Der baden-württembergische Landesverkehrsminister Hermann (Grüne) erwägt eine Art City-Maut – eine Nahverkehrsabgabe für Städte und Gemeinden. Dies könnte ein Mittel gegen die Pendlerströme sein.

Stuttgart - Minister Winfried Hermann sieht keine kurzfristige Strategie gegen das massive Pendeln in die Städte. Aber er denkt an eine Nahverkehrsabgabe, eine Reform der Pendlerpauschale sowie an eine stärkere Verpflichtung von Unternehmen.

 
Herr Minister Hermann, was sind die drei wichtigsten Schritte, um den Pendlerverkehr einzudämmen?
Eine jahrzehntelange Entwicklung oder Fehlentwicklung kann nicht schnell korrigiert werden, das ist ein langwieriger Prozess des Umsteuerns. Wir müssen erstens möglichst viele Arbeitsplätze im ländlichen Raum erhalten oder neu ansiedeln, damit nicht alle in die Ballungsräume strömen. Zweitens brauchen wir kostengünstigen Wohnraum in den Städten, damit die Leute nicht aufs Land ziehen, weil es da billiger ist und dann pendeln. Drittens brauchen wir Anreize, im Home-Office zu arbeiten. Neue Technologien ermöglichen vielfach das Arbeiten zu Hause oder das Erledigen eines gewissen Arbeitspensums daheim. Dann müssen Mitarbeiter nicht zur Stauzeit in die City, sondern vielleicht am Nachmittag, um persönliche Kontakte zu pflegen.
Der Bundesverkehrswegeplan 2030 sieht für den Südwesten etliche Straßenbauprojekte vor – ist nicht jede neue Straße eine Anlockung von mehr Verkehr?
Wenn wir immer neue, breitere, schnellere Straßen bauen, lockt das Verkehr an. Wahr ist aber auch, dass wir heute viele verstaute Straßen und Engpässe haben. Den Verkehr kriegen wir ja nicht durch Nichtstun einfach weg. Wir müssen in jedem Fall abwägen, ist ein Ausbau oder Neubau sinnvoll, verantwortbar und nötig, und welcher zieht nur neuen Verkehr an. Leider hat der Bund unsere Vorschläge für den Ausbau des Schienennetzes im Bundesverkehrswegeplan 2030 weitestgehend abgelehnt – das wäre eine Alternative zum Autopendeln und Straßenbau.
Asiatische Städte drosseln die Pendlerströme zum Teil mit einer hohen Einfahrtmaut. Ist das eine Lösung für unsere Citys?
Weltweit gibt es Länder, die haben wesentlich größere Probleme als wir, und desto drastischer sind ihre Maßnahmen. Da wundert man sich manchmal, über was wir uns in Deutschland aufregen. Tatsache ist: Die Städte haben einen immensen Bedarf am Ausbau des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) – auf der Schiene und mit Bussen. Und den können sie allein nicht stemmen. Wir könnten darüber nachdenken, für die Kommunen Einnahmemöglichkeiten zu schaffen – Stichwort Nahverkehrsabgabe. Da sind wir am Anfang einer Diskussion, es ist ein heikles Thema. Es wäre keine Zwangsabgabe, sondern ein Instrument, das das Land den Städten und Gemeinden an die Hand gibt, wenn sie es nutzen wollen. Verbunden wäre eine Nahverkehrsabgabe mit dem Gegenwert, den ÖPNV nutzen zu können – also beispielsweise ein Ticket.
Hilft der Bund den Ländern und Kommunen ausreichend beim öffentlichen Personennahverkehr?
Nein. Die Länder fordern vom Bund seit langem, dass er die Mittel aus dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (GVFG) endlich dynamisiert und erhöht. Die sind seit 1996 nicht der Inflation und dem wachsenden Bedarf angepasst worden. Und sie stehen nur für Neu- und Ausbaumaßnahmen zur Verfügung, wir brauchen aber zunehmend Mittel für Sanierung und Modernisierung. Bundesweit gibt es jährlich nur 333 Millionen Euro aus dem GVFG, es müssten mindestens 500 Millionen sein.
Sollte die Pendlerpauschale abgeschafft werden?
Es gibt einen Vorschlag, den ich für diskussionswürdig halte: eine Mobilitätspauschale. Die Pendlerpauschale stellt nur diejenigen günstiger, die auch pendeln. Wer bewusst in der Stadt wohnt, zahlt höhere Mieten, pendelt nicht – geht aber trotz des vernünftigen Verhaltens steuerlich gesehen leer aus. Die Pendlerpauschale gibt keinerlei Anreiz für kurze Wege. Die Idee der Mobilitätspauschale besteht in einer erhöhten, allgemeinen Werbepauschale. Sie wäre ein Anreiz zum Wohnen in der Nähe des Arbeitsplatzes.
Neue Firmenansiedlungen wie Thales in Ditzingen oder Allianz in Stuttgart-Vaihingen schaffen mehr Berufsverkehr. Müssen Unternehmen mehr in die Pflicht genommen werden im Kampf gegen den Stau?
Ich weiß, dass Thales beispielsweise Shuttle-Busse für Mitarbeiter organisiert, die zur S-Bahn fahren. Ansiedlungen sollten dort sein, wo auch der ÖPNV ist. Wenn das nicht möglich ist, erwarte ich, dass die Arbeitgeber Shuttle-Busse zu Bahnhöfen bereit stellen. Früher gab es viele Werksbusse, das war eigentlich sinnvoll. Heute gibt’s auch moderne Möglichkeiten, etwa Apps zum Mitfahren.
Ihr Einsatz fürs Rad wird manchmal belächelt. Sind die geplanten Radschnellwege nicht nur ein Tropfen auf den heißen Stein?
Radschnellwege alleine wären zu wenig. Aber wir wissen, dass in den Ballungsräumen mehr Pendler das Rad nutzen würden, wenn sie nicht alle 200 Meter bei der nächsten Kreuzung absteigen müssten – da brauchen sie viel zu lange. Weltweit wird in den Metropolen über Radschnellwege nachgedacht. Als wir unsere Ideen vorstellten, da erhielten wir ein positives Echo aus den Landkreisen. Ein Radschnellweg entlang der überfüllten B 10 im Neckartal wäre eine tolle Sache, von Böblingen nach Stuttgart kann ich mir ähnliches vorstellen. Wir müssen die Pendler vom Auto aufs Rad, in die Busse und Bahnen bringen.
München erhält für vier Milliarden Euro ein S-Bahn-Projekt, Stuttgart erhält für 6,5 Milliarden Euro ein Projekt für den Fernzugverkehr. Brauchen wir auch eine Großinvestition für den ÖPNV?
Wir arbeiten an einer Konzeption für die Zeit nach Stuttgart 21, weil dieses Projekt das Pendlerproblem nicht löst und dem Nahverkehr nicht hilft. Wenn wir den ausbauen wollen, brauchen wir bessere Verbindungen. Ein Beispiel ist, dass die bestehende Panoramabahn von S-Vaihingen nach Stuttgart konzeptionell eingebunden wird. Dass man vom Flughafen eine S-Bahnlinie ins Neckartal zieht und die Wendlinger Kurve ausbaut, damit mehr Züge vom Süden kommen können – und so fort. Wir haben eine Arbeitsgruppe mit der Landeshauptstadt Stuttgart, der Deutschen Bahn und der Region Stuttgart, die an einem Ausbaukonzept für den ÖPNV arbeitet. Die Überschrift lautet: Der Ausbau der Schiene ist mit S 21 nicht beendet. Es geht darüber hinaus.