Joachim Rücker war bisher der einzige Deutsche Präsident des Menschenrechtsrates. Nach dem Austritt der USA warnt er davor, dass die universelle Geltung der Menschenrechte in Zweifel gezogen wird. „Es darf nichts ins Bröckeln geraten“, sagt er im Interview.

Politik/ Baden-Württemberg: Christian Gottschalk (cgo)

Stuttgart - Der ehemalige Präsident des Menschenrechtsrats, Joachim Rücker, hält die Kritik der USA teils für berechtigt – deren Austritt aber nicht.

 
Herr Rücker, was bedeutet der Ausstieg der USA aus dem Menschenrechtsrat?
Das ist ein sehr schlechtes Signal. Es wird von vielen Beobachtern im Zusammenhang gesehen werden mit einem Niedrighängen der Menschenrechte durch Präsident Trump, zum Beispiel beim Umgang mit dem philippinischen Präsidenten Duterte und zuletzt mit dem nordkoreanischen Machthaber Kim Jong Un. Das trägt zur Relativierung und Verwässerung der Menschenrechte bei. Dass dies alles in dem Jahr geschieht, in dem wir das 70jährige Bestehen der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte feiern, ist eine bittere Pointe.
Aber ist die Kritik der USA am Menschenrechtsrat nicht berechtigt?
Teilweise ja. Ihr Haupt kritikpunkt ist, dass es überproportional viele Verurteilungen Israels gibt, und das stimmt. Das habe ich auch schon kritisiert, als ich 2015 Präsident des Rates war. Es gibt da eine strukturelle Asymmetrie. In jeder Sitzung des Rates gibt es den berühmten „Tagesordnungspunkt sieben“. Dabei geht es allein um Menschenrechte in Israel. Also: für diese Kritik habe ich Verständnis.
Dann ist der Austritt also berechtigt?
Nein. Die Kritik ist berechtigt, aber einen Austritt rechtfertigt das nicht. Der Rat ist das zentrale politische Gremium zur Durchsetzung der Menschenrechte. Die Zivilgesellschaft hat darin, anders als in anderen UN-Gremien, ihren festen Platz. Leitprinzip ist die universelle Geltung der Menschenrechte. Es ist wichtig, dass da nichts ins Bröckeln gerät. Es wäre richtig gewesen, das Gremium von innen heraus zu reformieren. Die von Nikki Haley gesetzte Frist von einem Jahr reicht da nicht.
Den Rat gibt es seit zwölf Jahren, er hat die Menschenrechtskommission abgelöst. Hätte man da nicht schon strukturelle Fehler beseitigen können?
Im Jahr 2021, also zum 15-jährigen Bestehen des Menschenrechtsrates, steht eine Überprüfung des Gremiums durch die UN-Generalversammlung an. Diese Chance hätten die USA nutzen können, um ihre Vorstellungen einzubringen und aktiv voran zu treiben. Es ist nicht so, dass bis dahin nichts geschieht. In meiner Amtszeit als Präsident ist es zum Beispiel gelungen, die Zahl der Resolutionen zu verringern, um eine Konzentration auf das Wesentliche zu fördern, etwa auf die Ergebnisse der Untersuchungskommission zu Syrien.
Wie haben Sie die Zusammenarbeit mit den USA in Erinnerung?
Die Zusammenarbeit war ausgesprochen gut. Damals hatte die Obama-Regierung Keith Harper als Vertreter entsandt. Mit den USA gibt es zwar auch Differenzen, zum Beispiel mit Blick auf die Todesstrafe. Grundsätzlich sind die USA aber immer ein starker Anwalt der Menschenrechte gewesen. Ich erinnere mich zum Beispiel an Sitzungen, in denen alleine die USA und Deutschland Menschenrechtsverletzungen in China kritisiert haben.
Zählen Menschenrechte bald nur noch in Europa?
Menschenrechte haben es derzeit schwer, es wäre aber völlig falsch, wenn wir uns auf das hohe Ross schwingen würden. Im Menschenrechtsrat wird jedes UN-Mitgliedsland alle vier Jahre überprüft. Als Deutschland zum letzten mal an der Reihe war, da gab es rund 150 Empfehlungen für Änderungen, zum Beispiel im Bereich der Sicherungsverwahrung.