Ein 47-Jähriger aus Ditzingen steht wegen einer Attacke auf seine Tochter und deren Freund vor dem Stuttgarter Landgericht. Er soll im Dezember 2016 in Kornwestheim auf die beiden geschossen haben.

Kornwestheim - Er war angekommen in Deutschland. Im Betrieb hatte sich der gebürtige Kosovare im Laufe der Jahre zum Vorarbeiter hochgedient, das Familieneinkommen besserte er zusätzlich durch Hausmeistertätigkeiten und als Kassierer in einer Diskothek auf. Die Familie konnte sich eine Eigentumswohnung in Ditzingen leisten und nahm die deutsche Staatsangehörigkeit an. Die beiden älteren Kinder machen Ausbildungen, das jüngste geht noch zur Schule. Am 4. Dezember des vergangenen Jahres zerstörte der Vater mit ein paar Pistolenschüssen das, was er sich mit großem Fleiß aufgebaut hat.

 

Das Ziel seiner Attacke auf einem Parkplatz am Kornwestheimer Hallenbad war die eigene Tochter und deren damaliger Freund. Sie wurden schwer verletzt. Er habe sie für den aus seiner Sicht unmoralischen Lebenswandel und die Verletzung der Familienehre bestrafen wollen, heißt es in der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft, der Fall wird seit Donnerstag am Stuttgarter Landgericht verhandelt.

Tochter: „Ich will nicht die Hausfrau spielen“

Auf der Anklagebank sitzt kein fundamentalistischer Moslem, der von seiner Tochter verlangt, dass sie Kopftuch trägt und sich sittsam kleidet. „Ich habe mit Religion nichts am Hut. Ich war in meinem Leben einmal in einer Moschee“, erklärte der Angeklagte. Das vermittelte am ersten Verhandlungstag das Bild eines Vaters, der es nicht erträgt, dass seine Tochter mit 20 Jahren ihr eigenes Leben leben will, der kontrolliert und überwacht.

Der 47-Jährige, der in der U-Haft von Ehefrau und Söhnen besucht wird, äußerte sich nicht zum Verhältnis zu seiner Tochter. Die 20-Jährige indes, die erstmals 2012 aus der elterlichen Wohnung ausgezogen war, berichtete dem Gericht, wie sie sich seit Jahren von ihrem Vater gestalkt fühle. Er habe gewollt, dass sie früh heirate. „Aber ich will nicht die Hausfrau spielen.“

An jenem verhängnisvollen 4. Dezember kam es nicht zum ersten Zwischenfall. Zwei Jahre zuvor soll der 47-Jährige seine Tochter bei einer Art Entführung zurück in die elterliche Wohnung gebracht haben. Später kam es zu einer Schlägerei mit einem Freund der Tochter. Die 20-Jährige erwirkte vor dem Amtsgericht ein Annäherungsverbot, an das sich der Vater aber nicht gehalten haben soll. In ihrer Handtasche führte sie nach eigenem Bekunden immer Pfefferspray mit sich, „aus Angst vor meinem Vater“. An jenem Dezembersonntag 2016 begibt sich der Vater, so schildert er es, schon am Mittag ein erstes Mal von Ditzingen nach Kornwestheim, beobachtet den Balkon der 20-Jährigen und fotografiert, als der Freund ihrer Tochter vorfährt. Die Fotos schickt er auf ein zweites Handy, auf dem er die Bilder aus dem Leben seiner Tochter speichert. Seine Ehefrau und seine Söhne sollten die Fotos auf seinem Handy nicht sehen, erklärt er.

Die 20-Jährige erleidet einen Wangendurchschuss

Am späten Nachmittag macht er sich wieder auf den Weg zur Theodor-Heuss-Straße, postiert sich vor dem Haus und versteckt sich hinter einem Wohnwagen, als das Pärchen das Haus verlässt, um zum Essen zu McDonald’s zu fahren. Als die Tochter in den Wagen einsteigt, eskaliert die Situation. Was genau passiert, darüber gehen die Erinnerungen der Beteiligten auseinander. Während der Vater von Schüssen in den Boden und sich „versehentlich lösenden“ Schüssen spricht, haben die Tochter und ihr 28 Jahre alter Freund das Gefühl, dass der 47-Jährige nach ihrem Leben trachtet.

An ihren Kopf habe er die Waffe gehalten, berichtet die Tochter. Ihr gelingt die Flucht, als sich die beiden Männer auf dem Boden raufen. Vom Rewe-Parkplatz aus alarmiert sie die Polizei. Sie erleidet einen Wangendurchschuss.

Der 28-jährige Freund, der sich mit einem Baseballschläger zur Wehr setzt, kann dem Angreifer bei der Auseinandersetzung die Waffe aus der Hand schlagen. Der 47-Jährige, der selbst am Kopf schwer verletzt wird, fährt zurück nach Ditzingen und stellt sich dort der Polizei. Der 28-Jährige aus Bietigheim-Bissingen trägt schwere Verletzungen der Schulter und des Trommelfells davon. Er flüchtet mit dem Auto zu einem Freund. Die Tochter und ihr damaliger Freund leiden heute noch unter Angstzuständen und sind in psychologischer Behandlung.

Die Waffe will der 47-Jährige schon seit Jahren in seinem Keller gelagert haben. Ein Gast in der Diskothek, in der er gearbeitet habe, habe sie ihm anvertraut und nicht wieder abgeholt. Nach der ersten Auseinandersetzung mit einem Freund der Tochter habe er die Pistole ins Auto gelegt, um sich notfalls wehren zu können. Wie er die Sache im Nachhinein betrachte, fragt die Richterin Ute Baisch den Angeklagten. „Schön ist es halt nicht“, antwortet er. „Gott sei Dank ist niemand gestorben. Aber ich hätte auch dabei draufgehen können.“ Der Prozess wird in drei Wochen fortgesetzt.