Der Dieselskandal bringt Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) in Erklärungsnot. Ihm wird vorgeworfen, die Autoindustrie zu nachsichtig zu behandeln. Auch deshalb verschärft der Minister die Tonart.

Berlin - Keine Frage, der Mann hat sich unter Kontrolle. Unüberlegte Äußerungen kommen ihm nicht über die Lippen. Als Alexander Dobrindt (CSU) gefragt wird, was in ihm vorgeht, wenn er beinahe täglich von neuen Vorwürfen gegen die Automobilindustrie erfährt, überlegt der Verkehrsminister kurz. Mit ruhiger Stimme antwortet er: „Ich glaube nicht, dass meine Empfindungen maßgeblich sind.“ Das war Ende vergangener Woche, als Dobrindt die Abgasmanipulation bei 22 000 Porsche-Cayenne-Dieselautos bekannt gab. Auch wenn der Minister Hiobsbotschaften überbringt, bleibt er stets sachlich und zurückhaltend. Anderen Politikern wäre angesichts der Salamitaktik der Industrie vielleicht der Kragen geplatzt. Nicht so Dobrindt.

 

Für Dobrindt wird es brandgefährlich

Dabei ist der Skandal für ihn brandgefährlich. Knapp zwei Jahre nach Bekanntwerden des Abgasbetrugs bei Volkswagen werden noch immer neue Missstände bekannt – wie der Fall Porsche zeigt. Das trägt zum Eindruck bei, dass die Autohersteller den Politikern auf der Nase herumtanzen. Weil Dobrindt vor dem Skandal immer das partnerschaftliche Verhältnis zur Automobilindustrie hervorgehoben hat, steht er im Ruf, zu nachgiebig zu sein. Hinzu kommt der Vorwurf, das Kraftfahrt-Bundesamt als zuständige Prüfbehörde gehe die Untersuchungen zu lax an und lasse gegenüber den Autobauern Milde walten. Die Behörde untersteht Dobrindts Ministerium. Das Verkehrsressort weist zwar Berichte zurück, das Kraftfahrt-Bundesamt habe Ergebnisse von Abgasuntersuchungen geschönt. In jedem Fall bleibt aber der Vorwurf bestehen, dass sich die deutschen Behörden von der Industrie lange Zeit etwas vormachen ließen. Entdeckt wurden die Abgasmanipulationen von VW bekanntlich in den USA.

Das Misstrauen gegenüber Dobrindt ist groß. Kritiker werfen ihm vor, den Dieselskandal nur aussitzen zu wollen. Die Rücktrittsforderungen von Grünen und Linken sind mittlerweile zahllos. Die Deutsche Umwelthilfe erklärte jetzt, das Kraftfahrt-Bundesamt und das Verkehrsministerium stünden im Mittelpunkt einer Konspiration zu Lasten der Verbraucher und Autofahrer. Das ist starker Tobak, doch ein Eindruck bleibt: Dobrindt ist der Buhmann, der in der Öffentlichkeit für Versäumnisse beim Dieselthema in Haftung genommen wird. Das weiß der Oberbayer natürlich. Vor dem Gipfel am Mittwoch verschärft er zumindest rhetorisch die Gangart. Die deutschen Autobauer müssten endlich ihrer „verdammten Verantwortung“ gerecht werden, fordert der Minister am Wochenende. Solche Worte kamen ihm vorher nicht über die Lippen. Zu spät merkt Dobrindt, dass er zu lange ein Defensivspiel betrieben hat.

Der Politiker vollzieht eine Wandlung

Das hat auch mit seiner Wandlung als Minister zu tun. Als der Mann aus Peißenberg noch CSU-Generalsekretär war, verstand er sich auf die Abteilung Attacke. Damals kanzelte er den EZB-Präsidenten Mario Draghi als „Falschmünzer“ ab und bezeichnete die FDP als „Gurkentruppe“. Doch mit der Ernennung als Minister verordnete sich Dobrindt ein komplett neues Image. Bekannt ist er für karierte Anzüge und seine modische Brille: Anders als seine Accessoires legt er sich Zurückhaltung auf – auch im Umgang mit dem Abgasskandal. Für ihn gilt ein Prinzip: „Ich bin für Seriosität an dieser Stelle“, sagt er. Nach dem Bekanntwerden der Vorwürfe hat er sofort eine Untersuchungskommission einberufen und Empfehlungen umgesetzt. Doch er will kein Chefankläger sein. Für die Ahndung der Vergehen sind im Rechtsstaat die Strafverfolgungsbehörden zuständig. Dobrindt sieht seine Aufgabe darin, Lehren aus der Krise zu ziehen. Für einfache Wahrheiten sei er nicht zuständig, hat er einmal in anderem Zusammenhang gesagt. Doch gerade bei der Aufarbeitung des Dieselthemas sehen seine Kritiker die größten Defizite.

Dabei konnte Dobrindt, der vor allem „Mr. Maut“ bekannt ist, für sein Ressort einiges erreichen: Dass er die Pkw-Maut in Deutschland gegen den Widerstand in der Berliner Koalition und in Brüssel durchgeboxt hat, brachte ihm höchste Anerkennung von CSU-Chef Horst Seehofer ein. Das Risiko ist zwar nach wie vor groß, dass die Pkw-Maut finanziell ein Nullsummenspiel bleibt. Doch das ist Dobrindt nicht anzulasten. Er musste Seehofers Willen vollstrecken. Der Verkehrsminister war auch auf anderem Gebiet fleißig. So brachte er den Breitbandausbau voran und schuf neue Regeln für das autonome Fahren. Zum automatisierten Fahren startete er auf der Autobahn 9 einen Pilotversuch, um die Zukunftstechnik unter Alltagsbedingungen zu testen. Das erfreute besonders die Bayern, die stolz auf ein neues Experimentierfeld sind. In Dobrindts Amtszeit sind außerdem die Verkehrsausgaben stark gestiegen – all dies kann sich sehen lassen.

Das Thema Diesel hat er unterschätzt

Doch das Thema Diesel scheint Dobrindt unterschätzt zu haben. Schon der Umstand, dass der Dieselgipfel sechs Wochen vor der Bundestagswahl stattfindet, deutet auf späte Erkenntnis. Damit bleibt der Bundespolitik nicht viel Zeit zum Handeln. Zu lange hat der CSU-Mann die Probleme der Großstädte mit Feinstaub und Schadstoffausstoß ausgeblendet. Dahinter steckte wohl das Kalkül, dass sich Dobrindt nicht als Politiker präsentieren wollte, der mit Fahrverboten in Verbindung gebracht wird. „Minister Dobrindt hat uns hängen lassen“, klagt der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne). Dobrindts Maxime besteht zwar weiterhin darin, Fahrverbote abzuwenden. Ob das aber auf Dauer gelingt, ist höchst ungewiss.

Nach der Wahl werden es ohnehin andere richten müssen. Die Wetten in der Hauptstadt gehen dahin, dass Dobrindt auch bei einem Wahlerfolg der Union nicht Verkehrsminister bleibt. Er wird als neuer CSU-Landesgruppenchef gehandelt, der künftig für die Bayern in Berlin die Strippen zieht. Damit könnte sich eine Konstante bestätigen, die seit den 2000er-Jahren zu beobachten ist: Verkehrsminister bleiben nie länger als eine Legislaturperiode. Dem Ressort eilt der Ruf voraus, das Ministerdasein sei wenig karrierefördernd.