Führerscheinneulinge sind eine Hochrisikogruppe im Verkehr. Bessere Fahrschulen oder betreutes Fahren könnten helfen, meinen Experten. Der StZ-Redakteur Michael Trauthig berichtet vom Verkehrsgerichtstag in Goslar über Für und Wider des Autofahrens vor der Volljährigkeit.

Familie, Bildung, Soziales : Michael Trauthig (rau)

Goslar - Ein typischer Unfall: es ist Winter, ein 18-Jähriger fährt auf der Landstraße. Er rechnet nicht mit Glätte. Sein Auto gerät ins Schleudern, rauscht frontal in den Gegenverkehr. Ein Toter und vier Schwerverletzte sind die Folge. So geschehen gerade erst bei Göttingen. Fahranfänger zwischen 18 und 24 Jahren verursachen rund 30 Prozent aller Unfälle, obwohl ihr Bevölkerungsanteil nur bei etwa acht Prozent liegt. Sie sind eine „Hochrisikogruppe“, sagt ein Experte auf dem Verkehrsgerichtstag in Goslar. Wie diese Gefahr zu senken ist, ist ein Schwerpunkt auf dem Treffen von rund 2000 Experten im Harz.

 

Zwar seien in den vergangenen Jahren deutlich weniger Führerscheinnovizen als früher umgekommen, sagt Heidrun Großmann von der Bundesanstalt für Straßenwesen. Entwarnung bedeute dies nicht. Der Rückgang könne an der Demografie liegen oder daran, dass junge Menschen heute nicht mehr so oft das Auto nutzen – weil es seinen Reiz als Statussymbol verloren hat oder weil es schlicht zu teuer ist. „Die Anfänger sind aber immer noch die am stärksten gefährdete Gruppe im Verkehr“, stellt die Psychologin im zuständigen Arbeitskreis klar. Mangelnde Erfahrung, jugendlicher Leichtsinn und das Überschätzen der eigenen Fähigkeiten gelten als Gründe dafür. Am gefährlichsten ist dabei die Zeit direkt nach der Führerscheinprüfung. In dem Moment sei die Wahrscheinlichkeit, einen Crash auszulösen, zehnmal so hoch wie bei routinierten Fahrern, so Großmann. Ein dreiviertel Jahr später habe sich die Gefahr bereits halbiert, und nach rund drei Jahren liege sie schon auf dem Niveau der alten Hasen.

Junge Männer sterben öfter

Allerdings gibt es große Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Vor allem junge Männer kämen zu Tode, berichtet Ulrich Chiellino, weil sie häufig zu schnell unterwegs seien. Der Mann vom ADAC spricht deshalb von einer „Stormingphase“, in der die einmal gelernten Regeln beiseite geschoben würden. So habe eine groß angelegte Studie gerade ergeben, dass die meisten Neulinge am Steuer schon nach kurzer Zeit Schilder nicht mehr beachten und auch nicht mehr blinken. „Wir sind uns alle einig, dass hier etwas passieren muss“, betont der Psychologe.

Womöglich, so ein Gedanke in Goslar, liege die Misere auch an den Fahrschulen. Das meint zum Beispiel der Auto Club Europa. Schließlich fielen rund 33 Prozent durch die Führerscheinprüfung, was an der Qualität der Ausbildung und am Geschäftsgebaren zweifeln lasse. Bei solchen Vorwürfen kann Gerhard von Bressensdorf schon mal die Beherrschung verlieren. „Es geht nicht an, einen ganzen Berufsstand zu diffamieren“, schimpft der Vorsitzende der Bundesvereinigung der Fahrlehrerverbände. „Wir haben vielleicht ein paar wenige Schweinehunde in unseren Reihen. Doch das ist genauso wie bei Pfarrern, Juristen oder Ärzten“, sagt der Fahrlehrer aus dem Allgäu. Die allermeisten seiner Kollegen leisteten aber hervorragende Arbeit.

Begleitetes Fahren wirkt Wunder

In der Tat sind die pädagogischen Anforderungen groß – bei 17 Führerscheinklassen und einer Kundschaft, die vom Schulabbrecher bis zum Einser-Abiturienten reicht. Bressensdorf will nicht die Hände in den Schoß legen. Er schlägt vor, die Schulung etwa durch moderne Lehrpläne zu verbessern. Auch mehr Nachtfahrten in der Fahrschule wären eine Möglichkeit, gingen aber ins Geld. Und Bressensdorf plädiert dafür, den Führerschein mit 17 auszuweiten. Dieses Angebot wirkt nämlich für die Verkehrssicherheit bisher wie ein Zaubermittel. Wer daran teilnimmt, macht zwar mit 17 den Führerschein, muss aber bis zum 18. Geburtstag immer einen erfahrenen Beifahrer an seiner Seite haben.

20 Prozent weniger Unfälle und deutlich weniger Verkehrsverstöße habe diese Gruppe von begleiteten Fahranfängern, bilanziert die Psychologin Großmann. Keine andere Maßnahme verbessere die Situation so stark. Allerdings machen heute nur 40 Prozent der Führerscheinnovizen mit. Und die lassen sich auch nur durchschnittlich 7,5 Monate begleiten. „Die Möglichkeiten sind also lange nicht ausgeschöpft “, schließt die Psychologin. Auch sie möchte mehr Leute für dieses Vorgehen gewinnen und die Lernphase verlängern. Bressensdorf kann sich gar einen Führerschein mit 16 vorstellen: „Wir lassen Leute in diesem Alter auch schon Züge fahren.“

Praktiker zweifeln am Sinn von Verboten

Andere Experten denken derweil daran, auch Fahrneulingen über 18 Jahren anfänglich Auflagen zu machen. Man könnte ihnen die besonders gefährlichen Nachtfahrten verbieten, ihnen eine separate Geschwindigkeitsbegrenzung auferlegen oder gar einen älteren Aufpasser als Beifahrer vorschreiben. Auch ließe sich die Probezeit für Führerscheinneulinge von zwei auf vier Jahre verlängern. Doch sind solche Einschränkungen angemessen? Lassen sie sich von der Polizei überwachen? Praktiker in dem Arbeitskreis zweifeln, ob Verbote wirklich weiterhelfen. Sie setzen auf Aufklärung über die Schwere von Unfallfolgen und Bewusstseinsbildung. Auch der ADAC-Mann Chiellino propagiert lieber eine „Feedbackphase“. Nach der Führerscheinprüfung gäbe es dann verpflichtend ein Fahrsicherheitstraining, „Rückmeldefahrten“ und professionelle Beratung: „Die jungen Fahrer sollen ihre Grenzen erkennen.“ So liegen am Ende der Diskussion zwar viele Vorschläge auf den Tisch, aber der Mut, Weitreichendes gleich zu fordern, fehlt den Fachleuten dann doch.

Einstweilen wollen sie prüfen lassen, ob der Führerschein mit 16 oder Feedbackmodelle sinnvoll sein können. Sie beschießen ferner allgemein, die Verkehrserziehung zu verbessern. Und sie sind im Grundsatz einig: Qualität habe ihren Preis, aber der Führerschein müsse bezahlbar bleiben.