Der Trump-Triumph lässt nichts Gutes für die anstehenden Wahlen in Europa erahnen. Westliche Demokratien müssen daraus ihre Lehren ziehen, fordert StZ-Chefredakteur Joachim Dorfs.

Chefredaktion: Joachim Dorfs (jd)

Stuttgart - You Can’t Always Get What You Want“ – du kannst nicht immer bekommen, was du willst: Aus welchen Gründen auch immer Donald Trump, der nächste US-Präsident, diesen Rolling-Stones-Hit zur Hymne seiner Kampagne gemacht hat – er gibt das Motto dieser unglaublichen Tage, Wochen und Monate vor. Neben der Auseinandersetzung zwischen rechts und links, zwischen progressiv und konservativ, erlebt die Welt die Trennung in Etablierte und Außenseiter.

 

Die Wähler in den USA haben Trump nach einem unfassbar dreckigen Wahlkampf weder die Kompetenz noch die Urteilskraft für das mächtigste Amt der Welt zugesprochen – wohl aber den unbändigen Willen, es dem „Establishment“ zu zeigen. Den Wandel, den sein Vorgänger Barack Obama versprochen hat, soll nun Trump – auf seine Art – einlösen. Nimmt man seine Ankündigungen für bare Münze – die Abschaffung der Krankenversicherung für alle, den Bau einer Mauer zu Mexiko, das Ende der Klimapolitik und des Freihandels, um nur einige zu nennen –, dann stehen Amerika und der Welt unruhige Zeiten bevor. Nicht nur sind die USA in sich zerrissen, es werden sich auch Gräben auftun in internationalen Beziehungen, auch zu Europa. „Amerika wieder groß machen“ – sein zentrales Wahlversprechen macht die Welt zu einem unsichereren Ort und fügt sich nahtlos ein in die nationalistischen Tendenzen rund um den Globus.

Versöhnlicher erster Auftritt

Nun kann man Hoffnung haben, dass Trump vieles nicht so gemeint hat und im Amt von der Administration eingehegt wird. Sein erstaunlich versöhnlicher erster Auftritt nach seinem Triumph könnte darauf hindeuten. Doch umgekehrt hat er sich schon im Wahlkampf nicht zähmen lassen; durch seinen Sieg wird er sich bestätigt sehen. Wer also darauf setzt, dass der neue Präsident Realpolitik betreibt, kann sich gewaltig irren.

Es ist nach dem Referendum zum Brexit in Großbritannien am 23. Juni das zweite Mal, dass ein Land für einen so radikalen Wandel stimmt, was dunkle Schatten auf die anstehenden Wahlen in europäischen Ländern wirft – neben Deutschland vor allem in Frankreich. Nicht auszuschließen, dass der Rückenwind für die Populisten, der nun über den Atlantik weht, einer Marine Le Pen mit einem ähnlichen Programm in den Élysée-Palast verhilft.

Trump hat den Riss in den USA nicht erfunden

„Postfaktisch“ werden diese Zeiten genannt, doch das stimmt nur zum Teil. Zwar haben sowohl Trump als auch die Brexit-Befürworter Fakten bewusst ignoriert und gezielt gelogen. Und doch ist der Riss in der US-Gesellschaft keine Erfindung Trumps. Die Besorgten haben ihren Befürchtungen freien Lauf gelassen; Trump und andere Populisten bieten ihnen dafür die notwendige Projektionsfläche.

Hinzu kommt ein gesellschaftlicher Diskurs, der für viele Wähler offenbar irrelevant ist. In der veröffentlichten Meinung war Trump spätestens nach seinen sexistischen Aussagen über Frauen gestorben – das hat die Mehrheit der weißen Frauen aber nicht davon abgehalten, ihn zu wählen. Dies nicht kommen gesehen zu haben, den Stimmen und Themen der verschwiegenen Mehrheit zu wenig Bedeutung beigemessen zu haben, bedeutet auch ein Versagen von Politik, Meinungsforschern und Medien.

Zudem spielt übertriebene Political Correctness den Populisten genauso in die Karten wie Appeasement gegenüber den Gegnern der politischen Institutionen. Der Historiker Timothy Garton Ash hat jüngst eine „Infantilisierung des öffentlichen Diskurses“ beklagt. Die ständige Bereitschaft, auf unerwünschte Äußerungen beleidigt zu reagieren und diese unterdrücken zu wollen, sei eine „Krankheit unserer Zeit“. Umgekehrt: Wer die Herabsetzung von Parlamenten und staatlichen Einrichtungen toleriert, der muss sich über einen Wahlausgang wie in den USA nicht wundern.