Wegen wachsender Gewaltneigung der Extremisten prüfen die Behörden die Rücknahme waffenrechtlicher Erlaubnisse – doch das ist im Einzelfall schwierig. Verfassungsschutz sieht Sicherheit auch durch Islamismus und innertürkische Konflikte bedroht.

Stuttgart - Baden-Württembergs Waffenbehörden prüfen derzeit im Auftrag des Innenministeriums, waffenrechtliche Erlaubnisse für sogenannte Reichsbürger, Selbstverwalter und andere Mitglieder dieser Szene zurückzunehmen oder zu widerrufen. Das Land will damit verhindern, dass es zu ähnlichen Vorfällen kommt wie im vergangenen Jahr in Sachsen-Anhalt und Bayern, wo in Auseinandersetzungen von Reichsbürgern mit der Polizei mehrere Beamte verletzt beziehungsweise getötet wurden.

 

„Waffen gehören nicht in die Hände von Extremisten“, sagte Innenminister Thomas Strobl am Donnerstag bei der Vorstellung des Landesverfassungsschutzberichts für 2016. Doch gerade Reichsbürger und Selbstverwalter hätten eine besondere Affinität zu Schusswaffen. Der Entzug dürfte sich nach Einschätzung des Innenministeriums im Einzelfall schwierig gestalten. Zwar haben die bei den Stadt- und Landkreisen angesiedelten Unteren Waffenbehörden seit diesem Jahr bereits zwei Erlasse aus Stuttgart zu diesem Thema auf dem Tisch, die auch Argumentationshilfe liefern. So spricht man den Reichsbürgern ihre Zuverlässigkeit ab, eine Waffe zu besitzen, denn sie negieren den Bestand der Bundesrepublik und damit ihre Gesetze. Im Einzelfall müssten die Behörden jedoch gerichtsfest nachweisen, dass ein Waffenbesitzer tatsächlich ein Reichsbürger sei, heißt es im Innenministerium.

Beobachtung seit November

Das gestaltet sich auch deshalb schwierig, weil diese Szene nicht einheitlich, sondern eine Ansammlung von Eigenbrötlern ist. „Sie stehen auch häufig untereinander in Konkurrenz“, sagte Verfassungsschutzpräsidentin Beate Bube. Bundesweit gehe man derzeit von einem Potenzial von 12 600 Reichsbürgern und Selbstverwaltern aus – wobei Letztere die Bundesrepublik meist anerkennen, auf Privatgrundstücken aber trotzdem ihren eigenen „Staat“ ausrufen. In Baden-Württemberg sind laut Bube bislang 1500 Szenemitglieder namentlich bekannt. Die Datenerhebung dauert aber noch an.

Im vergangenen Jahr stellte der Verfassungsschutz auch in Baden-Württemberg eine deutliche Zunahme der Aktivitäten sowie eine erhöhte Gewaltbereitschaft gegenüber behördlichen Vertretern fest. Die gesamte Szene wird allerdings erst seit Ende November beobachtet. Zuvor standen lediglich solche Reichsbürger im Fokus, bei denen tatsächliche Anhaltspunkte für rechtsextremistische Bestrebungen vorlagen.

Nachdem die Gesamtzahl der Rechtsextremisten in Baden-Württemberg in den Jahren 2013 bis 2015 bei etwa 1800 stagniert hatte, sank sie im vergangenen Jahr auf rund 1700. Auch die Zahl der gewaltorientierten Personen nahm laut Bube ab: von 810 auf 790. Gesunken ist auch die Zahl rechtsextremistischer Straftaten: von 1484 auf 1371. 44 Mal war dabei Gewalt im Spiel, was Bube als „vergleichsweise hoch“ einstuft. Ihre Erklärung: „Der verstärkte Zuzug von Flüchtlingen und die gestiegene Zahl der Flüchtlingsunterkünfte verschafften fremdenfeindlichen Aggressionen immer mehr potenzielle Angriffsziele.“ Die Zahl gewaltorientierter Linksextremisten stieg von 780 auf 820. Bei den linken Gewalttaten gab es hingegen einen Rückgang von 135 auf 99.

Terrorgefahr bleibt hoch

Strobl hält angesichts der jüngsten islamistischen Anschläge in Europa die Terrorgefahr für anhaltend hoch. „Die Sicherheitslage in Baden-Württemberg hat sich weiter verschärft“, sagte der CDU-Politiker. 3530 Islamisten werden derzeit im Land vom Verfassungsschutz beobachtet, darunter etwa 620 Salafisten. Im Jahr 2015 waren die Verfassungsschützer von 3360 Islamisten ausgegangen. Bundesweit sind rund 10 000 Menschen dem salafistischen Spektrum zuzuordnen – dessen Ziel ist die Errichtung eines schariakonformen politischen Systems.

Abgeschwächt hat sich nach Erkenntnis des Verfassungsschutzes die Ausreisedynamik von Islamisten in die Krisenregionen von Syrien und Irak. Bis Ende 2016 sind rund 50 Menschen aus Baden-Württemberg dorthin aufgebrochen, um für Terrorgruppierungen wie den IS zu kämpfen. Rund ein Dutzend von ihnen kam bei Kampfhandlungen oder Selbstmordattentaten ums Leben.