Wohl jeder Verbraucher hat sich schon mal über ein Produkt geärgert, dass früher den Dienst eingestellt hat, als notwendig gewesen wäre. Die Grünen im Bundestag haben jetzt eine Studie zu diesem Thema vorgestellt – zur „geplanten Obsoleszenz“.

Stuttgart/Berlin - Vor gut zehn Jahren produzierte der Computerkonzern Apple Musikwiedergabegeräte vom Typ iPod, deren Akku nach rund 18 Monaten versagte – genau nach Ablauf der Garantiezeit. Da der Akku fest eingebaut war, konnten die Kunden diesen nicht austauschen. 2003 wurde in den USA eine Sammelklage gegen Apple eingereicht. In einer außergerichtlichen Einigung erklärte der Konzern sich bereit, die Akkus kostenlos auszutauschen. Auf die neuen Akkus gab er eine Garantie von zwei Jahren.

 

Warum nicht gleich so? Diese Frage legen die Autoren eines Gutachtens nahe, in dem diese Geschichte erzählt wird. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen stellte das hundert Seiten starke Papier am Mittwoch im Bundestag vor. Thema: geplante Obsoleszenz. Mit dem sperrigen Wort „wird der geplante, vorzeitige Verschleiß von Produkten, die eigentlich viel länger halten könnten, verstanden“, definieren die Autoren.

Ärgerliche Macken

Wahrscheinlich hat sich jeder Verbraucher schon über ein Produkt geärgert, das nach einiger Zeit einen haarsträubenden Schwachpunkt zeigte und versagte. Da bricht eine kleine Kunststoffnase am Verschluss der Waschmaschinentür ab, und die ganze Tür muss ausgetauscht werden. Da brechen Kabelanschlüsse ab, Elektronikbausteine werden heiß und versagen, Baumwollstoffe reißen, und Gehäuse lassen sich nur mit teurem Spezialwerkzeug öffnen – oder gar nicht, weil sie verklebt sind. Die Beispiele sind Legion. Stefan Schridde sammelt sie auf seiner Internetseite www.murks-nein-danke.de. Der Betriebswirt und freiberufliche Berater ist einer der Autoren des Gutachtens. Seine Mitstreiter sind Christian Kreiß, Professor für Finanzierung und Wirtschaftspolitik an der Hochschule Aalen, und der Wirtschaftsingenieur Janis Winzer.

Leider lässt sich nur selten so klar wie im Fall der iPods belegen, dass ein Hersteller unter seinen Möglichkeiten geblieben ist. Deswegen ist es in vielen Fällen einfach zu bestreiten, dass da absichtsvoll gemurkst wurde oder Murks billigend in Kauf genommen wurde. „Moderne Märchen der Konsumkritik“ überschrieb erst im November 2012 die „Neue Zürcher Zeitung“ einen Artikel, in dem ein häufig genanntes Beispiel als „aufgekochter Skandal“ bezeichnet und den Herstellern zugebilligt wird, es sei „ein fundamentales Missverständnis zu glauben, gute Ingenieurarbeit bestehe darin, möglichst langlebige Produkte zu entwerfen“. Denn das würde „zu Produkten führen, die niemand kauft, weil sie ‚over engineered‘ und zu teuer sind“, das heißt, dass in ihnen Ingenieuraufwand und Leistungsfähigkeit stecke, die der Kunde weder erwarte noch bezahlen wolle.

Wenn Gewinn statt Qualität im Vordergrund steht

Das sehen Stefan Schridde und seine Mitautoren anders. Sie betrachten als eines von mehreren zentralen Motiven bei Herstellern „starke Gewinnorientierung: Nicht zufällig wurden praktisch alle in der jüngeren Geschichte aufgedeckten prominenten Fälle von vorsätzlich geplantem Verschleiß von Großkonzernen begangen“. Prominentes historisches Beispiel ist das Phoebus-Glühbirnen-Kartell von 1924. Praktisch alle großen Glühbirnenhersteller haben damals die Brenndauer von Glühbirnen von durchschnittlich 2500 auf 1000 Stunden verringert. Oder doch nicht? Schridde formuliert vorsichtig: „Die bewussten, absichtlichen Vorgaben können offenbar nachgewiesen werden“, heißt es hier, und das „offenbar“ taucht auch beim zweiten Klassikerbeispiel auf, der verringerten Haltbarkeit von Nylonstrümpfen durch den Konzern DuPont in den 1940er Jahren. Eindeutige Zitate dagegen gibt es aus der Kontroverse Ford gegen General Motors (GM): Henry Ford lebte bis 1927 sein Ethos des langlebigen, soliden Autos, während GM bewusst auf Design und schnelle Modezyklen setzte. Ford verlor. 1927 musste er sein legendäres Modell T einstellen.

Die Autoren machen vier Einflussfaktoren aus, die zu geplanter Obsoleszenz führen: gesättigte Märkte oder Überkapazitäten, unübersichtliche oder intransparente Märkte, starke Orientierung des Herstellers am Kapitalmarkt oder am Gewinn und die ethische Einstellung des Managements. Sie unterscheiden verschiedene Stufen des geplanten Verschleißes von bewusstem Vorsatz bis zum vor allem in der Softwareindustrie beliebten Trick, Produkte schlechter auszuliefern, als sie sein könnten, damit die nächste Version kurz danach auch noch verkauft werden könne.

Sie schlagen vor, sowohl in Deutschland wie auf der Ebene der EU in ohnehin bestehenden oder geplanten Gesetzen und Verordnungen Barrieren gegen Auswüchse einzuziehen, so etwa in Entsorgungsvorschriften, im Garantierecht und den Vorschriften zur Produktkennzeichnung. Wie das aussehen kann, zeigen sie an einem weiteren Beispiel: Da bei Autos der Austausch der Lichtquelle heute oft den Austausch des Scheinwerfers verlangt und höhere dreistellige Beträge kosten kann, ist die EU eingeschritten: Seit 2006 müssen bei Autos mit neuer Typgenehmigung „Leuchten und Scheinwerfer so eingebaut sein, dass die Lichtquelle anhand der Beschreibung in der Bedienungsanleitung mit Bordwerkzeug ausgetauscht werden kann“.

Geplante Obsoleszenz

Bedeutung
Dass eine Sache obsolet ist, also überflüssig, ist eine häufig gebrauchte Redewendung. Genau das meint auch das zungenbrecherische Substantiv Obsoleszenz: den Vorgang, dass etwas altert, ungebräuchlich wird oder sich abnutzt. Beide Wörter kommen aus dem Lateinischen.

Herkunft
Der Begriff geplante Obsoleszenz entstand vermutlich Anfang der 1930er Jahre. Der Autor Bernard London schlug 1932 einen Weg aus der wirtschaftlichen Misere der USA vor. Titel seines Buches: „Ending the Depression through planned Obsolescence“.