Viele Menschen leben heutzutage allein – und Familienstrukturen verändern sich. Der Verein Wahlverwandtschaften bringt Menschen jeden Alters zusammen. Die Kennenlerntreffen finden jetzt in Vaihingen im Paritätischen Mehrgenerationenzentrum statt.

Vaihingen - Alleinsein kann viele Ursachen haben: Verwandte sind gestorben, man ist geschieden, hat keine Kinder, versteht sich einfach nicht mit seiner Familie oder diese wohnt sehr weit weg. Der Verein Wahlverwandtschaften möchte diesen Menschen eine Plattform bieten, Gleichgesinnte kennenzulernen und eine selbstgewählte Mutter, Tochter, Oma oder einen Bruder zu finden. In Stuttgart gibt es seit vergangenem Jahr einen Ableger. Jetzt sind die Kennenlerntreffen von Stuttgart-Mitte ins Paritätische Mehrgenerationenzentrum (PMGZ) verlegt worden.

 

Die Organisatorinnen in Stuttgart sind Mirjam Hübner und Anke Schiewek. „Ganz wichtig zu wissen ist, dass wir kein Freizeittreff sind“, sagt Schiewek. Das dürfe nicht verwechselt werden. Eingeladen sind Menschen, die alleine sind und verbindliche Beziehungen suchen. Die Treffen des Vereins Wahlverwandtschaften sind auch keine Single- oder Interessenbörsen. „Der Start läuft sicherlich über ähnliche Interessen, aber wir haben den Anspruch, zwischen den Menschen familienähnliche Beziehungen zu ermöglichen“, erklärt Hübner. „Jeder, der so etwas sucht, ist willkommen“, fügt die 37-Jährige hinzu.

Wie laufen die Treffen ab? Bei einer Vorstellungsrunde erzählen die Teilnehmer, was sie bewegt und warum sie gekommen sind. „Manche sagen ganz konkret, dass sie eine Tochter, Schwester oder einen Bruder suchen. Andere haben eine offenere Vorstellung und sind nicht auf eine Rolle festgelegt, die sie ausüben oder einnehmen möchten“, sagt Hübner. Je offener man sei, desto leichter komme man freilich in Kontakt mit anderen. Die Organisatorin empfiehlt, sich im Vorfeld des Treffens nicht nur zu überlegen: „Was will ich?“, sondern auch: „Was kann ich geben?“.

Eine Vermittlungsquote gibt es nicht

Die Kennenlerntreffen sind moderiert, die Organisatoren machen kleinere „Aufwärmübungen“ mit den Teilnehmern, um Nervosität abzubauen. Danach gibt es Gesprächsrunden in Kleingruppen, die sich zunächst nach den groben Interessen richten. Erklärtes Ziel ist es, dass die Teilnehmer gleich vor Ort die Telefonnummern austauschen und Treffen vereinbaren. „Wir sind der Katalysator, danach ist die Eigeninitiative den Teilnehmern überlassen“, beschreibt Hübner. Eine Vermittlungsquote gibt es nicht. Manches Paar sei danach einfach weg und ward nie mehr gesehen. Hübner und Schiewek sehen das als gutes Zeichen: Da haben sich zwei gefunden. Man gehe von einer „positiven Dunkelziffer“ aus.

Den Lokalableger Stuttgart gibt es seit November. Ein regelmäßiger Stammtisch zusätzlich zu den Kennenlerntreffen, die samstagnachmittags sind, ist bereits etabliert. Dieser trifft sich jeden dritten Mittwoch im Monat im Lokal Amadeus am Charlottenplatz in Stuttgart-Mitte. Dort geht es etwas freier zu, der Stammtisch ist nicht moderiert. „Die Teilnehmer können sich in lockerer Runde unterhalten, mehr ins Detail gehen und nicht nur die groben Interessen abklopfen“, beschreibt Schiewek. Und: die Hemmschwelle sei womöglich niedriger als beim durchorganisierten Kennenlerntreffen, sagt die 43-Jährige.

Anmeldung auf der Online-Plattform möglich

Wer Hemmungen hat, zu den Treffen oder zum Stammtisch zu gehen, kann sich auch auf der Online-Plattform des Vereins Wahlverwandtschaften anmelden. Dort kann man kostenlos ein Profil anlegen, seine Interessen und Wünsche nennen und Kontakt aufnehmen. Derzeit gibt es rund 700 Nutzer im Alter von 18 bis 88 Jahren.

Hübner findet die Idee „richtig und wichtig“, die hinter dem Verein Wahlverwandtschaften steckt. „Familienstrukturen ändern sich, es gibt heutzutage sehr viele Alleinstehende.“ Der Verein wolle eine Gelegenheit bieten, „das Puzzleteil, das noch fehlt im Leben, zu finden“, sagt Hübner. Ihre Mitorganisatorin fügt hinzu: „Freundschaften sind oft begrenzt. Man wünscht sich auch andere Beziehungsebenen.“ Diese könne man bei ihnen finden. Die Ursache, weshalb jemand zu ihnen komme, sei völlig unerheblich, betont Hübner. Auch gebe es keinen Grund, sich für das Alleinsein und die Sehnsucht nach einem Halt im Leben zu schämen. „Es gibt andere, denen es ebenso geht.“ Dies sei ein sehr heilsamer Gedanke, findet die 37-Jährige. Schiewek ergänzt: „Es tröstet sehr, wenn man sich nicht erklären muss.“