Wer Krankengymnast werden will, zahlt an den überwiegend privat organisierten Schulen viel Geld. Das Land solle mehr fördern, fordert der Deutsche Verband der Physiotherapeuten – zumal er einen Mangel an Fachkräften in der Branche diagnostiziert.

Stuttgart - Das Land weigert sich, zur Kenntnis zu nehmen, dass wir einen Fachkräftemangel haben.“ Das sagt der Landeschef des Deutschen Verbandes für Physiotherapie (ZVK), Michael Preibsch. In den Praxen würden händeringend Mitarbeiter gesucht. Die Arbeitslosigkeit in seiner Branche liege bei null. Manche Kollegen veranstalteten schon in Spanien Castings, um sich von dort neue Mitarbeiter zu holen. Dabei gibt es im Land 36 Physiotherapieschulen. Doch die fühlen sich in ihrer Existenz bedroht.

 

Die überwiegende Zahl der Physiotherapieschulen hat private Träger, nur vier sind an Krankenhäuser angeschlossen und haben deswegen einen anderen Status und werden anders finanziert. Die Mehrzahl der Physiotherapieschulen laufen als Ergänzungsschulen. Sie erhalten nach dem Privatschulgesetz staatliche Zuschüsse und erheben Schulgeld. Das sind im Monat laut Sozialministerium pro Schüler 250 bis 440 Euro. Zu viel, sagt der Landesrechnungshof, denn damit verstießen die Einrichtungen gegen das grundgesetzliche Sonderungsverbot. Das besagt, dass mit dem Schulgeld keine Sozialauswahl getroffen werden darf. Nicht nur Reiche sollen sich den Besuch einer Privatschule leisten können, denn eine private Physiotherapieschule dient zur Deckung des Bedarfs und muss vom Land finanziell unterstützt werden. Die Höhe des unter diesem Gesichtspunkt noch zulässigen Schulgeldes liegt nach verwaltungsgerichtlicher Beurteilung bei 161 Euro pro Monat.

Die Physiotherapeuten fordern, dass das Land seine Fördermittel erhöht, wenn die Schulen ihre Schulgelder senken müssten. „Es geht um neun Millionen Euro, die wir haben wollen“, sagt Preibsch. Dann könnten die Schulen weiter bestehen.

Das Ministerium kann keinen Notstand erkennen

Er sieht die Forderung auch inhaltlich als gerechtfertigt an. „Wir sind in einer völlig falschen Stufe“, sagt Preibsch. Die Physiotherapeuten sind eingestuft wie nichttechnische Berufskollegs. Seit 1. August 2014 gibt es hier pro Schüler jährlich 5158 Euro Zuschuss. „Das entspricht etwa 50 Prozent der Kosten, die eine Schule hat, um einen Schüler nach den Vorgaben des Landes auszubilden“, sagt Preibsch. „Wir bräuchten eigentlich eigene Kopfsätze; ein Gutachten bestätigt das eindrücklich.“

Man habe schon häufig Kontakt mit dem Sozialministerium gehabt. Das Einzige, was man bisher habe erreichen können, sei, dass nach der Sommerpause eine Arbeitsgruppe eingesetzt werden soll. Sie soll sich das Thema anschauen.

Das Ministerium kann keinen Notstand erkennen: „Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten stellen kein vorrangiges Handlungsfeld dar“, heißt es in der Antwort auf einen Berichtsantrag der FDP. Darin wird dargelegt, dass sich die Zahl der bei der AOK Baden-Württemberg zugelassenen Krankengymnasten von 1990 bis 2013 auf knapp 5600 mehr als verdreifacht habe. Preibsch hält dem entgegen, dass inzwischen die überwiegende Zahl der Physiotherapeuten in Praxen tätig sind, weil die Kliniken nur noch in Orthopädie, Intensivmedizin und Kinderheilkunde noch Physiotherapeuten beschäftigen. Patienten verweilen immer kürzer im Krankenhaus, krankengymnastische Behandlungen müssten nach dem Klinikaufenthalt in ambulanten Praxen erfolgen.

Kostenlose Ausbildung nur in Heidelberg, Mannheim, Freiburg und Tübingen

Dabei ist die an Krankenhäuser angeschlossene Ausbildung zum Physiotherapeuten kostenlos. Die gibt es aber nur in Heidelberg, Mannheim, Freiburg und Tübingen. Für die Kosten dort kommt der Ausbildungsfonds auf, der durch die Krankenkassen gespeist wird. Erstritten wurde die Kostenfreiheit erst zum 1. Juli 2014. Seither können sich die klinischen Physiotherapieschulen nach Preibschs Eindruck „vor Bewerbern nicht retten“.

Sollte künftig womöglich eine Ausbildungsvergütung vereinbart werden wie zum Beispiel für die Notfallsanitäter, rechnet das Sozialministerium mit Konsequenzen für die Ausbildung von Physiotherapeuten – da „dies die wirtschaftliche Situation der Universitätsklinika zusätzlich erheblich belasten“ würde. Preibsch zufolge reagieren diese Schulen bereits. Sie nähmen weniger Schüler auf, veränderten den Lehrerschlüssel oder reduzierten das Raumangebot, senkten also die einst hohe Qualität der Ausbildung.

In anderen Bundesländern gelten ohnehin andere Regeln. In Nordrhein-Westfalen zum Beispiel müssen nicht die Kliniken, sondern das Land und die Krankenkassen für die Kosten aufkommen.

Verband: Ausbildungskosten nicht in Relation zum späteren Gehalt

Derzeit sind Zahlen des ZVK zufolge etwa 3600 Schülerinnen und Schüler in Ausbildung – Tendenz sinkend. Ein Drittel gehöre dem jeweiligen Examensjahrgang an; pro Jahrgang betrage die Durchfallquote zehn bis 20 Prozent.

Der Physiotherapieverband bemängelt, dass Baden-Württemberg kein Branchenmonitoring für nötig halte. In anderen Ländern, etwa für Rheinland-Pfalz oder für Berlin-Brandenburg, seien solche Bedarfsanalysen gemacht worden und belegten einen drohenden Fachkräftemangel.

Der hängt womöglich auch damit zusammen, „dass die Ausbildungskosten in keiner Beziehung zum später erzielbaren Gehalt stehen“, sagt Preibsch. Die Physiotherapie sei immer noch überwiegend in Frauenhand. Und oft verabschiedeten sich die Kolleginnen angesichts mangelnder finanzieller Anreize mit Eintritt in die Familienphase oder mit Blick auf andere Berufe aus dem Arbeitsleben.

Grundsätzlich solle, so fordern die Physiotherapeuten, die Ausbildung kostenlos sein – so wie es auch für andere Gesundheitsfachberufe gelte, denn nur so könne die Attraktivität des Berufes gewährleistet und die Versorgung der Bevölkerung gesichert werden.