Jetzt muss alles schnell gehen: die Landesregierung muss Geld für den Schienennahverkehr auftreiben – Stuttgart-21-kritiker sehen sich bestätigt.

Stuttgart - Jetzt muss es ganz schnell gehen: Bereits in den nächsten Tagen wollen Spitzenvertreter der grün-roten Regierung über die Lücke im Etat für den Nahverkehr auf der Schiene beraten. Am Freitag machte die Stuttgarter Zeitung öffentlich, dass im laufenden Jahr 18 Millionen Euro und 2013 sogar 60 Millionen fehlen, um Züge zu „bestellen“. Sollte diese Finanzierungslücke nicht geschlossen werden, müssen Verbindungen aus dem Fahrplan gestrichen werden, das hat das Verkehrsministerium in einer Kabinettsvorlage aufgeführt. Die Szenarien reichen bis zur Streichung von zwölf Prozent aller Nahverkehrszüge. Die Zeit drängt, weil die DB Regio bis Mitte April wissen muss, ob sie nach dem Fahrplanwechsel im Dezember weniger Züge braucht.

 

Die dem Koalitionsvertrag krass widersprechenden Streichungen von Zugverbindungen haben in den vergangenen Wochen innerhalb der Regierung dem Vernehmen nach keine große Rolle gespielt. Das ändert sich jetzt angesichts des Zeitdrucks und der zahlreichen Reaktionen auf die StZ-Berichterstattung.

Gebührenerhöhung um 50 Millionen Euro

Wie inzwischen bekannt wird, wurde eine Kabinettsvorlage des Verkehrsministeriums zum Thema im Arbeitskreis Verkehr der SPD-Landtagsfraktion abgelehnt. Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) hatte darin aufgeführt, dass die Bahn-Töchter DB Netz und DB Station&Service ihre Gebühren um rund 50 Millionen Euro erhöht hätten. Dieser Ausgabensprung sei „weder so eingeplant noch in diesem Umfang auch nur annähernd vorhersehbar“ gewesen, argumentiert das Ministerium. Der verkehrspolitische Sprecher der SPD-Fraktion Hans-Martin Haller sieht dies anders: „Dass die Kosten für Trassen, Energie und Bahnhöfe steigen, war seit einem Jahr bekannt.“ Er räumt zwar ein, dass der Bund den Rahmen für den Zugverkehr setze, dass somit das Land für die Preissteigerung keine Verantwortung trage. Er wirft Hermann aber vor, zu spät reagiert zu haben. „Statt rechtzeitig zu handeln, wurde das Schienenangebot ausgeweitet“, sagt Haller. Er fordert nun „Zahlen, Daten, Fakten“. In der 14 Seiten umfassenden Kabinettsvorlage kämen ihm die Lösungen zu kurz. „Ich kenne nur das Problem“, sagt der SPD-Abgeordnete.

In der Vorlage hat das Ministerium einige Lösungsvorschläge aufgegriffen, die teilweise erst beim Abschluss von neuen Verkehrsverträgen nach 2016 greifen werden. Hermanns Kernvorschlag – kein Geld für Stuttgart 21 aus den Regionalisierungsmitteln – würde sich dagegen kurzfristig auswirken. Tatsächlich wurde von der schwarz-gelben Vorgängerregierung vereinbart, insgesamt 286 Millionen Euro aus dem Topf der Regionalisierungsmittel für den Bau des künftigen Stuttgarter Tiefbahnhofs zu verwenden. Angesichts der Kostensteigerungen seitens der Bahn sehe sich das Verkehrsministerium nicht mehr in der Lage, diesen Beitrag zu Stuttgart 21 zu leisten, wird argumentiert.

Dahlbender sieht sich bestätigt

Auch der Vorsitzende der CDU-Landtagsfraktion Peter Hauk und die verkehrspolitische Sprecherin Nicole Razavi wiesen darauf hin, dass „die Zahlen nicht neu“ seien. Aber weder der Verkehrsminister, noch der Finanzminister hätten irgendwelche Anstrengungen unternommen, die offenen Posten in den erst vor wenigen Wochen verabschiedeten Haushalt aufzunehmen. Auch sei weder das Parlament noch die Öffentlichkeit über die anstehenden Probleme für den Nahverkehr informieren worden. Der FDP-Verkehrsexperte Jochen Haußmann sagte, dass Hermann zur Not einen gegenfinanzierten Nachtragshaushalt aufstellen müsse.

Brigitte Dahlbender, die BUND-Landesvorsitzende, erklärte dazu: „Wir haben immer wieder auf die drohende Kannibalisierung des regionalen Schienenverkehrs durch das Prestigeprojekt Stuttgart 21 hingewiesen.“ Stets sei dies von den Verantwortlichen abgestritten worden. „Wenige Monate nach dem Volksentscheid stehen wir nun kurz vor einem Scherbenhaufen im Schienennahverkehr“, erläutert Dahlbender. Sie nannte Zugstreichungen „undenkbar“. Komme es doch so weit, „wäre dies eine Katastrophe für die grün-rote Landesregierung“. Der Fahrgastverband Pro Bahn setzt auf eine doppelte Strategie: Er erwartet von der Landesregierung kurzfristig „höchste Anstrengungen, um den drohenden Kahlschlag im landesweiten Nahverkehr abzuwenden“. Daneben müsse auf Bundesebene die Finanzierung des Bahnverkehrs mittelfristig neu geregelt werden.

Anders als SPD und FDP erklären die Grünen wie Minister Hermann, dass die Preiserhöhungen der Bahn bei der Aufstellung des Haushaltsplans 2012 nicht absehbar gewesen seien. Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen im Landtag sagte: „Wir werden zeitnah alle Möglichkeiten prüfen, um zu verhindern, dass es zu Zugabbestellungen kommt.“