Eine Initiative setzt sich für die Abkehr von der puren Marktwirtschaft ein. Ein Vortrag in Vaihingen/Enz soll helfen, Unterstützer zu gewinnen - in Stuttgart ist man da allerdings schon viel weiter.

Vaihingen/Enz - Es hat mehr als zwei Jahrzehnte gedauert, bis Steffen Keuerleber bemerkt hat, dass es so nicht weitergehen kann. Stetig und steil war der gelernte Bankkaufmann aus dem Vaihinger Stadtteil Riet auf der Karriereleiter nach oben geklettert. Bis in die Führungsetagen genossenschaftlicher Banken und einer Stuttgarter Unternehmensberatung. Dann, vor rund vier Jahren, vollzog er einen radikalen Bruch. Ausstieg, Neubeginn. Heute ist Keuerleber Physiotherapeut – und Mitinitiator der jungen Vaihinger Initiative für Gemeinwohlökonomie.

 

Gier und Profitmaximierung seien noch nie seine Triebfedern gewesen, sagt Keuerleber. Er habe gehofft, „dass ich in der Wirtschaft etwas verändern kann, wenn ich aufsteige. Das war ein Trugschluss.“ Letztlich habe er sich „gefühlt wie ein Don Quichotte. Viele Kollegen wollten oder konnten mich gar nicht verstehen.“ Er sei sich im Joballtag mitunter vorgekommen, „als ob ich eine Tarnkappe tragen müsste“.

Abkehr von der Profitmaximierung

Nun, da er sich der lästigen Kappe entledigt hat – auch dank eines finanziellen Polsters aus seinen Banker-Zeiten – schwärmt der 45-Jährige von den Grundsätzen und Möglichkeiten der Gemeinwohlökonomie. Die Idee eines dritten Wegs zwischen Planwirtschaft und Kapitalismus geht zurück auf den Österreichischer Christian Felber. Der Kerngedanke seines Konzepts ist eine Abkehr von der nackten Gewinnmaximierung.

Just jener Vordenker ist kommende Woche zu Gast in Vaihingen und soll helfen, Mitstreiter für die dortige Initiative – nach Stuttgart erst die zweite in der ganzen Region – zu gewinnen. Bislang gebe es rund 16 mehr oder weniger aktive Bürger in der Gruppe. Felber gilt als begabter Rhetoriker, der seine Vorträge auch mit tänzerischen Einlagen garniert. Gerne macht er etwa zu Beginn einen Kopfstand, um zu illustrieren, dass wir unser Wirtschaftssystem vom Kopf wieder auf die Füße stellen sollen. Sein Vehikel auf dem Weg zum ethischen Wirtschaften heißt „Gemeinwohlbilanz“.

Gut für den Dax-Kurs? Schlecht für die Bilanz!

Üblicherweise wirken sich etwa Massenentlassungen positiv auf den Börsenkurs eines Unternehmens aus. In der Gemeinwohlbilanz werden sie mit heftigem Punktabzug bestraft. Generell gilt: alles, was wirtschaftliche Akteure tun und was Auswirkungen auf das ökologische oder soziale Umfeld hat, soll in dieser Bilanz auftauchen. Zudem soll sie für jedermann gut verständlich sein, weil sie auf einer Skala mit maximal 1000 Punkten basiert.

Dass seine Initiative oft in eine Schublade mit Grünen oder Anthroposophen gesteckt wird, ficht Steffen Keuerleber nicht an. „Wir sind parteilich ungebunden und für alle offen“, wenngleich es „natürlich gewisse Schnittmengen“ mit besagten Gruppierungen gebe. Den Vorwurf, einer blanken Utopie nachzuhängen, höre er mitunter – er treffe aber nicht zu. „Alle hier propagierten Werte stehen in den Verfassungen aller EU-Länder.“

„Die Stadt könnte enorm profitieren“

Zarte Kontaktaufnahmen mit örtlichen Unternehmen und der Stadt gebe es schon. Die Gruppe wolle sich um Anerkennung als Teil der Lokalen Agenda bemühen. Doch von einer Unterstützung wie in Stuttgart können die Vaihinger bislang nur träumen: Auf Antrag der Grünen wurden dort 100 000 Euro bereitgestellt, als Anschubfinanzierung für die ersten Gemeinwohlbilanzen von städtischen und privaten Unternehmen. Ob und inwieweit die Stadt Vaihingen sich ebenfalls einbringt, weiß Keuerleber noch nicht. Für ihn steht aber fest: „Die Stadt könnte enorm profitieren.“