Geschwärzte Akten zeigen, dass der Verfassungsschutz das Anwaltsgeheimnis verletzt. Der Freiburger Anwalt Michael Moos will so lange klagen, bis er seine Akte ungeschwärzt einsehen kann.

Freiburg - Manchmal genügt ein kurzer Anruf, um den Rechtsanwalt Michael Moos zu verunsichern. Wie neulich, als ein Polizist zuerst sein Mandant werden wollte und dann doch absagte. Moos ist ein erfahrener Anwalt, dem Polizisten droht ein hartes Strafverfahren. Trotzdem hat er sich gegen Moos entschieden – ohne einen Grund zu nennen. „Hat ihm ein Kollege abgeraten?“, fragte sich der Strafrechtler. Auf seinem Schreibtisch liegt ein Stapel Überwachungsakten: ein Leben in Auszügen, gepresst auf knapp 800 Seiten. Minutiös hat der Verfassungsschutz Baden-Württemberg seit Januar 1979 Protokolle von Michael Moos’ Alltag angefertigt. Nachdem bekannt wurde, dass er ins Visier des Geheimdienstes gerückt ist, sagen immer wieder Mandanten ab.

 

Bundesweit werden Anwälte beobachtet – wie viele genau, weiß niemand außer dem Verfassungsschutz selbst. Und der gibt keine Auskunft; man führe ohnehin keine entsprechende Statistik, heißt es aus der Pressestelle des Bundesverfassungsschutzes. Die Anwälte tauchen als Privatpersonen, aber auch in ihrer Funktion als Rechtsbeistand in den Akten des Verfassungsschutzes auf. Jeder, der Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen liefert, kann registriert werden. Wenn aber Anwälte unter der Beobachtung des Verfassungsschutzes stehen, ist deren Berufsgeheimnis bedroht. Treffen und Gespräche werden mit Datum notiert und Mandanten namentlich genannt. Moos ist überzeugt, dass die Akten ihn ins Zwielicht rücken und Auswirkungen auf seine Arbeit haben: „Wer möchte schon von einem Anwalt verteidigt werden, der vom Verfassungsschutz überwacht wird?“, fragt er.

Die Kollegin erstritt eine Löschung des Eintrags

Ihm gegenüber sitzt Angela Furmaniak. Die Juristin arbeitet in derselben Kanzlei wie Moos. Auch über sie hat der Verfassungsschutz jahrelang Anhaltspunkte gesammelt. Regelmäßig engagiert sie sich als Anwältin auf linken Rechtshilfe-Veranstaltungen. Das reicht offenbar, um für den Verfassungsschutz verdächtig zu sein. Sie weiß, dass ihr Name seit 2004 in den Akten auftaucht – einmal wurde ihr Einsatz als Verteidigerin vor Gericht notiert. In dem Prozess hatte sie die Bewohner einer Wagenburg verteidigt und wurde in dem Eintrag mit Störungen aus dem Publikum in Verbindung gebracht. In diesem einzigen Fall erstritt Furmaniak eine Löschung des Eintrags. Was der Verfassungsschutz sonst über sie weiß, kann sie nur erahnen, denn bis jetzt liegen ihr nur zwei Seiten mit knappen Anmerkungen zu ihrem politischen Engagement vor. Die Behörde weiß fast alles, die Betroffene fast nichts. Gerne wüsste Furmaniak, wie weit die Beobachtung in ihr Privatleben hineinreicht. Noch schreckt sie vor einer Klage zurück, denn solche Prozesse sind zäh und teuer.

Nicht nur politisch links stehende Anwälte werden beobachtet. Markus Beisicht ist Anwalt in Leverkusen und Kopf der rechten Bürgerbewegung Pro NRW. Er berichtet, dass nicht nur seine Organisation, sondern auch er selbst als Anwalt offen observiert werde. „Natürlich hindert es einen, wenn man relevante Gespräche in Restaurants führen muss.“ Seine Kanzlei sei schließlich kein geschützter Raum mehr. Auch der Ulmer Anwalt Manfred Gnjidic hat auf die Überwachung durch Geheimdienste reagiert. In seiner Kanzlei ist nur noch ein Computer mit dem Internet verbunden. Die anderen Rechner bilden ein eigenes Privatnetzwerk. Der ehemalige Anwalt von Khaled el-Masri, der von der CIA unrechtmäßig entführt worden war, hat mehrmals Mandanten aus der Islamistenszene vertreten.

Vier dicke Bündel Papier, aber das meiste ist geschwärzt

Als Moos erfuhr, dass die Linke Liste, für die der Parteilose im Freiburger Gemeinderat sitzt, unter Beobachtung des Verfassungsschutzes steht, wollte er mehr wissen. Fünf Prozessjahre und ein Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart später hält er die Akte in den Händen. Moos, weißes T-Shirt, kurze, graue Locken, blättert in seiner geschwärzten Vergangenheit: vier dicke Bündel Papier, die von einem Faden zusammengehalten werden. In der Akte bleibt oft nur die Überschrift „linksextremistischer Terrorismus“ lesbar. „Mir war schon klar, dass ich als Teil der linken Szene vom Verfassungsschutz zum Beispiel bei öffentlichen Vorträgen beobachtet wurde“, sagt er. Dass er aber auch als Privatperson und teilweise sogar in seiner Funktion als Anwalt von den Geheimdienstlern beobachtet wurde, konnte er sich lange nicht vorstellen. Heute weiß er: „Die haben null Respekt vor dem anwaltlichen Berufsgeheimnis.“

Der baden-württembergische Verfassungsschutz will den Fall Moos nicht kommentieren. Man beobachte ohnehin nicht personenbezogen, heißt es in einem Schreiben. „Kanzleien werden nicht gezielt beobachtet“, sagt ein Sprecher. Das Landesinnenministerium verweist auf den noch laufenden Prozess. Doch Moos wurde überwacht, und der Spitzel muss direkt vor seiner Kanzlei gestanden haben. „16.08 Uhr kommt M. mit dem Fahrrad aus Richtung Rosastraße zum Objekt. Er stellt das Fahrrad ab und betritt die Kanzlei. Um 17.57 Uhr verlässt M. die Kanzlei, nimmt sein Fahrrad und fährt weg.“ Auf der nächsten Seite ist die Rede von Personen, deren Namen offensichtlich vom Verfassungsschutz geschwärzt worden sind, und die „in der Zeit von 16.15 Uhr – 18.54 Uhr (…) das Objekt betreten bzw. verlassen“ haben.

Anwaltsgeheimnis ist leicht bedroht

Der Verfassungsschutz spricht stets von dem „Objekt“, wenn er Moos’ Kanzlei meint. Diese Informationen sind trivial und zeigen gerade deshalb, wie genau und umfassend der Verfassungsschutz ins Leben eines einzelnen Rechtsanwaltes eintauchte. Heike Sandkuhl vom Deutschen Anwaltverein (DAV) kritisiert diese Überwachungspraxis heftig: „Das Anwaltsgeheimnis ist ein hohes Gut, ohne das wir unseren Beruf nicht ausüben können.“ Das Anwaltsgeheimnis sei sogar schon dann bedroht, erläutert die Juristin, wenn staatliche Stellen ausschnüffelten, welche Mandanten man vertrete.

Davon ist Sven Adam betroffen. Der Göttinger Strafrechtler hat sich auf Versammlungs- und Polizeirecht spezialisiert. Seit Jahren berate er seine Mandanten vor Ort bei großen Demonstrationen, zum Beispiel gegen Castor-Transporte, sagt Adam. Im vergangenen Herbst erfuhr er, dass sich der Verfassungsschutz seit 2003 für ihn interessiert. Die Geheimdienstler hätten notiert, wen er beraten habe. Auch seine Stammpension, die er für seine beruflichen Einsätze aufsuche, sei vermerkt.

In Niedersachsen sollen 40 Prozent der Einträge gelöscht werden

Das Land Niedersachsen hat nach einem Skandal um überwachte Journalisten die Beobachtungspraxis in Frage gestellt und eine Task Force eingerichtet, die die vom Verfassungsschutz gespeicherten Daten überprüfen sollte. Sie kam zu dem Ergebnis, dass knapp 40 Prozent der Vermerke unrechtmäßig gespeichert worden waren und in nächster Zeit gelöscht werden müssen. In Baden-Württemberg hingegen hat der Geheimdienst bei der Überwachung von Anwälten offenbar noch immer freie Hand. Diesen Spielraum nutzt er auch, um Anwälte zu beobachten.

Dass die Stuttgarter Verfassungsschützer Ende der 70er Jahre auf Moos aufmerksam wurden, ist noch nachvollziehbar. Damals verteidigte er vor dem Oberlandesgericht Stuttgart den später als RAF-Unterstützer verurteilten Karl-Friedrich-Grosser und war im Kommunistischen Bund Westdeutschland aktiv. Doch die Revolution war für ihn immer nur ein rhetorisches Ziel. Als Lokalpolitiker forderte Moos kostenlosen Nahverkehr und mehr Bürgerbeteiligung. Kollegen aus der Freiburger Lokalpolitik halten es für einen Witz, wenn man sie fragt, ob Michael Moos überwacht werden müsse. Trotzdem blieb der Verfassungsschutz jahrzehntelang misstrauisch und zog seine Spitzel nicht ab.

Anwalt Moos befürchtet, dass der Verfassungsschutz noch weit häufiger das Anwaltsgeheimnis verletzt haben könnte. Der hat seinerseits angeboten, die Daten komplett zu löschen. Das lehnt der Anwalt ab. Er will so lange klagen, bis er seine Akte ungeschwärzt einsehen kann. „Ich will den ganzen Umfang der Bespitzelung aufdecken“, kündigt er an.