Reinhard Wahl gestaltet seine Stadtführung „Vaihingens Knäste“ am Sonntagnachmittag für rund 50 Teilnehmer so anschaulich und interaktiv wie möglich – anketten eingeschlossen. Neun Knäste besaß die Amtsstadt im laufe der Jahrhunderte.

Aus den Stadtteilen: Kathrin Wesely (kay)

Vaihingen/Enz - Bettina Frank-Landenfeld reibt sich das Handgelenk. „Das ist schwer, und mit der Zeit scheuert es die Haut auf“, sagt sie, als die eisernen Schließen um Fessel und Handgelenk wieder geöffnet werden. Rasselnd fällt die Kette zu Boden, mit der sie an einem Ring an die Wand geschlossen war. Einige Spaßvögel aus der Gruppe hatten schon gefrotzelt, sie würden jetzt in die Eisdiele gehen und sie im Turm zurücklassen. „Ich bringe dir aber zwei Kugeln mit, wenn wir wiederkommen“, tröstet sie ihr mitfühlender Gatte.

 

Reinhard Wahl gestaltet seine Stadtführung „Vaihingens Knäste“ am Sonntagnachmittag für die rund 50 Teilnehmer so anschaulich und interaktiv wie möglich – anketten eingeschlossen. Der Pulverturm, 1493 als Eckpunkt der Stadtmauer erbaut, ist bereits die dritte Station auf seiner kurzweiligen Tour. „Kriminalgefängnis“ war der gedrungene Turmbau nur interimsweise in den Jahren 1819 bis 1844. „Danach wurde das Oberamtsgefängnis gebaut“, erklärt Wahl. „Belegungsobergrenzen gab es nicht. Man kann davon ausgehen, dass das Gefängnis bei Bedarf zugepflastert wurde.“ Insbesondere in Zeiten von Hungersnöten sei es zu Unruhen gekommen, und die Obrigkeit habe die Aufständischen dann kurzerhand eingesperrt.

Obdachlosigkeit als Haftgrund

Bei harmloseren Delikten landete man im Ortsarrest. Das Gebäude selbst steht nicht mehr, aber die Gitter der früheren Zellenräume sind an der Rückseite des Rathauses erhalten. Um in die gruftige Obhut zu gelangen, bedurfte es keines besonderen kriminellen Engagements: „In den Ortsarrest kam man bei kleineren Gaunereien wie Felddiebstahl. Das konnte auch Schulkinder treffen. Selbst Obdachlosigkeit genügte als Grund zum Einsitzen.“

Die schonendere Variante der Bestrafung war der Pranger, erklärt Reinhard Wahl. „Wenn einen der Ortsbüttel abstrafen wollte, wurde man im Freien angekettet und öffentlich erniedrigt.“ Kinder hätten die armen Teufel dann beschimpft und angespuckt. „Eine hässliche Strafe, aber immerhin blieben Leib und Leben verschont“, sagt der Stadtführer.

Die härteste Strafe aber traf den berühmtesten Verbrecher, der je in der Stadt dingfest gemacht wurde: Das Sonnenwirtle von Ebersbach, alias Friedrich Schwahn, wurde am 30. Juli 1760 im Galgenfeld außerhalb der Stadt unter den Blicken Hunderter Zuschauer zuerst gerädert, dann geköpft. Die Geschichte des Gastwirtsohnes und „verhaltensauffälligen Jungen“, der später als Halunke Karriere machte, diente Friedrich Schiller als Inspirationsquelle für sein berühmtes „Räuber“-Drama. Was selbst Vaihingern nicht so geläufig sein dürfte: Schwahn war zuvor längere Zeit im „oberen Stüble“ des Kirchtor-Turms gefangen gehalten worden. „Eine Rechnung für die Sicherheitsausstattung belegt, dass extra für das Sonnenwirtle die Schlösser verstärkt worden sind“, berichtet Wahl. Auch für die beiden Gefährtinnen des Räubers wurde eigens eine sichere Bleibe geschaffen: Für Katharina Schenk und die Schwarze Christina wurde im Spital ein Verschlag gezimmert, „sicherlich nicht aus Dachlättle“, wie der Stadtführer mutmaßt. Die beiden Frauen wurden zusammen mit dem Sonnenwirtle hingerichtet.

Auch Strafe unterliegt der Mode

Aber damit der Knäste Vaihingens nicht genug: Eingesperrt wurde Menschen auch in den Bürgerturm, auf der Burg Kaltenstein sowie im Loch. Letzteres befindet sich im Haspelturm und war besonders grausig. In das acht Meter tiefe Loch wurden die Gefangenen von oben mit einem Seil hinab- gelassen und heraufgezogen. „Vaihingen war als württembergische Amtsstadt seit Jahrhunderten Sitz der Obrigkeit. Dazu gehörten Ingewahrsamnahme, Inhaftierung und Strafvollzug“, sagt Wahl. „Woher der Zeitgeist wehte, zeigte sich zugespitzt bei den Kriterien einer Inhaftierung. Von Willkür bis Rechtsstaat reichte das Spektrum.“