Zum dritten Mal wirbt der US-Präsident in seiner Rede zur Lage der Nation um Zusammenarbeit mit der Opposition – wohl vergeblich  

Stadtentwicklung & Infrastruktur: Andreas Geldner (age)

Washington - Vielleicht sollte es Barack Obama einmal als Politiker in der Bundesrepublik versuchen. Vom Modell Deutschland hat der US-Präsident in der letzten Ansprache zur Lage der Nation in seiner ersten Amtszeit natürlich nicht gesprochen. Doch bei einer seiner Anekdoten aus dem amerikanischen Alltag pries der US-Präsident ausgerechnet die deutsche Firma Siemens für ihr Engagement bei der Ausbildung von Arbeitslosen für ein neues Gasturbinenwerk in North Carolina.

 

Was in Deutschland selbstverständlich ist, erscheint in den USA wie ein ungewohntes Bild der Harmonie: Eine Firma, die in Bildungsfragen Hand in Hand mit dem Staat agiert. „Es ist Zeit, dass wir unser System zur Verwaltung der Arbeitslosigkeit in ein System zur Wiederbeschäftigung verwandeln“, sagte Obama.

Den Namen des Konzerns, dessen Heimatland er allerdings verschwieg, nannte der US-Präsident im Kapitel Bildung gleich mehrfach. Deutschland lieferte auch eines der Beispiele für die erfolgreiche staatliche Förderung von grüner Energie. Und Berlin tauchte als eine der Hauptstädte auf, in der das Ansehen Amerikas – natürlich dank Obamas geänderter Außenpolitik – in den vergangenen Jahren wieder gestiegen sei.

Obama beißt weiterhin auf Granit

Doch der US-Präsident regiert nicht in Deutschland, wo die Kooperation zwischen Staat und Wirtschaft oder Koalitionen unterschiedlicher Parteien eine Selbstverständlichkeit sind. Im polarisierten amerikanischen Kongress beißt der Mann, der vor drei Jahren als Versöhner angetreten ist, mit seiner Vision einer aktiveren Rolle der US-Bundesregierung bei den Republikanern unverändert auf Granit. Und so wiederholte sich bei Obamas Auftritt im Kapitol ein vertrautes Ritual. Der Präsident versuchte sich als Pragmatiker und Versöhner zu inszenieren - wohl wissend, dass ihm dafür die politischen Partner fehlen.

Wenn Obamas Anhänger erwartet hatten, dass er den linken Populismus seiner jüngsten Reden aufgreifen würde, dann erfüllte der US-Präsident diese Erwartungen nicht. Obama teilte zwar heftig gegen den im Parteienstreit versunkenen Kongress aus. Doch seine Attacken packte er in einen langen Katalog konkreter Vorschläge, bei denen die Republikaner eigentlich nicht nein sagen könnten. Warum nicht nach mehr Öl und Gas bohren? Warum nicht ganz praktisch Bürokratie abbauen oder die Steuern für Unternehmen senken, welche Arbeitsplätze aus dem Ausland wieder in die USA zurückverlagern?

Aber 2012 ist ein Wahljahr. Es ist wenig wahrscheinlich, dass Obama im kommenden Dreivierteljahr vergönnt ist, was ihm in den ersten drei Jahren seiner Amtszeit nicht gelungen ist. Eine überparteiliche Koalition der Vernunft wird der von seinen Gegnern weiterhin dämonisierte Präsident kaum schmieden können. Doch mit einer bei Obama schon eine Weile nicht mehr erlebten rhetorischen Raffinesse mauerte er die Republikaner ein.

Opposition muss mitklatschen

Am Anfang seiner Rede würdigte er den angeblich erfolgreich beendeten Einsatz im Irak. „Wir sind heute in dem Wissen versammelt, dass diese Generation von Helden die USA sicherer und auf der ganzen Welt respektierter gemacht hat“, sagte der Präsident – und bügelte alle skeptischen Erinnerungen an den politisch verheerenden Konflikt einfach nieder.

Zum furiosen Finale der Ansprache pries er das Team an Elitesoldaten, das im Mai Osama bin Laden in Pakistan getötet habe, als Beispiel für die besten, überparteilichen Tugenden der Nation. „Einige mögen Demokraten sein. Andere Republikaner. Aber das spielt keine Rolle“, sagte Obama, der seinen Triumph gegen bin Laden noch einmal ausführlich auskostete. Da musste die Opposition mitklatschen, ob sie wollte oder nicht. Doch die Reihen der Republikaner waren auf dem rechten Flügel des Plenarsaals wieder dicht geschlossen.

Im vergangenen Jahr hatten sich nach dem schockierenden Attentat auf ihre demokratische Kollegin Gabrielle Giffords sich Abgeordneten beider Fraktionen demonstrativ nebeneinandergesetzt. Doch diesmal stimmte die parteipolitische Regie wieder. Großer Jubel begrüßte Giffords bei ihrem letzten Auftritt in der Kammer. Demonstrativ herzlich war auch der Beifall für Michelle Obama. Danach zog Eric Cantor, der geschäftsführende Fraktionschef der Republikaner und ein finanzpolitischer Hardliner die Zügel an.

Beifall immer dann, wenn die heldenhaften Soldaten gewürdigt wurden

Ein Blick in die Reihen – und dann gab er das Signal, wie auf die Worte des Präsidenten zu reagieren war: Beifall immer dann, wenn die heldenhaften Soldaten gewürdigt wurden.Gejohle, wenn der Präsident sich vermeintlich auf das eigene ideologische Terrain gab, etwa bei seinem Vorschlag, mehr heimische Energiequellen zu nutzen. Doch beim Herzstück von Obamas Vorschlägen, einem neuen Steuersystem, das den durch die am Ende dieses Jahres auslaufendenvon den Steuernachlässen von George W. Bush verwöhnten, reichsten zwei Prozent der ein paar Opfer abverlangen würde, rührte sich kein Finger.

Bereits der Vorschlag, einen kurz vor Weihnachten mühsam für zwei Monate verlängerten Lohnsteuerrabatt zu verlängern, dürfte schon bald wieder in die parteipolitische Mühle geraten. Die Republikaner wollen Obama auch im zweiten Anlauf dazu zwingen, als Gegenleistung, einer ökologisch umstrittenen Ölpipeline von Kanada an die Golfküste zuzustimmen. „Lasst uns doch hier und jetzt eine Übereinkunft finden“, sagte hingegen Obama: „Keine Nebenkriegsschauplätze. Kein Drama.“ Doch die Republikaner werden sich hüten, dem Präsidenten einen Erfolg zu gönnen.

„Keine dieser Reformen wird es geben, wenn wir nicht auch die Temperatur in dieser Stadt ein bisschen senken“, sagte Obama. „Yeaah“, johlten die Republikaner an dieser Stelle ganz besonders laut. Es klang fast wie Häme. „Die meisten Amerikaner denken wohl dasselbe“, sagte Obama: „Nichts wird in diesem Jahr getan werden, oder im nächsten oder vielleicht sogar im Jahr danach, weil Washington vollkommen kaputt ist.“ Das dürfte die präziseste Voraussage seiner Rede gewesen sein. Doch wenn ihm weiter so wenig Konkretes gelingt wie 2011, dann werden die Wähler im kommenden November nicht allein die Verantwortung bei den Republikanern suchen.