Bezirksbeiräte empören sich über eine Aktion der Polizei nach einem Schulwegunfall – zu Unrecht. Das Verkehrsmännle wird nur aufgestellt, wenn ein Fußgänger den Unfall verursacht hat.

Böblingen: Marc Schieferecke (eck)

S-Mitte - Hier stand der blau lackierte Mann und mahnte, angekettet an den Mast eines Verkehrsschildes, gleich neben einer Trattoria, die auf einer Tafel vor ihrem Biergarten an diesem Tag Focaccia-Variationen bewirbt.

 

Mahnung an die falsche Adresse

Am Zebrastreifen auf der Werastraße – Ecke Schubartstraße – ist ein Fußgänger angefahren worden, am 5. Mai um 7.50 Uhr. Wer über die Straße geht, möge auf seine Sicherheit bedacht sein. So war es auf der hölzernen Figur zu lesen, samt einer Telefonnummer für weitere Auskünfte, gedruckt über dem Wappen des Landes Baden-Württemberg. Datum und Uhrzeit sind offensichtlich austauschbar. Dazu passt, was eine Frau erzählt, die gerade ihren Garten wässert: Immer, wenn es einen Unfall gab, wird die Figur aufgestellt, ein paar Tage später wieder abgeholt. Der blaue Mann sei schon wieder weggebracht worden. Wäre das so richtig, „dann wäre ja sogar Gefahr im Verzug“, sagt Veronika Kienzle, die Bezirksvorsteherin für die Stadtmitte, dies zumal der Zebrastreifen zu einem Schulweg gehört und bei jenem Unfall tatsächlich ein Kind zu Schaden kam.

Der Bezirksbeirat hatte sich ohnehin schon über die Aktion erbost. Rita Krattenmacher von der gemeinsamen Fraktion der SÖS und der Linken hatte den blauen Mann fotografiert und die Bilder in die jüngste Sitzung mitgebracht. Die Reaktionen waren einhellig: Erst fährt ein Autofahrer ein Kind an, dann mahnt das Land Baden-Württemberg die Kinder zur Vorsicht. Mithin gehe die Mahnung an die falsche Adresse.

Der blaue Mann verdeckte die Sicht

Obendrein stand der blaue Mann noch so, dass er den Kindern die Sicht auf die Straße verdeckte. Statt solchen Unfug zu treiben, möge wer auch immer verantwortlich sei, veranlassen, dass um den Zebrastreifen herum Baken aufgestellt werden, damit nicht die alltäglichen Falschparker den Einblick auf die Straße verstellen, lautete die Forderung im Bezirksbeirat.

Allerdings ist die Aktion kein Unfug. Jene Telefonnummer auf dem blauen Mann beginnt mit den Ziffern 8990. Das heißt, verantwortlich für die Figur ist die Polizei, in diesem Fall der Verkehrserziehungsdienst des Polizeipräsidiums Stuttgart. Der blaue Mann heißt im Polizeijargon „das Verkehrsmännle“. Wer die Nummer wählt, wird mit Peter Schwarz verbunden, der sich zunächst einmal für ein Missverständnis entschuldigt: Der blaue Mann hätte ein Stück weiter oben stehen müssen. Es war nicht so, dass ein unachtsamer Autofahrer ein Kind auf dem Zebrastreifen angefahren hat. Es war so, dass ein unachtsames Kind oberhalb des Zebrastreifens vor ein Auto gelaufen ist.

„Die Leute sehen es und reden darüber“

So ist es immer, wenn das Verkehrsmännle mahnt. Es wird nur aufgestellt, „wenn ein Fußgänger den Unfall verursacht hat“, sagt Schwarz und tröstet sich über das Missverständnis mit dem Grundsätzlichen hinweg: Der Fall zeige, „dass die Aktion in der Öffentlichkeit wirkt, die Leute sehen es und reden darüber“. Wenn auch nicht unbedingt das Richtige. Nach Auskunft der Polizei ist die Werastraße keineswegs regelmäßig Schauplatz von Verkehrsunfällen mit verletzten Fußgängern. Der blaue Mann steht am häufigsten an der Bebelstraße im Westen und am Wilhelmsplatz in Bad Cannstatt. „Das sind unsere Unfallschwerpunkte“, sagt Schwarz.

Der Ruf nach Sperrbaken verliert ungeachtet dessen nicht seinen Sinn. Dass Autofahrer ihre Wagen direkt am Zebrastreifen falsch parken, ist tatsächlich Alltag. Auch an jenem Tag, an dem die Frau ihren Garten wässerte, verstellten ein schwarzer Audi und ein weißer Kleintransporter den Blick auf die Straße.