auf dem Rückweg noch eine kurze Runde durch die Stadt gedreht – doch die ist kurz nach 3 Uhr wie ausgestorben. In New York wird in diesen Minuten das Empire State Building in blau und rot angestrahlt. An der farblichen Beleuchtung der Spitze des berühmten Wahrzeichens ist zu erkennen, wer gerade in Führung liegt. In Stuttgart ist es dunkel.

Um 4 Uhr morgens hilft nur noch Joggen gegen die Müdigkeit

Wieder zuhause werden erneut Fernseher und Rechner auf Hochtouren gebracht. Da leuchtet ein Tweet von Kai Diekmann, der einen Gruß aus Los Angeles schickt. Er habe dort Thomas Gottschalk getroffen, der an diesem Abend lieber in die Oper gehe. Diekmann: „Lohengrin anstatt Romney/Obama.“ Frage an den Bild-Chef: Wen interessiert das? Er antwortet nicht. Im TV redet Bruce Darnell, Schauspieler und Modell, belangloses Zeug über seine Heimat USA. Ermüdet sinken Körper und Geist rücklings auf das gefährlich bequeme Sofa. Auch die Nachricht, dass mit New Hampshire der erste „Swing State“ für Obama gestimmt habe, lässt zu dieser Nachtzeit das Adrenalin nicht mehr hoch kochen. Jetzt muss gehandelt werden. Der einzige Ausweg: Laufklamotten übergezogen und Turnschuhe an. Was ist es für ein Gefühl, nachts um 4 Uhr durch die Stadt zu rennen? Man versucht sich in ein finnisches Roadmovie hineinzuversetzen, kommt sich aber eher reichlich bekloppt vor. Und es wäre nicht notwendig gewesen, der Nachbarin im Treppenhaus zu begegnen, die noch reichlich verschlafen zur Frühschicht eilt.

Nach dem Duschen ist die Welt allerdings wie ausgewechselt. Die Müdigkeit ist weg und die seit Stunden ständig sinkende Qualität der Beiträge stört im Moment auch nicht mehr. Dann geschieht das Unerwartete. Barack Obama räumt nach einer Projektion des Fernsehsenders CNN um kurz nach 5 Uhr deutscher Zeit an der Westküste ab: Kalifornien mit seinen 55 Wahlmännerstimmen, Washington mit 12, Wisconsin mit 10 und Hawaii mit 4 gehen an den Amtsinhaber. Damit ist die Sache gelaufen. Obama twittert seinen Sieg in die Welt und über alle Kanäle flimmern Jubelbilder der Demokraten. Um 6.58 Uhr gratuliert Mitt Romney seinem Konkurrenten zum Sieg.