Bei Merkels Besuch in Washington geht es auch um das mögliche Freihandelsabkommen. Einige hoffen, dass die Visite einen Schub bringt. Andere ersehnen genau das Gegenteil.

Berlin - Die Reise Angela Merkels in die USA ist vom Bundespresseamt als „Arbeitsbesuch“ angekündigt. Insofern könnten durchaus einige politische Vorentscheidungen fallen, wenn die Kanzlerin am Freitag im Weißen Haus mit US-Präsident Barack Obama spricht. Es wird natürlich um die Ukraine gehen, aber auch um ein anderes heißes Eisen – die skeptisch beäugten Freihandelsgespräche zwischen Europäern und Amerikanern, die zu einer transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft führen sollen. Die englische Abkürzung lautet TTIP.

 

Kurz vor der fünften Verhandlungsrunde sind die Experten zuversichtlich, dass einem Abschluss der Gespräche noch in diesem Jahr auf technischer Ebene wenig im Wege steht. Zwar ist die EU-Seite enttäuscht, dass die US-Kollegen nur für 80 Prozent die Zölle abschaffen wollen, während die europäische Seite zuletzt angeboten hatte, dies bei 97 Prozent aller Handelsgüter zu tun. Und auch bei einem der wichtigsten EU-Anliegen, nämlich dem Zugang europäischer Firmen zu öffentlichen Ausschreibungsverfahren der US- Bundesstaaten, tut sich bisher nichts. „Wir haben klare Interessen, für die wir zu kämpfen bereit sind“, sagte EU-Handelskommissar Karel de Gucht der StZ. Weil die Amerikaner aber auch etwas vom größten Handelsblock der Erde wollen, glaubt man in Kreisen der EU-Kommission, die die Verhandlungen im Auftrag der Mitgliedstaaten führt, sich dennoch einig zu werden.Politisch freilich sieht das ganz anders aus – weshalb die Gespräche eigentlich ins Stocken geraten sind. Die Gründe hierfür sind auf beiden Seiten des Atlantiks zu suchen. Entsprechend richten sich vor Merkels Gespräch mit Obama die Erwartungen an beide Seiten. „Jetzt brauchen wir das politische Momentum, damit die Verhandlungen in der Spur bleiben und schlussendlich zu einem Abschluss führen”, so Handelskommissar de Gucht zur StZ: „Deshalb würde ich von Kanzlerin Merkel erwarten, dass sie diesem Projekt bei ihrem USA-Besuch einen positiven Schub gibt.“ Gleichzeitig ist auch ihm bewusst, dass vor November kaum etwas passieren dürfte, wenn in den USA Kongress-Zwischenwahlen anstehen. Vorher wird Obama gerade in seiner eher protektionistisch eingestellten Demokratischen Partei nicht bekommen, was für den Abschluss der Verhandlungen als nötig erachtet wird: ein sogenanntes Schnellverfahren.

Die Gespräche sind ins Stocken geraten

Im Gegensatz zum Europaparlament, das am Ende entweder Ja oder Nein sagen kann, darf der US-Kongress im normalen Verfahren zu jedem einzelnen Paragrafen Änderungsanträge einbringen. Um die Gespräche nicht weiter zu erschweren, sollen Senat und Repräsentantenhaus sich mit einer Zustimmung oder Ablehnung zum ganzen Paket zufriedengeben. Und da ist natürlich die NSA-Spähaffäre. Gerade ist bekannt geworden, dass die Bundesregierung offenbar eine Vernehmung des US-Enthüllers Edward Snowden im NSA-Untersuchungsausschuss ablehnt.

Martin Schulz will einen Neustart der Verhandlungen

„Ich würde mir wünschen, die Kanzlerin würde in Washington klare Aussagen dazu machen, erwarte es aber leider nicht“, sagt die Grünen-Spitzenkandidatin bei der Europawahl, Ska Keller. Der SPD-Europaabgeordnete Bernd Lange hofft daher, „dass Merkel in Washington nicht zu unterwürfig auftritt“. Aber auch ihre Parteifreunde im Europaparlament wie der Abgeordnete Daniel Caspary aus dem Handelsausschuss knüpfen eine Zustimmung zum Freihandel an ein transatlantisches Datenschutzabkommen: „Solange das nicht geklärt ist, werden wir TTIP auf der europäischen Seite nicht hinbekommen.“Auch in den europäischen Hauptstädten, die der EU-Kommission das entsprechende Verhandlungsmandat ausgestellt hatten, wachsen nun die Zweifel. Erst kürzlich beispielsweise fand ein Vermerk aus dem Bundesumweltministerium den Weg an die Öffentlichkeit, in dem nicht nur vor der Absenkung ökologischer Standards, sondern auch vor den geplanten Schiedsgerichten gewarnt wurde, vor denen Investoren Staaten nach einer Gesetzesänderung auf Schadenersatz verklagen könnten. „Der Widerstand gegen TTIP wächst“, stellt Martin Schulz, der Präsident des Europaparlaments, gegenüber der StZ fest, „weil die Menschen den Eindruck haben, dass hinter ihrem Rücken unsere Standards im Umwelt-, Sozial- und Lebensmittelbereich abgesenkt werden sollen.“ Gerade erst am Montag bekam der SPD-Spitzenkandidat, der nach der Europawahl EU-Kommissionspräsident werden will, allein aus Deutschland 460 000 Unterschriften gegen das geplante Abkommen überreicht. Im Falle seiner Wahl will er einen „Neustart der Verhandlungen“ durchsetzen.