Im Trainingslager des VfB Stuttgart gibt sich Armin Veh nicht nur volksnah, er bastelt auch an einer neuen sportlichen Ausrichtung. Er variiert das Spielsystem und macht Hoffnung auf bessere Zeiten. Er hat dafür einen Zweistufenplan.

Sport: Carlos Ubina (cu)

Mayrhofen - Der Chef gibt sich volksnah. Jederzeit können die Fans rund um das Lindenstadion in Mayrhofen-Hippach Armin Veh ansprechen. Meist erhalten sie auch eine lässige Antwort vom Trainer des VfB Stuttgart. Gelegentlich hält er nach einer Übungseinheit im österreichischen Trainingslager sogar ein Schwätzchen mit ihnen – was sich beim Fanabend des Fußball-Bundesligisten im Zillertal zu einer Diskussion auswachsen kann.

 

Ständig begegnet Veh in diesen Gesprächen die Sorge der Anhänger, so eine miserable Saison wie die vergangene nicht noch einmal erleben zu müssen. Aber auch die Sehnsucht der VfB-Fans nach alten Erfolgen kommt häufig durch. Mach’s noch einmal, Armin, heißt es dann. So wie 2007, als die Stuttgarter mit Veh als Trainer überraschend Deutscher Meister wurden.

Wie Borussia Mönchengladbach

Doch selbst ein Veh kann das nicht herbeizaubern. Jedenfalls nicht auf Anhieb. Er sei Realist und kein Magier, betont der Coach dann immer. Und der Realist in Veh hat sich einen Zweistufenplan für seine Mission beim VfB zurechtgelegt. Stufe eins: das Niveau beim Bundesligisten wieder so weit zu heben, dass sich dieser sicher fühlen kann, so zwischen Platz acht und zwölf. Stufe zwei: aus der Mittelmaßmannschaft dann wieder ein Team mit internationalen Ambitionen zu formen, so zwischen Rang sechs und irgendwas weiter vorne.

Wie Borussia Mönchengladbach. Das ist Vehs Orientierungspunkt. Ein Team, das in den vergangenen Jahren organisch gewachsen ist, und ein Club, der sich jetzt Spieler leisten kann, an die der VfB nicht einmal zu denken braucht. Aus diesem Grund hat Veh – entgegen seiner Gewohnheit – in Stuttgart auch einen Zweijahresvertrag unterschrieben. Er weiß: er braucht Zeit. Und die erste Kernfrage, die sich ihm stellt ist: Schafft er es, aus dem Kader eines Tabellen-15., der angeblich besser als seine Platzierung zuletzt sein soll, mehr herauszuholen? Denn besser als ein gewöhnlicher Abstiegskandidat hat der VfB in der vergangenen Saison nicht gespielt.

„Es ist kein Zufall, dass der VfB in den vergangenen zwei Jahren Fünfzehnter und Zwölfter geworden ist“, sagt Veh. Das sei auch eine Frage der Qualität beziehungsweise des Qualitätsverlusts. Es hat seinen Vorgänger Huub Stevens bekanntlich größte Anstrengungen gekostet, die Stuttgarter überhaupt dorthin zu schleppen, und der neue Trainer ist nun dabei, einige der personellen, strukturellen und atmosphärischen Baustellen, die der Niederländer Stevens im Abstiegskampf nur provisorisch zugeschüttet hat, abzuarbeiten. Die Zusammenstellung des Kaders. Die Führung der Mannschaft. Die fußballerische Entwicklung. Die Erwartungen von außen und innen.

Fast täglich ein neues Spielsystem

Mit all dem muss sich Veh auseinandersetzen – und er tut es erstaunlich gelassen. Obwohl er genau spürt, dass er einerseits die große Vergangenheit des VfB verkörpert, andererseits aber auch die große Hoffnung auf eine bessere Zukunft. „Ich sehe schon die Chance, hier eine Überraschung zu schaffen, eine Euphorie zu entfachen“, sagt Veh. Weshalb sich der 53-Jährige vor allem auf das konzentriert, was er am besten kann: Trainer sein, Fußball vermitteln.

Ein Offensivspieler für die linke Außenbahn soll dazu möglichst bald noch kommen, danach will Veh den Kader auf 24, 25 Spieler reduziert haben, um den VfB effektiv entwickeln zu können. Wobei Veh ja nicht dafür bekannt ist, ständig alle Spieler besser zu machen. Er ist dafür bekannt, ständig Mannschaften zu bauen und diese dann besser zu machen – indem er Abläufe erklärt und Automatismen verfeinert.

Kalkulierte Verwirrung

Permanente Systemwechsel lässt der Trainer dazu gerade praktizieren. Mal 4-2-3-1, mal 4-4-2, mal 4-3-3. Wohl auch am Mittwoch wieder im Test gegen den türkischen Erstligisten Rizespor (19.30 Uhr/Sport 1). Doch das sind keine Experimente auf der Suche nach der geeigneten Grundformation, vielmehr soll die Flexibilität zum Standard werden. „Wir wollen nicht auszurechnen sein. Dafür reicht ein System nicht mehr“, sagt Veh über sein sportliches Projekt.

Es ist die kalkulierte Verwirrung, die beim Gegner ausbrechen soll, der nicht weiß, wer oder was auf ihn zukommt. Es ist aber auch der Plan, aus dem Stuttgarter Fußballtrott auszubrechen. Der Mannschaft eine neue Spannung zu verleihen, ihr einen frischen Geist zu implantieren. „Die Spieler müssen wissen, dass es nur zusammen geht; dass es keinen Platz für rein egoistische Gedanken gibt“, sagt Veh, „sonst haben wir keine Chance.“

Am Spielfeldrand soll das Gemeinschaftsgefühl jedoch nicht enden. „Wir wollen die Leute mit mutigem Fußball wieder begeistern“, sagt Veh. Grundsätzlich, aber vor allem bis es so weit ist, empfiehlt er den Schwaben „lockerer zu werden“, nicht ständig griesgrämig durch die VfB-Welt zu laufen und Skepsis zu verbreiten. Ein lässiger Kontakt zwischen Trainer und Fans, wie Veh ihn pflegt, kann für diesen Stimmungsumschwung schon ein Anfang sein.