Im Milliardenpoker mit der Bahn bekommt Verkehrsminister Hermann Rückendeckung: Das Kabinett bestärkt seinen Kurs, für den Schienennahverkehr nur noch unter Vorbehalt zu bezahlen. Zugleich will man eine Einigung erreichen.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Im Milliardenpoker mit der Deutschen Bahn um den „großen Verkehrsvertrag“ hat das Kabinett dem Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) erwartungsgemäß den Rücken gestärkt. Die Ministerrunde folgte am Dienstag dem Vorschlag Hermanns, Zahlungen an die DB Regio für den Schienenpersonennahverkehr im Südwesten vorerst nur noch unter Vorbehalt zu leisten. Zugleich solle versucht werden, den Streit „im Einvernehmen mit der Bahn zu lösen“, sagte Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) nach der Kabinettssitzung.

 

Mit dem Beschluss reagierte die Regierung auf das Ergebnis zweier Gutachten, die das Verkehrsressort in Auftrag gegeben hatte. Für den von 2003 bis 2016 laufenden Vertrag mit der Bahn zahlt das Land demnach 700 Millionen bis 1,25 Milliarden Euro zu viel. Zu diesem Ergebnis seien die zwei Expertisen unabhängig voneinander mit unterschiedlichen Methoden gekommen, betonte Kretschmann. „Im Interesse des Landes und der Steuerzahler ist es unsere Pflicht, ungerechtfertigt hohe Zuschusszahlungen aus dem Altvertrag mit der DB nur vorbehaltlich zu leisten, bis die Höhe der Überzahlung geklärt ist“, ließ Hermann mitteilen. Diesen Weg habe auch der Präsident des Landesrechnungshofs, Max Munding, für grundsätzlich gangbar erklärt.

Tauziehen um rechtliche Expertise

In dem Vorgehen bestärkt wurde das Kabinett laut Kretschmann durch das Ergebnis einer juristischen Expertise, die erst kurz vor der Sitzung fertig geworden war. Darin sollte die Anwaltskanzlei Heuking Kühn die Chancen des Landes untersuchen, zuviel bezahltes Geld zurückzuholen. Anders als die beiden ökonomischen Gutachten, deren Kurzfassungen auf der Internetseite des Verkehrsministeriums stehen, ist die rechtliche Stellungnahme bisher nicht offengelegt worden; die CDU kritisierte dies. Eine Ressortsprecherin sagte, die Veröffentlichung sei „aus verfahrensrechtlichen Gründen“ nicht möglich.

Bestärkt wurde Hermann auch in seinem Kurs, Zahlungen von insgesamt 140 Millionen Euro an die Bahn einzubehalten. Dabei geht es aus Sicht des Landes um Kostensteigerungen, die der DB Regio zweifach ersetzt würden; die Fachleute sprechen von „doppelter Dynamisierung“. Die Bahn bestreitet eine Doppelzahlung, hat bisher aber nicht gegen das Land geklagt. Hintergrund dieses Streits sind Fragen der Vertragsauslegung. Umgekehrt plant das Land derzeit offenbar keine rechtlichen Schritte gegen die Bahn wegen der behaupteten Überbezahlung in Milliardenhöhe. Wenn Hermann sich seiner Sache sicher sei, solle er die Bahn doch verklagen, sagte die CDU-Abgeordnete Nicole Razavi. Seine Vorwürfe erwiesen sich sonst als substanzlos.

Bahn warnte vor Verschärfung des Konflikts

Schon im Blick auf die Kabinettsentscheidung hatte die Bahn einen „Appell der Vernunft“ an die Landesregierung gerichtet. „Oberstes Ziel aller Beteiligten sollte es sein, den baden-württembergischen Nahverkehr nicht durch weitere Konflikte zu belasten“, sagte der Nahverkehrschef der Bahn für Baden-Württemberg, Andreas Moschinski-Wald. Wenn ein Vertragspartner nicht mehr zu seinen Zahlungsverpflichtungen stehe, gefährde das die Grundlage von Investitionen und Arbeitsplätzen; dies könne von keinem Unternehmen hingenommen werden. „Nahverkehr braucht Rechtssicherheit“, betonte Moschinski-Wald. Man gehe weiterhin davon aus, dass der Verkehrsvertrag rechtmäßig geschlossen worden sei.

Eine mögliche Überkompensation kann letztlich nur von der EU-Kommission festgestellt werden. Diese prüft derzeit eine Beschwerde des Verkehrsclubs Deutschland; ein förmliches Verfahren gibt es bisher nicht. Der Bund hat noch keine Stellungnahme gegenüber Brüssel abgegeben, weil noch die Ergebnisse der Gutachten aus Stuttgart berücksichtigt werden sollten.