Das Neckartor bleibt die am meisten belastete Feinstaub-Messstelle Deutschlands. Nun nimmt die Debatte über Gegenmaßnahmen Fahrt auf – auch weil die Überschreitungen sich ballen. Anwohner fordern Fahrverbote, die Politik lehnt ab.

Stuttgart - Die Schlagzeile ist, wie es deren Art ist, simpel: Deutschlands schmutzigste Kreuzung – so wird seit Jahren das Stuttgarter Neckartor tituliert, weil dort der von der EU vorgegebene Feinstaubgrenzwert von 50 Mikrogramm pro Kubikmeter so oft überschritten wird wie nirgendwo sonst in Deutschland: 44 Mal bereits im ersten Quartal diesen Jahres, deutlich häufiger als in der von der EU vorgegebene Grenze von höchstens 35 Überschreitungstagen im gesamten Jahr festgelegt. Weil diese Vorgabe am Neckartor Jahr für Jahr gerissen wird, werden das Regierungspräsidium und die Stadt im Herbst neue Maßnahmen vorschlagen – darunter auch Tempo 40 auf Steigungsstrecken. Doch den Anwohnern und Klägern ist das nicht genug. Sie fordern Fahrverbote, wenn die Grenzwerte überschritten werden. Das Regierungspräsidium winkt aber ab. „Stand heute ist es eher unwahrscheinlich, dass solch drastische Maßnahmen ergriffen werden müssen“, sagt eine Sprecherin.

 

Die in der Bürgerinitiative Neckartor zusammengeschlossenen Anwohner und der Kläger vor dem Verwaltungsgericht, die seit 2005 wirksame Maßnahmen fordern, weisen auf das Beispiel Paris hin. In der französischen Hauptstadt waren in diesem Frühjahr die Grenzwerte an fünf aufeinanderfolgenden Tage überschritten und zudem Spitzenwerte von 180 Mikrogramm erreicht worden. Die Folge: zuerst war die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel kostenlos, dann durften an einem Tag nur Autos mit geraden, am folgende nur solche mit ungeraden Kennzeichenendziffern fahren. Daran erinnern die Stuttgarter Betroffenen nun in Briefen an die Behörden in Stuttgart – und sie verweisen auf die ähnliche Lage am Neckartor.

Die Grenzwerte sind bereits im ersten Quartal überschritten worden. Klicken Sie auf die Grafik für eine größere Ansicht.

Mehrere Überschreitungstage in Folge

Auch dort, das machen die der StZ vorliegenden Messprotokolle der Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz (LUBW) deutlich, gibt es Zeiten höherer und geringerer Belastung (siehe Grafik). So gab es bis April vier Perioden, an denen im Jahr 2014 an fünf oder mehr Tagen in Folge der Wert von 50 Mikrogramm überschritten wurde, vom 5. bis zum 15. März sogar an elf aufeinanderfolgenden Tagen mit dem Höchstwert 101 Mikrogramm (14.3.). Am 1. und 31. Januar gab es mit 106 und 103 Mikrogramm hohe Werte.

Auch im Jahr 2013 mit 91 Überschreitungstagen wurden bis Mitte April fünf Überschreitungsperioden mit fünf und mehr Tagen registriert; besonders schlimm war es vom 28. Februar bis zum 8. März, als an zwei Tagen sogar Werte von mehr als 120 Mikrogramm gemessen wurden. Erst im Dezember 2013 gab es vom 9. bis zum 14. und vom 16. bis zum 20. wieder zwei Fünf-Tages-Bereiche, an denen aufeinanderfolgend (und nur von einem verkehrsarmen Sonntag unterbrochen) der 50-Mikrogramm-Wert überschritten wurde. Auffallend ist auch, dass es von Mitte April bis Ende September keine Überschreitungstage gab, was von Experten mit dem in den Sommermonaten schwächeren Autoverkehr und dem Mangel an kritischen und windarmen Inversionswetterlagen erklärt wird.

Im Sommer ist die Luft reiner als im Winter

In einem Schreiben an die Stadt vom Ende Februar weisen die Bürgerinitiative Neckartor, der Verkehrsclub Deutschland und das Klima- und Umweltbündnis auf diesen Umstand hin. „Es müsste untersucht werden, warum die Sommermonate weit weniger problematisch sind als der Winter“. Könnte es an Heizungen als zusätzlicher Feinstaubquelle liegen, oder daran, dass Bäume ohne Laub die Luft weniger binden können, nennen die Verbände als mögliche Gründe.

In ihren Schreiben an das Regierungspräsidium und an die Stadt kritisieren die Anwohner und die Umweltorganisationen, dass die bisherigen Maßnahmen nicht dazu geführt hätten, die seit 2005 geltende Grenze einzuhalten. Auch die – wie berichtet – von Stadt und Regierungspräsidium geplanten Maßnahmen – Tempo 40 auf Gefäll- und Steigungsstrecken, weniger Parkplätze für Pendler und Verkehrsverflüssigung auf der B 14 – seien nicht zielführend, sagt Peter Erben von der Bürgerinitiative Neckartor. Wenn der Grenzwert eingehalten werden solle, müsse der Verkehr um die Hälfte reduziert werden, zitierte er Experten und begründete damit die Forderung nach Fahrverboten.

Das Regierungspräsidium setzt auf „viele, kleine Schritte“, um in die Nähe der Grenzwerte zu kommen, sagt die Sprecherin: „Die eine Maßnahme, die alles löst, gibt es nicht“. Immerhin sei in den vergangenen Jahren erreicht worden, dass die Zahl der Überschreitungstage zurückgehe.