Die rechtlichen Hürden für ein Verbot der NPD liegen hoch – aus guten Gründen. Eine Analyse von StZ-Redakteur Stefan Geiger.

Stuttgart - Eine Partei ist nicht schon dann verfassungswidrig, wenn sie einzelne Bestimmungen oder Institutionen des Grundgesetzes ändern will. Eine Partei ist noch nicht einmal verfassungswidrig, wenn sie die obersten Prinzipien einer freiheitlichen und demokratischen Grundordnung ablehnt. Eine Partei kann nur dann verboten werden, wenn sie eine kämpferische und aggressive Haltung gegenüber der bestehenden Ordnung einnimmt und sie am Ende beseitigen will. So hat es das Bundesverfassungsgericht bereits 1956 beim KPD-Verbot festgeschrieben. Die Hürde liegt also - aus guten Gründen - hoch.

 

Nur das Bundesverfassungsgericht kann eine Partei verbieten; und die Richter benötigen dazu - anders als bei fast allen anderen Entscheidungen - eine Zweidrittelmehrheit. Bereits eine Minderheit von drei Richtern kann ein Verbotsverfahren scheitern lassen. So war es 2003 beim ersten NPD-Verbotsverfahren. Ein Verbotsantrag kann nur vom Bundestag, dem Bundesrat oder der Bundesregierung gestellt werden, er muss aber auch bei offenkundiger Verfassungswidrigkeit einer Partei nicht gestellt werden. Ob eine Partei verboten wird, ist also auch eine Frage der politischen Opportunität.

Zwei rechtsradikale Parteien wurden in der BRD verboten

In der Geschichte der Bundesrepublik sind zwei Parteien verboten worden: Gleich zu beginn die Sozialistische Reichspartei (SRP), faktisch eine Nachfolgeorganisation der NSDAP, und 1956 die KPD. Die Verbote erstreckten sich auch auf mögliche Nachfolgeorganisationen. Dennoch wurde als KPD-Nachfolgerin 1968 die DKP gegründet und - aus Gründen der politischen Opportunität - auch toleriert.

Beide Verbote waren relativ einfach zu begründen, weil beide Parteien in ihren öffentlichen Erklärungen und sogar in ihren offiziellen Programmen gegen die demokratische Grundordnung argumentierten. Das Verfassungsgericht kam jeweils zu dem Schluss, dass diese Programmatik auch kämpferisch verfassungsfeindlich sei. Bei der SRP kam hinzu, dass ihr Führungspersonal im Wesentlichen aus ehemaligen Nazigrößen bestand.

Das erste NPD-Verbotsverfahren war eingestellt worden, bevor sich die Richter inhaltlich mit dieser Partei auseinandersetzen konnten. Deshalb hat diese Entscheidung, wie die Richter ausdrücklich betonen, anders als fast alle anderen Entscheidungen des Gerichts, keinerlei bindende Wirkungen für ein neues Verfahren. Was dort geschrieben worden ist, gibt lediglich Hinweise darauf, wie die Richter damals gedacht haben. An einem neuen Verfahren wird keiner der damals aktiven Richter mehr beteiligt sein.

NPD wurde in enge Schranken gewiesen

Drei Richter monierten damals, dass V-Leute des Verfassungsschutzes noch während des laufenen Verbotsverfahrens in den Vorständen der Bundespartei wie der Landesverbände gesessen und berichtet haben. Es sei ein nicht heilbares Verfahrenshindernis, weil der Verdacht bestehe, dass eine Partei auf diese Weise fremdgesteuert werden könnte. Hinzu kam, dass sich die Verbotsanträge damals in wesentlichen Teilen auf Zitate von NPD-Funktionären stützten, die zugleich V-Leute des Staates waren. Es gibt Meldungen, dass gegenwärtig noch mehr V-Leute als damals in den NPD-Führungskadern sitzen. An V-Leuten in der Parteibasis störten sich die Richter nicht.

In der Entscheidung gibt es einen damals unwichtigen, aber prophetischen und heute möglicherweise entscheidenden Hinweis: V-Leute könnten auch während eines Verbotsverfahrens "in extremen Ausnahmefällen" geboten sein, "wenn unter dem Deckmantel der Organisation als politische Partei Gewalttaten oder andere schwerwiegende Straftaten vorbereitet oder geplant werden".

Vier Richter hätten damals gerne in der Sache entschieden - und, so kann man zwischen den Zeilen lesen, dann die NPD zumindest in enge Schranken gewiesen. Sie argumentierten, die Fehler bei den V-Leuten hätten mit einer eigenständigen und sorgfältigen Beweiserhebung durch das Gericht geheilt werden können. Auch dieser Teil der Entscheidung enthält damals unwichtige, heute aber möglicherweise entscheidende Hinweise. Diese Richter wollten schon damals, das Verfassungsrecht "fortentwickeln" - mit Blick auf die Europäische Menschenrechtskonvention und die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, die beide "verhältnismäßige Parteiverbote als Ausdruck des Gedankens einer wehrhaften Demokratie akzeptieren". Im Klartext: sie wollten die Hürde tiefer legen.

Parteiprogramm gibt für ein Verbot nichts her

Und sie gaben einen Hinweis, an welcher Stelle dies geschehen könnte: Zu prüfen sei bei einem Verbot auch, "ob in parteitypisch organisierter Weise Angriffe auf die Würde des Menschen erfolgen, ohne dass dadurch bereits die freiheitliche demokratische Grundordnung als solche in ihrem Bestand gefährdet sein müsste". Das könne für ein Verbot genügen. Das war damals und das ist heute der Punkt, an dem die NPD zu packen wäre. Ihr neues, glattgestriegeltes Parteiprogramm von 2010 nämlich gibt für ein Verbot nichts her, die Zitate von Funktionären, die der Verfassungsschutz gesammelt hat, werden auch nicht reichen. Dies gilt umso mehr, als nicht jede Äußerung eines Einzelnen der Partei zugerechnet werden kann.

Die Vielzahl von Verstrickungen personeller und wohl auch struktureller Art zwischen der Partei und den berüchtigten rechtextremistischen "freien Kameradschaften" könnte zum Dreh- und Angelpunkt eines Verbots werden. Und die menschenverachtenden Hasstiraden, die auf Veranstaltungen und Demonstrationen gegrölt werden, an denen die NPD sich beteiligt. Aber auch die neonazistische Musik auf einschlägigen Konzerten und bei angeblich privaten "Geburtstagsfeiern". Ein Nachweis ist schwierig - aber er wäre der Mühe wert.