Der baden-württembergische Innenminister Reinhold Gall (SPD) sieht die Arbeitsfähigkeit des Verfassungsschutzes gefährdet, sollten die Informanten aus dem rechten Milieu abgeschaltet werde.

Stuttgart - Der baden-württembergische Verfassungsschutz erkennt keine konkreten Hinweise auf rechtsterroristische Gruppierungen und Strukturen im Südwesten. Gleichwohl – so heißt im jüngsten Jahresbericht der Behörde – bestehe jedoch das Risiko, dass noch unerkannte und „radikalisierte Einzeltäter oder Kleinstgruppen die eigene Handlungsfähigkeit durch Gewalttaten unter Beweis stellen könnten“.

 

Die Erfahrungen mit den NSU-Morden haben die Verfassungsschützer offenkundig vorsichtig gemacht. Innenminister Reinhold Gall (SPD) sagte bei der Vorstellung des Berichts: „Wir ziehen daraus die Lehre, dass wir die Bereitschaft von Rechtsextremisten, auch schwere Gewalttaten zu begehen, keineswegs unterschätzen dürfen.“ Bleibt allerdings die immer noch nicht abschließend geklärte Frage, ob im Fall des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) die Kleingruppen-Theorie tatsächlich zutrifft oder die drei Rechtsterroristen Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe nicht über ein Unterstützerumfeld verfügten, deren Mitglieder zumindest in groben Zügen darüber im Bilde waren, was das mörderische Trio trieb.

Inzwischen ist bekannt, dass die NSU-Bande Kontakte nach Baden-Württemberg hatte, mehrmals auch im Lande war, etwa in Stuttgart und in Ludwigsburg. Eine von Innenminister Gall installierte Ermittlungsgruppe „Umfeld“ versucht die Qualität dieser Kontakte derzeit aufzuklären. Nähere Angaben dazu wollte der Innenminister noch nicht machen. Verfassungsschutzpräsidentin Beate Bube sagte, ihre Behörde habe über keine eigenen Quelleninformationen über das Treiben des Trios in Baden-Württemberg verfügt. „Der Verfassungsschutz sitzt nicht auf jedem Sofa.“ Man habe lediglich seit 1998 aus Thüringen gewusst, dass nach Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe gefahndet werde. Von der Garagenliste habe ihr Amt erst Ende vergangenen Jahres erfahren. Eine Adressenliste, die 1998 in der Garage von Mundlos gefunden worden war, enthielt auch Namen aus Baden-Württemberg.

Hinweise, laut denen nach dem Anschlag auf zwei Polizisten in Heilbronn im Jahr 2007 aus der rechten Szene nach dem Zustand des schwerverletzten Beamten geforscht worden war, bezeichnete die Verfassungsschutzpräsidentin als „frei erfunden“. Sie dementierte auch, dass ein angeblicher Ku-Klux-Klan-Ableger in Schwäbisch Hall von V-Leuten des Verfassungsschutzes gegründet worden sei. „Das kann ich definitiv ausschließen.“ Unlängst waren Gerüchte aufgetaucht, dass sich eine neue Gruppierung des rassistischen Ku-Klux-Klan gebildet habe. Äußerungen des Chefs des Landeskriminalamts (LKA), Dieter Schneider, deuteten darauf hin. Bisher ist aber nur ein Mann mit den Pseudonym Didi White bekannt, der behauptet, eine derartige Gruppe zu leiten. Innenminister Gall sagte, dies werde untersucht. Bisher gebe es aber „keine Anhaltspunkte für verfestigte Strukturen“.

Gall ist skeptisch bei Verdeckten Ermittlern

Gall bekannte sich in diesem Zusammenhang zum Einsatz von V-Leuten. „Meine Meinung ist nicht in Stein gemeißelt. Stand heute aber gilt: Wir sollten auf V-Leute nicht verzichten.“ Andernfalls leide die Arbeitsfähigkeit des Verfassungsschutzes. Wichtig seien aber „klare Rahmenbedingungen“ für den V-Leute-Einsatz. Dies gelte etwa für die Bezahlung oder den ausersehenen Personenkreis. Einige Bundesländer plädieren inzwischen dafür, nicht mehr auf V-Leute zurückzugreifen, um an Informationen zu kommen. Vielmehr sollten wieder vermehrt Verdeckte Ermittler eingesetzt werden. Dabei handelt es sich um Beamte, die sich mit einer falschen Identität in das Zielmilieu einschleichen. Innenminister Gall hegt Bedenken: „Damit gefährden wir Menschenleben.“

Nach den Erkenntnissen des Verfassungsschutzes kommt der NPD als der mitgliedsstärksten rechtsextremistischen Organisation eine zentrale Rolle innerhalb der rechten Szene zu. „Daher ist es richtig, jetzt einen neuen Anlauf für ein NPD-Verbot zu wagen“, sagte Gall. Baden-Württemberg habe die Geschäftsstelle zur Vorbereitung des Antrags übernommen.

Weniger Rechtsextremisten, aber mehr Gewalt

Laut Verfassungsschutz sinkt die Zahl der Rechtsextremisten im Land schon seit einiger Zeit. Dieser Trend setzte sich auch im Jahr 2012 fort. Etwa 1900 Personen wurden der rechten Szene zugerechnet, im Jahr 2011 waren es noch 2000. Rechtsextremistische Skinheads wurden 420 gezählt, im Vorjahr waren es noch 450. Die Zahl der Neonazis ging von 510 im Jahr 2011 auf 450 im Jahr 2012 zurück. „Autonome Nationalisten“ gab es 2012 etwa 150, im Vorjahr waren noch 190 gezählt worden.

Einen leichten Rückgang verzeichneten die Verfassungsschützer auch bei den gewaltbereiten Rechtsextremisten. Zuletzt waren es 620. Doch diese schlugen dafür umso öfter zu. Die Zahl der rechtsextremistisch motivierten Gewalttaten stieg von 35 im Jahr 2011 auf 40 im vergangenen Jahr.