Das neue Varieté soll am 4. Dezember Premiere feiern. Die Kostenexplosion beim Holz-Beton-Neubau auf dem Pragsattel ist für die Stadt Stuttgart ein Déjà-vu-Erlebnis.

Stuttgart - Es geht „Schlag auf Schlag“, alle arbeiten „Hand in Hand“ und es ist ein einziges „Hin und Her“ zwischen der ehemaligen Veranstaltungsstätte des Friedrichsbau-Varietés in der Rotunde der L-Bank und dem ganz in Schwarz gehaltenen Holz-Beton-Neubau auf dem Pragsattel, der neuen Heimat für zunächst fünf Jahre. Die Geschäftsführung hat am Freitag, akustisch begleitet von Kreissägen und Bohrhämmern, versucht, die Besonderheiten der reichlich unfertig anmutenden Räume zu beschreiben, in denen am 4. Dezember mit einer Elvis-Show Premiere gefeiert werden soll. Der erste Termin im November hatte bekanntlich verschoben werden müssen, weil im städtischen Liegenschaftsamt die zu bearbeitende Akte im Stapel nicht nach oben gewandert war.

 

Die wichtigsten Neuerungen sind eine 200 Quadratmeter große und 1,30 Meter hohe Bühne, auf der die „Shows nun nicht mehr so gedrungen erscheinen“, sagt Geschäftsführer Timo Steinhauer. Außerdem habe man auch in der letzten Reihe gute Sicht. Anders als in der Rotunde mit ihrem doch überschaubaren Durchmesser sitzen die Besucher künftig nicht mehr wie Sittiche auf der Stange, sondern werden in kleinen und größeren Gruppen an richtigen Tischen platziert – eben so, wie es sich in einem „Verzehrtheater“ ziemt.

Das Varieté wird kulinarisch aufgepeppt

Geschäftsführerin Gabriele Frenzel, die seit der ebenso unerwarteten wie unerfreulichen Kündigung durch die L-Bank zwei harte Jahre hinter sich hat, freut sich nun darauf, endlich der Gastro-Zelt-Konkurrenz, die ihr in den Wintermonaten Gäste abspenstig gemacht hat, eine Speisekarte entgegenhalten zu können, die mehr bietet als nur Häppchen und Käseteller. Dafür sollen die Pächter von der Goldrausch-Gastronomie sorgen – Oliver Haug, Michail Toutountsidis und Sterne-Koch Michael Braun, der zuletzt im Mercedes-Benz-Museum für die Sarah-Wiener-Dependance Tafelspitzen wirbelte. Um eine Vorstellung dafür zu bekommen, was das kulinarisch aufgepeppte Varieté seinen Gästen abverlangt, empfiehlt Steinhauer, vorab das Drei-Gang-Menü zu bestellen und in Kombination mit dem besten Platz am Wochenende 77 Euro bereitzuhalten. Wer aber annimmt, man könnte einfach während einer Jonglage oder Trapeznummer mit dem Teller klappern, täuscht sich. Gegessen werde entweder vorher oder in der Pause, sagt Pressesprecherin Mascha Hülsewig.

58 Prozent Auslastung müssten zum Überleben reichen, hat die Geschäftsführung errechnet, nachdem sie Anfang des Jahres mit Verweis auf die frisch erworbene Gemeinnützigkeit, die jegliche Gewinnerzielungsabsicht untersagt, einen Rettungs-Euro aufs Ticket drauf geschlagen hat. Die Rechenkünste werden im Rathaus allerdings mit Vorsicht genossen, nachdem die erste Kalkulation schon bei der ersten Belastungsprobe durchgefallen war. Natürlich war allen Beteiligten schon vorher klar gewesen, dass das Varieté mit 450 000 Euro Zuschuss und Eigenmitteln von einer Million Euro nicht weit kommen würde; die Stadträte trauten sich nur nicht, das auch mit einem Nein zum Zuschuss zu bekunden. Bühnenreif inszenierte Empörung dann vor wenigen Wochen bei der nächsten Kostenexplosion, die mit der Verschiebung des Premiere-Termins einher ging. Um das Projekt nicht zu gefährden, gab es 475 000 Euro Nachschlag in Form eines fast zinsfreien Darlehens und 145 000 Euro als Entschuldigung für die Einnahmeausfälle in Folge behördlichen Schwergangs.

Schon 1992 gab es ein Debakel um ein Interimszelt

Für Stuttgarts Baubürgermeister Matthias Hahn ist das ein Déjà-vu. 1992 war er als SPD-Fraktionschef („Ein Varieté gehört zum unabdingbaren Repertoire einer Großstadt“) Akteur in einer ähnlich grotesken Inszenierung mit dem damals noch städtischen Theater als Schaubühne. Dessen Chef Roland Haas, eine graue Eminenz aus dem Kulturamt, träumte von einer ganzjährigen Spielzeit in neuem Haus, wofür es sich anbot, die inadäquate „Ländliche Gaststätte“ am Killesberg für unsanierbar zu erklären. Nicht nur wegen dieser (Fehl)einschätzung gehörten die Rechnungsprüfer später zu den Varieté-Stammgästen. Ein Faible für schwer kalkulierbare Interimsbauten hatten die Verantwortlichen schon damals. Weil für Haas der SPD-Vorschlag, die Rotunde in der L-Bank zu nutzen, nicht in Frage kam – mit einer „Nudelbrettbühne lassen sich doch Shows nicht zeitgemäß präsentieren“ – gab es ein Zelt neben dem Planetarium. Drei Wochen vor der Eröffnung, 400 000 Euro waren schon verbaut und Künstlerverträge im Umfang von einer Million Euro abgeschlossen, verweigerte der Gemeinderat konsterniert eine Zugabe von 360 000 Euro – wie heute erwies sich das Fundament als Problemzone. OB Manfred Rommel ordnete einen Baustopp an, CDU-Kultursprecher Christoph Palmer unterstellte dem Kulturamt, die Kosten bewusst zu gering angesetzt zu haben. Die Premiere wurde vertagt, drei Wochen später gab es dann aber doch 375 000 Euro Nachschlag.

Ein Jahr später bekam der Steuerzahler die Rechnung serviert – das Intermezzo im Zelt hatte 2,7 Millionen Euro gekostet. Danach zog das Varieté doch in die Rotunde.