Gentechnik, Herkunftshinweis und artgerechte Tierhaltung: Der neue Deutschland-Chef von Foodwatch, Martin Rücker, mahnt die Zusagen der schwarz-roten Koalition ein.

Stuttgart - Der neue Geschäftsführer des Verbraucherschutzvereins Foodwatch Deutschland, Martin Rücker, hat im Gespräch mit unserer Zeitung die Einhaltung von im schwarz-roten Koalitionsvertrag von 2013 gemachten Versprechungen angemahnt: Es geht um die Zusage, sich auf EU-Ebene für „eine verpflichtende Kennzeichnung“ für Produkte von Tieren einzusetzen, die mit gentechnisch veränderten Pflanzen gefüttert worden sind. Zum anderen hatten CDU und SPD zugesagt, sich bei Lebensmitteln für eine verpflichtende Kennzeichnung über „Herkunft und Produktionsort“ einzusetzen. Beides sei nicht geschehen, sagt Rücker.

 

„Wir wollen, dass sich Verbraucher und Verkäufer auf Augenhöhe begegnen. Doch die Qualität von Produkten, und wo sie oder ihre Zutaten herkommen, lässt sich meist nicht erkennen“, sagt Rücker. Selbst wenn auf Säften oder Marmelade der Satz „aus der Region“ oder „aus der Heimat“ zu finden sei, könnten die Früchte dafür in Wahrheit aus China oder Neuseeland kommen. Man wolle keinen Beipackzettel für Lebensmittel, die Herkunft der wichtigsten Zutaten aber müsse angegeben werden, dies diene auch dem Schutz von regionalen Erzeugern. Ähnlich ist die Lage bei gentechnisch verändertem Viehfutter, etwa Mais oder Soja aus dem Ausland. „In der Milch, den Eiern oder im Fleisch der Tiere ist das gentechnisch veränderte Futter nicht nachweisbar. Der Konsument hat ein Recht zu erfahren, ob er mit seinem Einkauf Gentechnik auf dem Acker unterstützt oder nicht.“ Die Skepsis der Deutschen vor gentechnisch veränderten Produkten sei hoch.

In Milch und Eiern ist gentechnisch verändertes Futter nicht nachweisbar

Laut Rücker ist die Frage nach der Güte von Lebensmitteln politisch geworden und bewegt weite Teile der Bevölkerung. Der vor 15 Jahren gegründete und auf Ernährung spezialisierte Verbraucherschutzverein spürt Aufwind bei der Mitgliederzahl – allein von 2015 auf 2016 sei sie um fast sieben Prozent auf 36 000 gestiegen. Foodwatch nimmt weder Staatsgelder noch Spenden der Lebensmittelindustrie an, um seine Neutralität zu wahren. Zunehmend setzt der Verein auf Expansion ins Ausland: In den Niederlanden und Frankreich sind Büros gegründet worden, auch in Italien, Spanien und Polen will man Fuß fassen.

Von den Parteien sehen sich die Verbraucherschützer allein gelassen

Der Gründer von Foodwatch, Thilo Bode, leitet seit April den Dachverband Foodwatch International. Der 36-jährige Rücker ist sein Nachfolger im deutschen Verband. Mit Deutschland als wichtiger Stimme in der EU-Politik setzt Foodwatch auf nationale Kampagnen, sieht sich von den Parteien im Verbraucherschutz jedoch allein gelassen. Landwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) erkenne zwar Themen, sagt Rücker, und sein Ministerium führe Aufklärungskampagnen zu Themen wie Übergewicht, Energy-Drinks oder Tierwohl: „Schmidts Ministerium arbeitet wie eine Bundeswerbeagentur. Es scheut aber das politische Handeln.“

Immer noch seien Slogans wie „aus artgerechter Tierhaltung“ oder „Aus kontrolliertem Anbau“ keine geschützten Titel. Das geplante staatliche Tierwohllabel sei freiwillig und werde nur 20 Prozent des Nutztierbestandes erfassen. „Wir sind weder eine Vegetarier- noch eine Tierschutzorganisation, aber eine tiergerechte Haltung, bei der die Tiere nicht unnötig krank werden, ist ein Mindeststandard.“ Bei höherem Tierschutz werden die Fleischpreise steigen, sagt Rücker, doch es gebe „kein Recht aufs tägliche Steak, wenn Tiere leiden“. Bei den Kontrollen von lebensmittelverarbeitenden Betrieben setzt sich Foodwatch für mehr Transparenz wie in Dänemark ein, wo beanstandete Betriebe ihre Kontrollergebnisse aushängen müssen. Das hat den Druck auf die Betriebe so erhöht, dass die Beanstandungsquote von einst 30 Prozent bis heute halbiert worden sei. In Deutschland werde jeder vierte Betrieb beanstandet, klagt Rücker: „Die Quote geht seit Jahren nicht runter.“

Dänemark sollte Vorbild sein

Dabei sollte Dänemark Vorbild sein, wo seit 2001 mit einem öffentlichen Aushang an Restaurants und Lokalen die Kontrollergebnisse sichtbar gemacht werden. Anhand verschiedener „Smileys“ wird erkennbar, ob „keine Beanstandung“, eine „Ermahnung“ eine „Verfügung oder Verbot“ oder gar eine „Strafverfolgung“ das Ergebnis ist. Das habe den Druck auf die dänischen Betriebe so erhöht, dass die Beanstandungsquote von einst 30 Prozent bis heute halbiert worden sei, so Rücker. „Mehr Transparenz ist auch im Sinne der sauberen Betriebe. Sie erleiden Wettbewerbsnachteile, weil Schwarze Schafe mit einem milden Bußgeld davonkommen, sie aber höhere Kosten für gute Hygiene haben.“

Die Branchenverbände, die auch mit Lebensmitteln zu tun haben, sind über die Vorschläge von Foodwatch wenig begeistert. Beim Hotel- und Gaststättenverband Baden-Württemberg, der 30 700 Betriebe vertritt, stößt das Ansinnen einer „Hygiene-Ampel“ auf Widerstand: „Das dänische System schafft nur eine Scheintransparenz“, sagt Verbandssprecher Daniel Ohl. Die von den Behörden vorgenommen Kontrollen zur Lebensmittelhygiene seien „nur eine Momentaufnahme“, sie erfolgten „schwerpunktmäßig“ in Risikobetrieben. „Manche Lokale reichen nur Schälchen mit Erdnüssen, andere verarbeiten frischen Fisch“, so Ohl. Ein Aushang mit den Ergebnissen könne Existenzen vernichten und berge die Gefahr einer Wettbewerbsverzerrung. Es existiere bereits ein scharfes Schwert: „Bei schwerwiegenden Verstößen gegen die Hygieneregeln muss ein Betrieb geschlossen werden.“

Wie soll eine Herkunftsangabe bei Multivitaminsaft aussehen?

Was eine stärkere Kennzeichnung von Lebensmitteln und deren Herkunft anbelangt, zeigt sich auch der Bundesverband für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde skeptisch: „Eine weitergehende Kennzeichnung von Lebensmitteln wirft Fragen der Praktibilität auf“, sagt Verbandssprecherin Monika Larch. Der Verbraucher erwarte ja eine gleichbleibende Qualität der Produkte. Bei einer schlechten Apfelernte kauften daher auch heimische Apfelsafterzeuger Äpfel aus anderen Regionen hinzu, um die Qualität zu halten. Wie denn dann die Etikettierung aussehen solle, fragt Larch. Das gleiche Problem sehe sie bei Mischprodukten wie einer chinesischen Gemüsepfanne oder einem Multivitaminsaft, der auch exotische Säfte enthalte. „Wir setzen mehr auf freiwillige Angaben“, sagt Larch.