In Bulgarien graben Archäologen immer wieder Skelette aus, die mit Keilen, Kreuzen oder Nägeln malträtiert wurden - weil man sie für Vampire hielt.

Korrespondenten: Thomas Roser (tro)

Sofia - Das Kreuz schützt notfalls auch die Diener der Wissenschaft vor dem bösen Geist. Jede Menge von Jahrhundertealten Überresten haben die emsigen Mitarbeiter des Historischen Museums in der bulgarischen Hauptstadt Sofia schon gewaschen. Doch die Arbeit an der jüngsten Museumsattraktion ließ nun auch die kaltblütigen Knochenwäscher fröstelnd schaudern. Ein Mitarbeiter habe beim Säubern der 700 Jahre alten Gebeine ständig das Kreuz geschlagen, berichtet der Museumsdirektor Bozidar Dimitrov: Vampir-Ängste seien in seinem Land eben noch immer sehr lebendig.

 

Ein wuchtiger Metallkeil ragt aus dem Brustkorb des ausgestellten Verblichenen: Aus Angst, dass der Verstorbene sie als blutsaugende Nachtgestalt heimsuchen könnte, hatten seine Mitbürger der Leiche im 14. Jahrhundert eine Pflugschar ins Herz geschlagen. Als „seltsamen Beweis für den Glauben und Aberglauben unser Vorväter“ stellt das Sofioter Museum eines der beiden im Juni auf einem Friedhof in der Schwarzmeer-Stadt Sozopol ausgegrabenen Skelette angeblicher Vampire aus.

Es ist nicht der erste „Vampir“-Fund in dem Balkanland. In Veliko Tarnovo hatten Archäologen zuvor ein mit vier Eisenschellen „gebändigtes“ Skelett gefunden. Im Dorf Debelt waren 2004 sechs Vampire gefunden worden, die mit ihren Schädeln, Armen und Beinen auf den ungewöhnlich tiefen Grabesgrund genagelt worden waren.

Vampire machte man für Krankheiten verantwortlich

Der Volksglaube, dass Untote nachts aus ihren Gräbern auferstehen, geht auf heidnischen Vorzeiten zurück und stammt aus Südosteuropa – und ist in abgelegenen Balkanregionen bis heute verbreitet. In manchen bulgarischen Dörfern werden den Toten noch immer die Füße gebunden, um ihre Wiederauferstehung als Vampir zu vermeiden. Aus Ostserbien werden in der sommerlichen Saure-Gurken-Zeit immer wieder herumgeisternde Vampire vermeldet. In dem rumänischen Dorf Marotinu de Sus sollen Bewohner noch 2005 aus dem Leichnam eines zwei Jahre zuvor verstorbenen Familienangehörigen das Herz herausgeschnitten und verbrannt haben.

Die regelmäßigen Pestepidemien bestärkten im Mittelalter die Furcht vor Vampiren, die man für Krankheiten und Missernten verantwortlich machte. Zur Beerdigung der Opfer wurden Gräber wieder geöffnet: Dabei jagte der Anblick halbverwester oder durch Fäulnisgase aufgeblähter Leichen den Zeitgenossen im irdischen Jammertal Angst und Schrecken ein. Die blutfarbene Fäulnisflüssigkeit, die den Toten aus der Lunge durch Nase und Mund drang, sorgte für die scheinbare Bestätigung der Blutsaugermär.

400.000 Dracula-Touristen kommen im Jahr

Doch erst als die Habsburger sich im 17. Jahrhundert daran machten, die Region von den Osmanen zurückzuerobern, gelangten die Berichte über die südosteuropäische Vampir-Plage verstärkt nach Mittel- und Westeuropa. Der erste bekanntere Vampir soll 1672 im kroatischen Dorf Kringa aus seinem Grab gestiegen sein, um seine einstigen Mitbürger zu terrorisieren. Die Habsburger schickten 1725 selbst einen Kameralprovisor ins ostserbische Dorf Kisolova, um die dortige „Vampir-Epidemie“ zu klären. Gleichzeitigen häuften sich in Westeuropa die wissenschaftlichen Untersuchungen über das Vampir-Phänomen. Doch erst dessen literarische Aufarbeitung im 19. Jahrhundert verhalf Südosteuropas Blutsauger-Legenden zu weltweiten Ruhm. Das rumänische Transsylvanien (Siebenbürgen) hatte der irische Schriftsteller Bram Stoker zwar nie besucht: Doch sein 1897 veröffentlichter Roman „Dracula“ lässt an den vermeintlichen Lebensstätten des Fürsten Vlad III. Draculea bis heute die Kassen klingen.

Mehr als 40.000 Menschen ließ „Vlad, der Pfähler“ im 15. Jahrhundert angeblich ertränken, erhängen oder auf Pfähle spießen. Mit ihrem Dracula-Erbe wuchert nicht nur die Stadt Sighisoara (Schäßburg), wo der Schreckens-Vlad seine Kindheit verbracht haben soll, sondern vor allem die zu sozialistischen Zeiten zum Dracula-Domizil erklärte Burg Bran unweit von Brasov (Kronstadt). 400.000 Dracula-Touristen lassen alljährlich in den Souvenirläden und Pensionen um die schmucke Burg die Kassen klingen: Der historische Walachen-Fürst hatte in dem Gemäuer allenfalls eine Nacht oder gar nicht geweilt.

„Positive Effekte“ für den Tourismus erhofft sich dank ihrer Vampirfunde nun auch das bulgarische Sozopol: Die geschäftstüchtigen Stadtväter erwägen nun selbst eine Städtepartnerschaft mit der rumänischen Dracula-Metropole Sighisoara. Die Wirtshäuser der Schwarzmeer-Stadt bieten nach den jüngsten Knochenfunden bereits Vampir-Steaks und Vampir-Cocktails an. Doch allzu ausgiebig wollen Bulgariens findige Tourismus-Strategen ihre Blutsauger sicherheitshalber nun doch auch nicht melken: Das zweite nun gefundene Vampirskelett soll in Sozopol vorsichtshalber wieder begraben werden.