EnBW sieht keine Möglichkeit für eine Verfassungsklage gegen die Abschaltung seiner Meiler. Aber andere klagen. Davon will der Konzern proftieren.

Stuttgart - Die Energieversorgung Baden-Württemberg (EnBW) wird anders als die Wettbewerber Eon, RWE und Vattenfall keine Klage beim Bundesverfassungsgericht dagegen einlegen, dass sie im Zuge des Atomausstiegs Reaktoren ohne Entschädigung abschalten musste. Die EnBW begründet dies damit, dass ihr als einem Unternehmen zu 98 Prozent in öffentlicher Hand die Grundrechtsfähigkeit fehle: „Eine Verfassungsbeschwerde wäre unzulässig“, heißt es in einer Mitteilung.

 

Inhaltlich stellen sich die Karlsruher voll hinter die Argumentation ihrer Wettbewerber. Der entschädigungslose Entzug von Strommengen, die die Konzerne aufgrund der Laufzeitverlängerung vom Herbst 2010 hätten produzieren dürfen, ist auch aus Sicht der EnBW-Juristen verfassungswidrig. Das Unternehmen hatte lange geprüft, ob es sich der Klage von Eon, RWE und Vattenfall anschließen soll. Die Entscheidung ist jetzt kurz vor Fristablauf Anfang August gefallen. Die EnBW musste nach der Katastrophe von Fukushima zwei ihrer vier Atomkraftwerke abschalten, die Meiler Philippsburg II und Neckarwestheim II laufen noch bis 2021/22. Insgesamt sind acht der siebzehn deutschen Kernkraftwerke durch die Änderung des Atomgesetzes im August 2011 bereits vom Netz gegangen; die weiteren neun Reaktoren folgen zwischen 2015 und 2022.

Es geht um bis zu 15 Milliarden Euro

Das Bundesverfassungsgericht wird sich nur mit der Frage befassen, ob die Stilllegungsverfügungen in Ordnung waren; sollten die Kläger recht bekommen, so wäre die Frage der Schadenersatzhöhe noch offen. Schadenersatz müssten die Konzerne im Erfolgsfall vor ordentlichen Gerichten erstreiten. Nach Spekulationen wollen die Atomstromkonzerne Schadenersatzforderungen in Höhe von insgesamt bis zu 15 Milliarden Euro geltend machen. Eon, der größte deutsche Betreiber von Atomreaktoren, hat bestätigt, dass das Unternehmen mindestens acht Milliarden Euro fordere. RWE – hier stehen zwei Milliarden Euro in Rede – und Vattenfall haben bisher offiziell noch keine Summen genannt.

Auch ohne selbst Klage einzureichen, ist die EnBW zuversichtlich, dass das Bundesverfassungsgericht bei erfolgreichen Beschwerden der Konkurrenz „auch die Interessen der EnBW berücksichtigen wird“. Nur so, so heißt es, sei gewährleistet, dass wettbewerbsverzerrende Ungleichbehandlungen vermieden werden und faire Bedingungen im Wettbewerb auch in Zukunft erhalten bleiben. Thomas Hechtfischer von der Deutschen Schutzgemeinschaft für Wertpapierbesitz (DSW), der für die Interessen der wenigen freien EnBW-Aktionäre kämpft, kann die Argumentation des Unternehmens zunächst einmal nachvollziehen: „Den Verzicht auf eine Klage kann ich akzeptieren“, sagte er gegenüber der Stuttgarter Zeitung. Nach Ansicht des Düsseldorfer Rechtsanwalts hat das Unternehmen mit Vorstandschef Hans-Peter Villis an der Spitze die wohl eleganteste Lösung gefunden, um das Gesicht zu wahren und sich aus politischem Streit im Aufsichtsrat zwischen CDU-Landräten, die über den Miteigner OEW hier sitzen, und Vertretern der grün-roten Landesregierung herauszuhalten. Sollte das Verfassungsgericht den Konzernen recht geben, so würde Hechtfischer verlangen, dass dann auch die EnBW um ihr Geld kämpft – nicht zuletzt im Interesse der freien Aktionäre.

„Was ist eine „öffentliche Aufgabe“?

„Die Grundrechte gelten auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind“, heißt es im Grundgesetz (Artikel 19, Absatz 3). Diese sogenannte Grundrechtsfähigkeit hat das Bundesverfassungsgericht in der Vergangenheit regelmäßig bei solchen Unternehmen verneint, die mehrheitlich in öffentlichem Eigentum sind und öffentliche Aufgaben wahrnehmen – der Staat kann oder soll nicht gegen den Staat klagen, lautet das Credo. Eine der bekanntesten Entscheidungen hierzu betrifft die Stadtwerke Hameln (1990).

Lassen sich die Eigentumsverhältnisse noch rasch klären, so sind die öffentlichen Aufgaben unter Rechtsexperten durchaus strittig. Im Urteil zu Hameln hatte das höchste deutsche Gericht noch betont, dass die Versorgung mit Strom eine öffentliche Aufgabe sei. In den Folgejahren sind zahlreiche öffentliche Aufgaben privatisiert worden oder werden zumindest unter Beteiligung von privaten Anbietern erledigt. Damit fallen diese Aufgaben und die Unternehmen, die sie wahrnehmen, nach Ansicht mancher Juristen nicht mehr unter die öffentlichen Aufgaben nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichts.