In Amstetten auf der Alb kämpft man mit einer Online-Petition gegen eine Ausdünnung des Zugfahrplans. Nachbarkommunen geben unterdessen viel Geld aus für den Neubau eines Bahnhofs an der Neubaustrecke Wendlingen-Ulm.

Stadtentwicklung/Infrastruktur : Christian Milankovic (mil)

Merklingen/Lonsee - Lonsee auf der Schwäbischen Alb beherbergt die Reste eines römischen Kastells, aus einem kleinen Quelltopf entspringt die Lone und der Bürgermeister der knapp 5000 Einwohner zählenden Gemeinde im Alb-Donau-Kreis hat jüngst eine Online-Petition gestartet. Es sei das erste Mal, dass er zu diesem für einen Rathaus-Chef eher unüblichen Instrument der politischen Willensbildung greife, bekennt Jochen Ogger. Dass der Christdemokrat es doch getan hat, liegt auch daran, dass die Gemengelage zugegebenermaßen verworren ist: Da geht ein CDUler auf die Barrikaden, weil ihm der grüne Landesverkehrsminister Zugverbindungen streicht. So sieht es jedenfalls Ogger. Um die Sache vollends komplex zu machen, kämpft Ogger für die Haltfrequenz im Nachbarort Amstetten. Mit dem dortigen Schultes sei die Aktion abgestimmt, versichert der Rathaus-Chef von Lonsee.

 

Längere Fahrzeiten nach Stuttgart und nach Ulm

Dort, in Amstetten, beginnt die Alb – jedenfalls aus eisenbahntechnischer Sicht. Die Züge aus dem Filstal haben sich die Geislinger Steige herauf gekämpft und nehmen nach der Steigungsstrecke wieder Fahrt auf, um Richtung Ulm zu rollen. Doch längst nicht alle Züge rauschen durch die Ortschaft am Albtrauf. Heute seien es 32 Zughalte in jede Richtung, zählt Ogger vor. Nach dem nächsten Fahrplanwechsel Mitte Dezember sollen es nur noch deren 18 sein. Nach Ulm sei man künftig 23 statt 18 Minuten unterwegs, in die Landeshauptstadt verlängere sich die umsteigefreie Fahrt von 60 auf 84 Minuten.

Was dem christdemokratischen Rathaus-Chef besonders gegen den Strich geht: Wegen des ausgedünnten Fahrplans denkt man im Landratsamt des Alb-Donau-Kreises darüber nach, für den Schülertransport parallel zu den Gleisen wieder Schulbusse auf der Straße rollen zu lassen – den politischen Bekundungen, Verkehr von der Straße auf die Schiene verlagern zu wollen, gerade zum Hohn. Was das Land im Regionalverkehr vorhat, ist im „Zielkonzept 2025 für den Schienenpersonennahverkehr“ festgehalten. Im Vorwort des Papiers schreibt Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne), das Land werde „den Schienenpersonennahverkehr in Baden-Württemberg in den kommenden zehn Jahren Schritt für Schritt ausbauen, damit noch mehr Menschen als bisher vom Auto auf dieses umweltfreundliche Verkehrsmittel umsteigen“. Hermann hat dabei nicht nur die Ballungsräume im Blick. „Auch im ländlichen Raum wollen wir gezielt Akzente setzen“. Jochen Ogger flüchtet sich in Sarkasmus. „Das ist dem Minister im Fall Amstetten ja bereits geglückt“.

Das Verkehrsministerium verweist auf die geringe Nachfrage

Immerhin muss der Alb-Donau-Kreis offenbar den auf die Straße rückverlagerten Schülertransport nicht alleine schultern. „Das Land könnte diesen Schulbusbetrieb eventuell bezuschussen“, lautet die Ansage aus dem Verkehrsministerium. Sie stammt von Hermanns Sprecher, Edgar Neumann. Die heute sehr gute Anbindung Amstettens ans Schienennetz, wo Regionalexpresszüge und Regionalbahnen nahezu einen Halbstundentakt böten, sei historisch gewachsen – mit den Fahrgastzahlen hingegen keinesfalls zu erklären. Rund 400 Passagiere würden den Bahnhof heute täglich frequentieren. „Landesweit denken wir an einen Halbstundentakt ab einem Fahrgastaufkommen von 5000 Passagieren“, sagt Neumann. Für die überschaubare Anzahl an betroffenen Schülern könne man nicht einen weiteren Zug bestellen, der pro Jahr gut eine Million Euro kosten würde, sagt der Ministeriumssprecher.

Dessen Chef Hermann erfreut sich nur wenige Kilometer von Amstetten und Lonsee weitaus größerer Beliebtheit, seit er dem Wunsch einiger Gemeinden rund um Merklingen unterstützt hat: Die Gegend der Laichinger Alb bekommt einen eigenen Regionalbahnhof an der Neubaustrecke zwischen Wendlingen und Ulm. Das nächste Etappenziel wird am Freitag, 2. Dezember, erreicht. Hermann unterschreibt die Finanzierungsvereinbarung zum Bau des Haltepunkts bei Merklingen. Gegengezeichnet wird der Vertrag von Vertretern eines eigens aus der Taufe gehobenen Zweckverbands, in dem sich neben Merklingen auch Laichingen, Heroldstatt, Westerheim, Berghülen, Nellingen, Drackenstein und Hohenstadt wiederfinden. Knapp 24 000 Menschen leben zusammengenommen dort. Die stolze Summe von 13 Millionen Euro nehmen die im Zweckverband vereinten Gemeinden und Städte für den Bahnhofsbau in die Hand. 39 Millionen Euro kommen vom Land.

Rund um den neuen Bahnhof soll sich Gewerbe ansiedeln

Die Albstädtchen versprechen sich von den zwei Bahnsteigen vor den Toren Merklingens eine ganze Menge. Nach Ulm ginge es von dort in elf Minuten, die Reisedauer zum Flughafen in Stuttgart soll 20 Minuten, die zum Hauptbahnhof in der Landeshauptstadt 31 Minuten betragen. Reisezeiten, die den einen oder anderen Städter zu einem Umzug auf die Alb bewegen könnten. Und womöglich siedelt deren Arbeitsplatz ja gleich mit um, so das Kalkül der Bahnhofsbefürworter. Nicht von ungefähr heißt ihr Zweckbündnis „Verband zur Errichtung des Bahnhofes Merklingen und der interkommunalen Entwicklung von Industrie und Gewerbe“. Mit anderen Worten: Wo die sechsspurige A 8 und die Schnellbahntrasse in Sichtweite vorbeiführen, müssten sich auch Albäckerle in Gewerbeflächen verwandeln lassen.

Zurück nach Amstetten: Der Aufruf von Jochen Ogger hat bisher 2478 Unterstützer gefunden. Es bleiben noch 69Tage, um das Ziel von 29 000 virtuellen Unterschriften zusammenzubekommen. Dann versprechen die Betreiber des Internetportals von den „zuständigen gewählten Vertretern eine Stellungnahme zur Petition“ einzuholen. Es sieht also nicht gut aus für Amstetten, Lonsee und die anderen Gemeinden an der Bahnstrecke Stuttgart-Ulm. In Amstetten wird es am Bahnhof wohl vom Fahrplanwechsel im Dezember an ruhiger zugehen als bisher. Da hilft auch kein wehmütiger Blick zurück in jene Zeiten, als von Amstetten quer über die Alb eine Schmalspurstrecke nach Merklingen und Laichingen führte, wo sie heute an der schönen neuen Bahnzukunft mitbauen und -bezahlen. Die Strecke wurde 1985 stillgelegt – und gleich in weiten Teilen demontiert.