Mit spielerischen Tests untersuchen Forscher, was Menschen von Schimpansen unterscheidet. Nun sind sie auf einen wichtigen Punkt gestoßen.

Stuttgart - Für Leckereien gibt es bei Schimpansen eine klare Rangfolge: Karottenstückchen sind beliebt, aber längst nicht so sehr wie Apfelstückchen, Weintrauben toppen wiederum alles. Man muss nur sehen, wie heftig ein Schimpanse protestiert, wenn ein Artgenosse im Gehege eine Weintraube bekommt und er selbst mit einem Karottenstück abgespeist wird. Im Zweifel wirft er dem Versuchsleiter das Karottenstück vor die Füße. Auf eine ungerechte Behandlung reagieren die Affen empfindlich.

 

Bei Kindern wäre es nicht anders, und tatsächlich wirken viele Verhaltensweisen der nächsten Verwandten im Tierreich recht menschlich. Wie weit geht diese Ähnlichkeit? Wo endet der Bereich des Tierischen und wo beginnen die Fähigkeiten, über die nur Menschen verfügen? Einige Theorien der Wissenschaftler haben sich bereits als falsch erwiesen: Schimpansen lösen durchaus knifflige Aufgaben und schauen sich Tricks bei ihren Artgenossen ab, so dass die Fähigkeiten zum Kombinieren und Lernen als Unterscheidungsmerkmal ausfallen. Aber wie lässt sich erklären, warum es die Affen trotz allem nicht weiter bringen, als einen Stein zu verwenden, um eine Nuss zu knacken? Michael Tomasello vom Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie in Leipzig hat als Antwort eine steile These formuliert: Er behauptet, dass nur Menschen Wissen erwerben können, das aufeinander aufbaut. Im Fachjargon der Anthropologen wird diese Art des Lernens kumulativ genannt. Wie beweist man eine solche These?

Vom Versuchsleiter lassen sich die Affen nichts zeigen

Zunächst hat Tomasello mit seinen Kollegen untersucht, wie gut die Schimpansen damit zurecht kommen, wenn sie Hebel drücken oder Seile ziehen müssen, um an eine Belohnung zu gelangen. Die Forscher stellten fest, dass sich die Affen nur selten die jeweiligen Tricks von den Versuchsleitern abschauten, selbst wenn sie diese mehrfach vorgeführt bekamen. Doch dieses Ergebnis reicht als Beleg nicht aus. Der Verhaltensforscher Frans de Waal von der Emory-Universität in Atlanta, Autor populärwissenschaftlicher Bücher („Der Affe in uns“), kritisierte: Wer die sozialen Fähigkeiten der Schimpansen untersuchen wolle, müsse Schimpansen unter ihresgleichen beobachten.

Im Wissenschaftsmagazin „Science“ erscheint heute eine Studie, in der ein internationales Forscherteam Tomasellos These genauer untersucht hat und dabei den Einwand von de Waal umgeht. Tomasello wird bestätigt: „Unser Experiment liefert einen starken Beleg für die These“, schreiben die Autoren am Ende ihres Fachartikels, und sie fügen sogar hinzu, dass sie noch einen weiteren Teil von Tomasellos Theorie bestätigen können: Menschen können auf ihrem bereits erworbenen Wissen aufbauen, weil sie darauf achten, was andere Menschen tun. Die soziale Komponente mache den Unterschied zwischen Mensch und Tier.

Der Vergleichstest zwischen Kindern und Schimpansen

Das Team unter der Leitung von Kevin Laland von der britischen Universität St. Andrews hat Kinder und Schimpansen mit einem Kasten konfrontiert, der einige Belohnungen bietet – vorausgesetzt, man weiß, wie man ihn öffnet. „Die Kinder sahen in dem Apparat eine gemeinsam zu lösende Übungsaufgabe“, fassen die Forscher zusammen. „Im Gegensatz dazu schienen die Schimpansen den Apparat nur als Möglichkeit zu betrachten, um für sich eine Belohnung zu beschaffen.“

Das Wort „schienen“ in dieser Aussage ist wichtig, denn das Verhalten der Schimpansen ist nicht so leicht zu interpretieren wie das Verhalten von drei- oder vierjährigen Kindern. Laland hat daher mit seinem Team den Versuch gefilmt und die Szenen auf zahlreiche Faktoren hin überprüft. Obwohl 74 Schimpansen jeweils 30 Stunden mit dem Apparat hantieren durften, sahen die Forscher keinen einzigen Fall, in dem ein Schimpanse einem anderen etwas von seiner Belohnung abgab oder seinem Artgenossen zeigte, wie man an die Belohnung kommt. Die Affen ahmten die Handgriffe ihrer Artgenossen auch seltener nach, als es die Kinder taten.

Das wichtigste Ergebnis ist aber, dass die Schimpansen nicht weit kamen. Der Apparat, mit dem sie hantierten, bot drei Belohnungen, die sich durch ihren Geruch verrieten: Für die Karotte mussten die Affen eine Tür zur Seite schieben, für den Apfel zusätzlich einen Knopf drücken (sie durften auch darauf beißen) und für die Weintraube auch noch an einem Rädchen drehen. Der Versuchsaufbau wirkt, als hätten sich die Versuchsleiter an dem Lied mit dem Nippel von Mike Krüger orientiert. Im ersten Durchgang mit 33 Schimpansen kam nur einer an die Weintraube. In der zweiten Runde, in der ein gut trainierter Schimpanse seinen Artgenossen auf die Sprünge helfen konnte, war es kaum besser. Unter den Kindern, die statt mit Obst und Gemüse mit Stickern gelockt wurden, erreichten hingegen mehr als 40 Prozent die dritte Stufe.

Einige Schimpansen schaffen es doch

Frans de Waal ist von der Studie angetan, seine Kritik muss er nun fallen lassen. Das Ergebnis sei klar und gut belegt, gibt er zu: Menschen sind kommunikativer und kooperativer als Schimpansen. Doch weiter will er nicht gehen: Tomasellos These unterschreibt er auch nach diesem Experiment nicht. „Die Fähigkeit zum kumulativen Lernen mag bei Schimpansen weniger gut ausgebildet sein“, sagt er. Doch sie ihnen ganz abzusprechen – dazu reichten die Belege noch nicht aus.

De Waal stützt seine Skepsis auf zwei Punkte: Zum einen sei es bei den Schimpansen um Essbares gegangen, bei den Kindern hätten die Belohnungen nur einen symbolischen Wert gehabt. „Man fragt sich, ob sich die Affen nicht kooperativer verhalten hätten, wenn es nicht um Essbares gegangen wäre“, sagt er. Doch sein stärkster Punkt ist ein einfacher: Einige Schimpansen haben das Experiment bis zur dritten Stufe geschafft und die Weintraube ergattert. „Diese Individuen hatten die Fähigkeit zum kumulativen Lernen“, sagt de Waal. Die Fähigkeit mag im Tierreich selten sein, aber sie kommt vor – was leider wieder zur Ausgangsfrage zurück führt, warum Schimpansen aus ihren Fähigkeiten nicht mehr machen.