In Stuttgart protestieren Eltern, Lehrer und die Schulbürgermeisterin gegen neue Vorgaben des Kultusministeriums. Die Schulbürgermeisterin droht mit der Rücknahme der Ganztagsanträge. Drei Schulen wären davon betroffen.

Stuttgart - Weil Kultusminister Andreas Stoch (SPD) drei Stuttgarter Schulen die schrittweise Einführung der Ganztagsschule zum kommenden Schuljahr untersagt hat, will Schulbürgermeisterin Susanne Eisenmann (CDU) die Anträge auf Ganztagsschule zurückziehen – gegen den Wunsch der Schulen. Eltern und Lehrer sind deswegen wütend. Betroffen sind die Grund- und Werkrealschule Stammheim, die Riedseeschule in Möhringen und die Schule Im sonnigen Winkel. Am Dienstag soll der Schulbeirat über die Vorlage beraten und am 20. Mai der Verwaltungsausschuss darüber entscheiden.

 

Den Protest der Stammheimer Eltern hat die dortige Elternbeiratsvorsitzende Melanie Oberländer dem Kultusminister bereits am 27. April schriftlich mitgeteilt. Es sei eine „grobe Benachteiligung der Stammheimer Elternschaft“, dass das Kultusministerium die schrittweise Einführung der Ganztagsschule zum kommenden Schuljahr untersagt habe. Die Eltern wollen, dass der Ganztagsbetrieb nur in Klasse eins beginnen soll und nicht an allen vier Klassenstufen auf einmal.

Brief an den Kultusminister geht auch den Ratsfrakionen zu

Der Brief ist auch an Ratsfraktionen, Schulverwaltungsamt, Bezirksvorsteherin und Gesamtelternbeirat adressiert. Unmut wurde zudem an der Riedseeschule in Möhringen laut. Nur die Schule Im sonnigen Winkel, die ebenfalls von der Regelung betroffen ist, lehnte gegenüber der Stuttgarter Zeitung eine Stellungnahme ab.

Für alle drei Schulen hatte die Stadt fristgerecht im Herbst die Anträge für eine verpflichtende Ganztagsschule in Wahlform eingereicht. Das bedeutet, dass Eltern dort wählen können zwischen verpflichtendem Ganztagsbetrieb und klassischem Halbtag. Zu diesem Zeitpunkt standen die detaillierten Ausführungsbestimmungen des neuen Schulgesetzes laut Schulbürgermeisterin Eisenmann noch nicht fest. Anfang dieses Jahres sei klar geworden, dass Schulen, die den Familien beide Formen – Ganztag und Halbtag – anbieten wollen, dies nicht mehr wie bisher schrittweise einführen dürfen, sondern nur in allen vier Klassenstufen auf einmal.

Eltern lehnen Zwangsverpflichtung in den Ganztag ab

Damit hatten auch die Eltern nicht gerechnet. „Die Einführung der Ganztagesgrundschule für alle Jahrgänge ist von den Eltern nicht gewünscht, wird nicht unterstützt und sorgt für Ärger“, schreibt die Elternbeiratschefin dem Minister. Besonders empfindlich reagieren die Eltern auf die Ansage, dass nach der Vorgabe des Landes somit Schüler der Klassenstufen zwei bis vier, die bisher flexibel betreut werden, künftig zwangsweise in den verpflichtenden Ganztag wechseln müssten oder nur noch eine Kernzeit bis 14 Uhr hätten.

„Auch die Kollegen sind wütend“, berichtet die Stammheimer Rektorin Claudia Neulinger. „Da steckt viel Arbeit dahinter, auch viel Überzeugungsarbeit. Nun hätten wir fürs kommende Schuljahr zwei Ganztagsklassen, die anfangen können“, so Neulinger. Und deshalb argumentiert sie, trotz des Ärgers der Eltern, gegen Eisenmanns Vorstoß: „Ich bin dagegen, dass die Stadt den Antrag zurückzieht – wir machen uns vollkommen unglaubwürdig.“ Das sei so von der Stadt auch nicht mit der Schule abgesprochen. Im Übrigen habe die Stadt bereits im September von der problematischen Regelung gewusst. „Wir sind Spielball der Politik“, so die Rektorin.

Rektorin will keine Klassen auseinanderreißen

Auch an der Riedseeschule ist die Verärgerung groß. „Wir hätten riesige Raumprobleme“, sagt die Schulleiterin Ingrid Willemsen. Und: „Es gibt viele Eltern, die möchten nur eine Betreuung an zwei oder drei Tagen. Es gäbe einen Riesenaufstand, wenn man alle Familien zwangsverpflichten würde.“ Zudem würde die Umstellung nach den neuen Vorgaben bedeuten, gewachsene Klassen neu zusammenzusetzen. Dies wäre pädagogisch nicht sinnvoll. Aber im Unterschied zur klassischen Hort- oder Schülerhausbetreuung sei die Betreuung in der gebundenen Ganztagsschule ja nicht an den Vormittag einfach angefügt, sondern füge sich rhythmisiert in den Schulalltag ein, so Willemsen. Das mache den Mehrwert aus. So oder so werde man Eltern jetzt enttäuschen müssen, und auch die Kollegen, die viel Zeit investiert hätten.

Die Schulbürgermeisterin hofft aber noch auf eine pragmatische Lösung durch den Kultusminister. Dieser hatte, wie berichtet, am 27. März auf Eisenmanns Vorschläge im Hinblick auf die Landeshauptstadt als größte Schulträgerin reagiert und eine Änderung des Schulgesetzes angekündigt. Demnach sollen auch die Wahlschulen schrittweise eingerichtet werden dürfen – aber erst vom Schuljahr 2016/17 an.

Schulbürgermeisterin droht mit Rücknahme der Anträge

Das fuchst die Stammheimer Elternschaft besonders: „Vollkommenes Unverständnis ruft die Regelung hervor, dass eine sukzessive Einführung in unserem Fall in diesem Kalenderjahr nicht möglich sein soll, während dies in der Vergangenheit möglich war und im kommenden Jahr wieder ist.“ Eisenmann spricht von einem Schildbürgerstreich: „Das ist nicht im Sinne einer pragmatischen Bildungspolitik und im Sinne der Eltern.“ Auch sie hat an Stoch geschrieben und bittet um Nachbesserung für die drei Schulen. Andernfalls, so Eisenmann, bleibe der Stadt keine andere Möglichkeit, als die Anträge zurückzuziehen.