Unternehmen beklagen fehlende Kapazitäten bei DB Cargo und verlagern deshalb Transporte auf die Straße. Insider kritisieren ein „heilloses Durcheinander“ bei Europas größter Güterbahn. Der Konzern erklärt, man arbeite „an schnellen Lösungen“.

Korrespondenten: Thomas Wüpper (wüp)

Berlin - Mehr Verkehr auf die Schiene – so lautete das wichtigste Ziel der Bahnreform und auch die Bundesregierung verspricht das gerne. In der Realität jedoch steckt Europas größte Güterbahn, die bundeseigene DB Cargo mit Sitz in Mainz, seit Jahren tief in der Krise, verliert Marktanteile und fährt hohe Verluste ein. Der Staatskonzern und Cargo-Chef Jürgen Wilder wollen das mit einem weiteren Sanierungskonzept ändern. Doch bisher sei die versprochene Wachstumsstrategie nicht erkennbar, sagen Insider.

 

Brandbrief an den Aufsichtsrat

Mit einem internen Brandbrief an die Mitglieder des Aufsichtsrats der Deutsche Bahn AG und der DB Cargo kritisieren Beschäftigte die „traurige Situation im Unternehmen“. In dem anonymen Schreiben von „kritischen, aber engagierten Mitarbeitern der DB Cargo“ heißt es, die angespannte Situation im Unternehmen habe sich auch nach dem Interessenausgleich zwischen Vorstand und Betriebsrat nicht gebessert. Es fehlten überall Personal und Ressourcen. Nun räche sich, dass viele Güterwagen verkauft und verschrottet worden seien.

Eine 15-seitige vertrauliche interne Analyse der DB Cargo, die unserer Redaktion vorliegt, erhärtet die Kritik. Bei einem Treffen mit den sechs großen Unternehmen, die in der Wirtschaftsvereinigung Stahl vertreten sind, darunter Thyssen-Krupp, Saarstahl, TATA und Salzgitter, bekamen die Manager der bundeseigenen Güterbahn demnach Mitte Mai sehr Unerfreuliches zu hören. „Alle Stahlunternehmen haben massiv kritisiert, dass es seit Jahresbeginn eine unbefriedigende Versorgung mit Leerwagen gibt, die zu verschiedenen Anlagenstillständen geführt hat“, schreiben die DB-Manager wörtlich in dem Papier vom 19. Mai.

Stahlindustrie befördert 50 Prozent ihrer Transportmengen mit der Bahn

In dem internen Papier wird bestätigt, dass bei DB Cargo weiterhin Kapazitäten fehlen und Frachttransporte deshalb auf die Straße verlagert werden. Man könne „nicht in diesem Segment wachsen“, konstatieren die DB-Manager, „schlimmer noch, es werden in hohem Maße Verkehre auf den Lkw verlagert, so dass wir aktuell Mengen verlieren“. Die Stahlunternehmen seien der Überzeugung, dass DB Cargo „strukturell zu geringe Kapazitäten im Einzelwagensystem (Rangierer, Lokführer, Loks, Gleise)“ und zu wenige Wagen im Einsatz habe. Auch die Kommunikation werde als „verbesserungswürdig“ eingestuft.

Die Wirtschaftsvereinigung Stahl bestätigt die Probleme. „Wir sehen, dass im Markt gegenwärtig bei wichtigen stahlrelevanten Wagengattungen ein spürbarer Wagenmangel besteht“, sagte Sprecher Klaus Schmidtke unserer Redaktion. Die Stahlindustrie in Deutschland befördere rund 50 Prozent ihrer Transportmengen mit dem besonders nachhaltigen Verkehrsträger Bahn.

Sonderschichten bei DB Cargo

Die Sprecherin von DB Cargo, Tatjana Luther-Engelmann, erklärte, man arbeite mit Kunden „intensiv an schnellen Lösungen zur Verbesserung der Situation“. Dazu gehörten Sonderschichten auch an Sonn- und Feiertagen und die Anmietung zusätzlicher Wagen für Stahltransporte. Die Nachfrage der Branche sei sprunghaft gestiegen. Dass man die Kunden derzeit nicht angemessen bedienen könne, „ärgert uns selbst am meisten“.

Bei der umfangreichen Umstrukturierung in Produktion und Vertrieb seien aber „erste Erfolge bereits sichtbar“. So habe sich die Pünktlichkeit der Frachtlieferungen deutlich erhöht, DB Cargo wachse erstmals seit fünf Jahren wieder und stabilisiere seine Marktanteile.

Dem internen DB-Papier zufolge fehlten in den letzten Monaten mehr als 1000 Güterwagen, deshalb wurden bis Mitte Mai bereits mehr als 425 Wagen angemietet. Weitere 600 Anmietungen seien in Vorbereitung, doch nicht alle Wagentypen seien kurzfristig zu bekommen. Die Probleme werden zudem durch viele reparaturbedürftige Fahrzeuge verschärft. Der „Schadstand“ sei „weiterhin zu hoch“, schreiben die Manager. Die DB versucht deshalb, auch Instandhaltungswerke Dritter und von Kunden zu nutzen.

Probleme nach Umstrukturierung

In Aufsichtsratskreisen der DB Cargo werden die Probleme ebenfalls bestätigt. „Die Vorwärtsstrategie, die Vorstandschef Wilder versprochen hat, ist bisher nicht erkennbar“, heißt es auf Seiten der Arbeitnehmervertreter. Seit der im April begonnenen Umstrukturierung der Produktion in bundesweit nur noch drei Korridore und 21 Standorte mit 17 Außenstellen gehe „alles drunter und drüber“. Es herrsche „heilloses Durcheinander“, viele Kunden seien erbost, Mitarbeiter über „die schlimmen Zustände“ frustriert.

Am Mittwoch will Cargo-Chef Wilder mit den Arbeitnehmervertretern die schwierige Lage beraten. Der Konzern-Aufsichtsrat wird Ende des Monats einen Lagebericht erhalten. Nach Informationen unserer Redaktion schrumpfte der Umsatz der DB Cargo in den ersten vier Monaten des Jahres leicht auf gut 1,54 Milliarden Euro, der operative Verlust sank um fünf Millionen auf 35 Millionen Euro.