Raser und Drängler auf der Autobahn sollen gestoppt werden. Darüber sind sich die Verkehrsexperten einig. Nur wie? Das fragen sich Experten beim Verkehrsgerichtstag in Goslar – und schlagen ein paar Maßnahmen vor.

Familie, Bildung, Soziales : Michael Trauthig (rau)

Goslar - Die Situation, die Kay Nehm zum Auftakt des Verkehrsgerichtstags in Goslar schildert, kennt wohl jeder: „Ich fahre mit Richtgeschwindigkeit, setze den Blinker, um einen Lastwagen zu überholen, dann kommt einer von hinten mit Lichthupe angerast und drängt mich fast zur Seite.“ So schildert der einstige Generalbundesanwalt, was er selbst auf deutschen Autobahnen leidvoll erlebt: Aggressivität, die Angst macht, Leben gefährdet und nach Auffassung vieler zunimmt. Auch deshalb sind die Wüteriche am Steuer ein zentrales Thema auf dem Treffen, zu dem 1900 Fachleute von Polizei, Justiz und Behörden in den Harz gereist sind.

 

„Aggressiv sind immer die anderen“, sagt Kay Nehm und beschreibt damit die Selbstwahrnehmung der betroffenen Autofahrer. Ob die Zahl dieser Rowdys zunehme, sei nicht gewiss, räumt der Präsident des Expertentreffens ein. Aggressivität werde schließlich in keiner Statistik erfasst. Laut Untersuchungen seien sogar nur 0,1 Prozent der Kraftfahrer notorische Raser und Drängler. Vielfach ließen sich aber eben Normalbürger dazu hinreißen, die Regeln zu brechen und die Schädigung anderer in Kauf zu nehmen. Privater Ärger, Stress und Zeitnot könnten Ursachen für ein solches Verhalten sein, heißt es zur Erklärung etwa beim Automobilclub von Deutschland (AvD).

30 Prozent ärgern sich aber auch über „Schleicher“

Andere Fachleute machen die hohen Geschwindigkeitsunterschiede auf Autobahnen für die Plage der Drängler verantwortlich. Schon 80 Prozent der Autofahrer fühlten sich von solchen Zeitgenossen provoziert, bilanziert der ADAC. Umgekehrt ärgerten sich allerdings auch 30 Prozent über sogenannte Schleicher. Der Auto Club Europa (ACE) wiederum sieht gesellschaftliche Trends als Auslöser für das Rowdytum. Arbeitsverdichtung, Terminhetze und psychische Belastungen sowie der zunehmende Egoismus wirkten sich aus. „Als Reaktion lassen die Leute ihren Frust hinterm Steuer heraus“, sagt der ACE-Sprecher Rainer Hillgärtner. Auch eine Überregulierung – etwa als übertrieben empfundene Tempolimits – mache einige Fahrer wütend. Zudem spielen Persönlichkeitsmerkmale eine Rolle, meinen Verkehrspsychologen. Wer impulsiv sei, wenig Selbstbewusstsein habe und sich über sein Auto als Statussymbol definiere, gelte als anfällig.

Der Schaden, den diese Rüpel anrichten, ist beträchtlich. Ein Drittel aller Verkehrsunfälle mit Todesopfern entspringe aus aggressivem Verhalten, also riskantem Überholen und Drängeln, sagt Siegfried Brockmann. Der Unfallforscher will das mit der Härte des Gesetzes ändern. Die Täter verfügten mit ihrem Auto schließlich über eine frei zugängliche „Tatwaffe“. Ihnen müssten schärfere Sanktionen drohen. Raserei solle ein eigener Straftatbestand werden, und es müsse mehr Kontrollen geben.

Mit Technik gegen Raser

Brockmann möchte zudem auf mehr Technik setzen. So könnten Fahrerassistenzsysteme in den Pkw künftig das Rechtsüberholen, Tempoverstöße oder zu dichtes Auffahren erkennen und erschweren. Ähnlich äußert sich die Deutsche Polizeigewerkschaft. Sie plädiert zum Beispiel dafür, auf Autobahnbrücken mehr Abstandmessgeräte zu installieren. Andere Fachleute fordern in Goslar, die Möglichkeiten der Geschwindigkeitsüberwachung auszubauen oder künftig den Halter haftbar zu machen, wenn der Fahrer nach einem Verstoß nicht zu ermitteln ist. Ein anderer Vorschlag orientiert sich an Neuseeland. Dort sei es möglich, eine polizeiliche Anzeige zu machen, ohne dass eine Strafe droht. Die Ermittler würden sich dann zunächst damit begnügen, dem Delinquenten ins Gewissen zu reden und so eine Änderung seines Verhaltens herbeizuführen.

Auch ein Tempolimit auf Autobahnen halten einige Experten für ein gutes Rezept, die Konflikte zumindest auf diesen Straßen zu verringern. Nehm allerdings ist skeptisch. Untersuchungen hätten gezeigt, dass man da auf Tempo 80 herunter müsse. Das aber wolle niemand. Am Freitag will der Verkehrsgerichtstag seine Empfehlungen zu dem Thema vorlegen. Sein Präsident hat sich aber schon seine Meinung gebildet. Es brauche einen allgemeinen Bewusstseinswandel: „Niemand darf sein Fortkommen auf Kosten anderer erzwingen.“