Werden Zeugnisse in der Justiz so geschrieben, dass bei Beförderungen der gewünschte Kandidat zum Zuge kommt? So wurde es in einem Urteil referiert. Nun hat der klagende Richter erreicht, dass seine Beurteilung vernichtet wird – samt aller Korrespondenz dazu.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart / Mannheim - Ein in der Justiz viel beachteter Rechtsstreit um die Beurteilung und Beförderung von Richtern hat vor dem Verwaltungsgerichtshof (VGH) seinen Abschluss gefunden. Der klagende Richter und das Land Baden-Württemberg schlossen jetzt einen Vergleich, wie ein VGH-Sprecher unserer Zeitung mitteilte. Das Land habe sich danach verpflichtet, die umstrittene Beurteilung des Richters, die in diesem Zusammenhang ergangenen Bescheide und den gesamten Schriftverkehr „aus den Personalakten des Klägers zu entfernen und als nicht existent zu betrachten“. Damit sei das Verfahren erledigt, die Kosten trügen die Beteiligten jeweils zur Hälfte.

 

Der Richter hatte sich auf die Position des Vizepräsidenten eines Landgerichts beworben. Dazu benötigte er eine Beurteilung durch die damalige Präsidentin des Oberlandesgerichts (OLG) Karlsruhe, Christine Hügel. Diese fiel zwar überdurchschnittlich gut aus, aber nicht so gut wie erwartet und für den Erfolg der Bewerbung notwendig. Der Grund dafür war aus seiner Sicht klar: Hügel habe ihm deutlich signalisiert, dass seine Bewerbung nicht in die Personalplanung passe und er mit einer schlechteren Beurteilung rechnen müsse, wenn er sie aufrechterhalte. Beim Bemühen um eine andere Stelle werde sie ihn aber unterstützen.

Von der Bewerbung abgeraten

Die OLG-Chefin hatte hingegen versichert, es sei ihr lediglich um eine fürsorgliche Beratung gegangen und nicht darum, Druck auszuüben. Sie habe bei dem Richter die gewünschte Verwaltungserfahrung vermisst, andere Planungen hätten keine Rolle gespielt. Allerdings hatte sie darauf hingewiesen, dass es für die Besetzung der Vizepräsidenten-Stelle schon bestimmte Vorstellungen gebe; es sei bereits ein anderer starker Bewerber vorhanden.

Gegen das Zeugnis wehrte sich der Richter zunächst per Widerspruch. Sein Dienstherr verstoße damit gegen die Pflicht, ihn gerecht, unvoreingenommen und möglichst objektiv zu beurteilen. Nach dessen Ablehnung zog er vor das Verwaltungsgericht Karlsruhe. Dieses entschied im Herbst vorigen Jahres, die Beurteilung sei rechtswidrig gewesen und müsse neu gefasst werden. Zur Begründung hieß es, Hügel sei angesichts ihrer Äußerungen als befangen anzusehen gewesen. Der Richter habe nicht annehmen können, dass sie ihn „sachlich und gerecht“ beurteilen werde. Vielmehr habe sie den Ausgang des Besetzungsverfahrens schon vorhergesagt – und das zu einem Zeitpunkt, an dem ihr weder die Eignung des Favoriten noch die des Klägers bekannt war.

Mauschelpraxis bei Stellenvergaben?

In dem Urteil hatte das Verwaltungsgericht auch auf eine angeblich gängige Mauschelpraxis bei Personalentscheidungen in der Justiz abgehoben. Unter Richtern in Baden-Württemberg sei „die Vorstellung weit verbreitet“, dass die Schritte bei Stellenbesetzungen „gewissermaßen in umgekehrter Reihenfolge“ erfolgten. Erst einigten sich die Personalverantwortlichen des Justizministeriums mit den jeweiligen Gerichtspräsidenten auf einen Richter, der befördert werden solle. Diesem werde dann mitgeteilt, dass demnächst eine Stelle für ihn ausgeschrieben werde. Erst dann erfolge die öffentliche Ausschreibung. In der Folge würden die Beurteilungen der Aspiranten so abgefasst, dass man zu dem von vornherein gewünschten Ergebnis komme.

Diese Vorstellung könne „nicht in jeder Hinsicht zutreffend sein“, hieß es im Urteil weiter, weil damit systematisch gegen das Grundgesetz verstoßen würde. Danach hat jeder Deutsche nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung Zugang zu öffentlichen Ämtern. Bereits im Prozess hatte das beklagte Land die Mauschelpraxis bestritten. Gegenüber der StZ hatte das Justizministerium betont, der Vorwurf entbehre „jeder empirischen Grundlage“. Man halte sich streng an den Grundsatz der Bestenauslese, jede Bewerbung werde unvoreingenommen und ergebnisoffen geprüft.

Kontroverse Debatte unter Richtern

Das Urteil hatte in der Richterschaft kontroverse Diskussionen ausgelöst. Während sich Kritiker der Personalpolitik dadurch bestätigt sahen, äußerten sich andere Richter höchst kritisch über die grundsätzlichen Passagen. Hinter vorgehaltener Hand wurde darauf hingewiesen, dass es sich bei der Vorsitzenden Richterin der Kammer um eine Landessprecherin der linksliberalen Neuen Richtervereinigung handele. Diese ging wenig später in den Ruhestand, ebenso wie die betroffene OLG-Chefin Hügel. So oder so: Mit der Löschung des gesamten Vorgangs hat der klagende Richter nun beim VGH sein Ziel erreicht.