Vier Jahre später als ursprünglich vorgesehen sind die Sanierungen auf der Autobahnbrücke bei Horb nun so gut wie beendet. Ein Baustellenbesuch in 120 Metern Höhe.

Region: Verena Mayer (ena)

Horb - Wäre man zum Vergnügen hier, hätte man einen Blick für die Eisenbahnschienen, die aussehen wie eine sorgsam ausgelegte Strickleiter. Man könnte staunen darüber, dass der Neckar stumm in Richtung Horb fließt. Man könnte sich weiden an den bunten Bäumen, die die Talhänge zudecken, und dem kleinen Bahnhof in der Ferne wünschen, dass sehr viele Menschen bei ihm anhalten. Alles so hübsch hier oben, 123 Meter über dem Boden und vier Meter unter der Straße in dem Gefährt, das sich Brückenuntersichtgerät nennt.

 

Doch wer hier oben sein muss, darf nur Augen für den Dreck haben, der sich an die riesigen Wände aus Stahl geheftet hat, und für den Rost, der sich in jede Ritze dieser fast vier Jahrzehnte alten Brücke über dem Neckartal gefressen hat. Bodenlosigkeit statt Schwerelosigkeit. Verkehrsrauschen statt Neckarrauschen.

Die meisten Fahrer sind wahrscheinlich genervt, weil sie langsam tun müssen. Tempo 80 auf der Autobahn – pah! Sieht ja keiner, wie unten die vermummten Bauarbeiter mit Sandstrahlern, Winkelschleifern, Spritzpistolen, Hämmern und Spachteln in den Gerüsten hängen und schuften. Gleich, ob es windig ist und klamm oder sengend heiß. Denkt doch keiner drüber nach, was so eine Brücke für Arbeit macht.

Als die Baustelle im September 2009 eingerichtet wurde, dachten die Planer im zuständigen Regierungspräsidium Freiburg, dass die Strecke spätestens nach einem Jahr wieder unbehindert befahrbar sein würde. Doch erst in diesen Tagen bauen die letzten der 50 Arbeiter die Warntafeln und die mobilen Gleitwände ab und treten die Rückreise nach Görlitz an. Vier Jahre später also als geplant. Und aus den einst kalkulierten Kosten von 4,5 Millionen Euro sind mehr als 20 Millionen geworden.

Leo Andlauer strahlt selbst fast so hell wie die Warnbaken auf seinem Auto, als er die Baustelle betritt. „Diese Brücke ist faszinierend“, sagt der leitende Baurat beim Regierungspräsidium. Dann legt Andlauer los mit einem sehr komprimierten und sehr begeisternden Vortrag über diese Brücke, für die ihr Erschaffer Fritz Leonhardt eigentlich mindestens so berühmt sein sollte wie für seinen Fernsehturm.

Oberschenkeldicke Seile und mammutbaumgroße Pfeiler

Exakt 918 Meter lang ist die Strecke über das Tal, doch Fritz Leonhardt haben lediglich vier Stützpfeiler aus Stahlbeton gereicht, um sie in 127 Meter Höhe von der einen Seite zur anderen zu führen. Die beiden Teilstücke über den haltlosen Muschelkalkhängen brachte er zum Schweben. Leonhardt ließ jeweils zwölf oberschenkeldicke Stahlseile unter das spannen, was Experten die Endfelder nennen, platzierte zwischen Seilen und Endfeld einen v-förmigen Pfeiler, groß wie ein Mammutbaum – und hatte seine Stützen damit sozusagen aus der Luft gestampft.

Und dann der Überbau: wie ein Tunnel in den Himmel liegt der sechs Meter hohe und zehn Meter breite Hohlkasten aus Stahl auf den Pfeilern und hält die Fahrbahn, die mit 31,5 Metern extrem weit auskragt, wie der Fachmann sagt. 92 Streben auf jeder Seite verbinden den Hohlkasten mit der Straße und dienen dazu, dass sie an den Rändern nicht runterklappt.

Fast 16 700 Kubikmeter Beton und rund 11 000 Tonnen Stahl stecken in dem Monument von Meister Leonhardt, das dennoch so filigran aussieht, dass die Medien die „Eleganz in Beton und Stahl“ priesen, als die Brücke Ende 1978 nach drei Jahren Bauzeit eröffnet wurde. 65 Millionen Mark hat das letzte Teilstück der Bodenseeautobahn gekostet. Bis heute zieht es Jahr für Jahr Professoren mit schwindelfreien Ingenieurstudenten an. „Leider sehen die Leute gar nicht, was das für ein Konstrukt ist, wenn sie mit 160 Sachen drüber rasen“, sagt Leo Andlauer, der selbst Ingenieur ist.

Auf seinen Fotos sind von Rost entzündete Balken zu sehen. Füße von Geländerpfosten sind wegen Salzablagerungen geschwollen. Von Wänden blättern Schutzschichten wie Schorf von Wunden. So idyllisch der Nebel erscheint, der frühmorgens aus den Neckarwiesen steigt, so schädlich ist er für die Brücke. Und so überlebenswichtig das Salz aus der Taumittelanlage im Winter für die Autofahrer ist, so bedrohlich ist es für das Bauwerk. Stahl, Wasser und Luft sind eine gefährliche Kombinmation.

Der teure Kampf gegen den Rost

Bereits bei ihrem ersten großen Kontrollgang wenige Jahre nach der Abnahme des technischen Meisterwerks bemängeln die Kontrolleure Korrosionsschäden. Kein Bericht der alle sechs Jahre vorgeschriebenen Hauptprüfung kommt ohne einen Verweis auf Rostschäden aus. „Die Kombination dynamisch beanspruchter Stahlbauteile aus sich ständig erhöhenden Verkehrsbelastungen sowie extremer Einsatzbedingungen durch hohe Tausalzbeanspruchungen setzt solchen Bauwerken überproportional zu“, konstatieren die Fachleute in ihren Rapports. Immer wieder müssen deshalb Bauarbeiter anrücken.

Doch so viel wie dieses Mal hatten sie noch nie zu tun. Dabei hat alles relativ harmlos begonnen. Im Jahr 2009 stellen die Brückenprüfer fest, dass eine der Wände, die Autofahrer vor heftigen Windböen schützen soll, aus ihrer Verankerung zu fallen droht. Die Ursache: Rost! Doch mit ein bisschen Schleifen und Beschichten ist es nicht getan. Das gesamte Geländer auf beiden Seiten muss erneuert werden. Dann erweist sich der Notgehweg neben der Fahrbahn als: verrostet. Also auch neu machen. Die Abwasserleitung kann nicht so korrodiert bleiben, wie sie ist. Im 900 Meter langen kolossalen Hohlkasten unter der Straße haben Wasser und Salzsole ebenfalls rostige Spuren hinterlassen. Und die zwei mal 92 Streben nebst Fassade erweisen sich ebenfalls zersetzter, als auf den ersten Blick erkennbar war.

Die Rader-Hochbrücke der A 7 bei Rendsburg muss für Lastwagen wochenlang gesperrt werden. Von der Rheinbrücke der A 1 bei Leverkusen müssen sie sich gleich monatelang fernhalten. Die Lützelbachtalbrücke der A 45 bei Dillenburg verliert eine Stahlplatte, die Ohrntalbrücke der A 6 bei Öhringen zwei Spuren.

Sonderprogramm für Brückenertüchtigung

Fast die Hälfte der Brücken der Autobahnen befindet sich in einem kritischen Zustand. Die meisten der Bauwerke sind in den 70er und 80er Jahren errichtet worden, seither rollen bald neunmal mehr Gütertransporte über die Straßen, und diese transportieren auch noch viel mehr Güter. Statt 24 Tonnen bringt ein Laster heute 40 auf die Waage. Zwar ist auch das Verkehrsnetz größer und dichter geworden – doch es verkommt, weil viel zu wenig Geld für seine Erhaltung ausgegeben wird.

Dass es mit Aufbauen und Einweihen nicht getan ist, haben die Politiker in Berlin inzwischen auch erkannt und sich ein Sonderprogramm für Brückenertüchtigungsmaßnahmen ausgedacht. Baden-Württemberg bekommt im nächsten Jahr 350 Millionen Euro für die Pflege seiner Bundesbauten aus Berlin überwiesen statt wie bisher 300 Millionen. Ob das reichen wird?

Es gibt Berechnungen, wonach allein jeden Tag 50 Millionen Euro nötig wären, um die Verkehrsinfrastruktur der Bundesrepublik zu erhalten.

Die Fassade des Hohlkastens leuchtet jetzt tiefblauer als der Himmel. Das Weinrot der frisch besprühten Streben passt prima zum Laub der Bäume im Tal. Drei Lagen Epoxidharz und eine Schicht Polyurethan machen den Stahl robust gegen Rost. Der hell gestrahlte Notgehweg sieht richtig einladend aus. Das neue Geländer ist so stabil, dass es sogar einen 40-Tonner vor dem Absturz bewahren würde.

Die Brücke sei nun gerüstet für die nächsten 25 Jahre, sagt Leo Andlauer. Der leitende Baurat lacht dabei. Im nächsten Jahr wird sich klären, was mit der Fahrbahn passiert. Sie muss unbedingt stabiler werden. Bleiben, wie sie ist, kann sie auf keinen Fall.