Exklusiv Der milliardenschwere Verkehrsvertrag zwischen Baden-Württemberg und der Bahn beschäftigt nun auch den Landesrechnungshof. Als Reaktion auf die Medienberichte, wonach das Land mehr als 100 Millionen Euro zu viel zahlen soll, hat die Karlsruher Kontrollbehörde Informationen vom Verkehrsministerium angefordert.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Der umstrittene Große Verkehrsvertrag zwischen dem Land Baden-Württemberg und der Deutschen Bahn beschäftigt nun auch den Landesrechnungshof. Als Reaktion auf die Berichte von Stuttgarter Zeitung und Südwestrundfunk, wonach das Land mehr als 100 Millionen Euro zu viel zahlen soll, hat die Karlsruher Kontrollbehörde Informationen vom Verkehrsministerium angefordert. Man habe „um nähere Auskünfte zum Sachstand der Verhandlungen mit der Bahn im Hinblick auf die doppelte Dynamisierung im Generalvertrag sowie zum Schiedsverfahren und den dazu seitens des Ministeriums in Auftrag gegebenen Gutachten gebeten“, sagte ein Sprecher gegenüber der StZ.

 

Wegen der „doppelten Dynamisierung“ gilt der 2003 geschlossene Vertrag, mit dem ein Großteil des Schienenpersonennahverkehrs im Südwesten bis 2016 geregelt ist, als stark überteuert; regierungsintern ist sogar von Wucher und einer nicht genehmigten Beihilfe die Rede. Zusätzlich zu einer pauschalen Erhöhung von jährlich 1,5 Prozent erstattete das Land von 2007 an die tatsächlichen Mehrkosten für die Infrastruktur; dies führte zu einem starken Anstieg der Kosten je Kilometer.

Prüfer untersuchten nur einen Randaspekt

Das Verkehrsministerium von Winfried Hermann (Grüne) hatte diese Praxis 2012 beendet. Etwa 70 Millionen Euro, auf die die Bahn Anspruch zu haben meint, wurden bereits einbehalten, weitere 70 Millionen Euro sollen nicht ausgezahlt werden. Der Staatskonzern ließ bisher offen, ob er nach einer gescheiterten Schlichtung gegen das Land klagen wird. Nach internen Untersuchungen des Verkehrsressorts könnte der Verkehrsvertrag sogar um bis zu eine Milliarde Euro überteuert sein.

Bisher hatte sich der Rechnungshof nur mit einem Teilaspekt des Vertrages befasst. In der Denkschrift 2012 beleuchtete er die Qualitätssicherung – Kriterien sind etwa Pünktlichkeit, Sauberkeit oder Fahrgastinformationen – und die daraus resultierenden Bonus- und Malus-Zahlungen. Dabei wurde laut einem Sprecher „die Beseitigung unterschiedlicher Mängel im Vertragsvollzug angemahnt“. Für die Bürger sei dies „ein gewichtiger Aspekt“. Dabei ging es jedoch nur um einstellige Millionenbeträge. Mit der Prüfung habe man Verbesserungen für die anstehenden Neuausschreibungen vorgeschlagen, sagte der Sprecher. Auch die jetzt geplante Ausschreibung in Teillosen und die mögliche Finanzierung der Fahrzeuge durch das Land gehe auf Vorschläge des Rechnungshofs zurück.

Parallele zur Untätigkeit beim EnBW-Deal?

Keine klare Auskunft gab es auf die Frage, warum die Kontrollbehörde offensichtlich nie den gesamten, geheim gehaltenen Vertrag geprüft hat. Mit einem Volumen von mehreren Milliarden Euro über die Gesamtdauer ist er schließlich einer der größten Kontrakte des Landes. Kritiker sehen bereits Parallelen zum milliardenschweren EnBW-Deal, den der Rechnungshof trotz interner Vorstöße zunächst ebenfalls nicht untersuchen wollte; erst unter dem Druck der Öffentlichkeit und des Landtags durchleuchtete er das Aktiengeschäft doch noch – und löste sogar Untreue-Ermittlungen der Staatsanwaltschaft aus.

Die Vorgängerverträge des heutigen Vertrages mit der Bahn und anderen Verkehrsunternehmen hatte der Rechnungshof dem Sprecher zufolge geprüft. In der Denkschrift 1999 habe man Empfehlungen für künftige Verträge gegeben – etwa, die Leistungen öffentlich auszuschreiben, Betrachtungen zur Wirtschaftlichkeit durchzuführen und ein Controlling-System aufzubauen. „An den Verhandlungen und dem Abschluss des Generalvertrages von 2003 war der Rechnungshof nicht beteiligt“, wurde betont. Auch in den Folgejahren beschäftigte er sich offenbar nicht damit.

Palmer fragte nach Mappus’ „Wahrheitsbegriff“

Anlass dazu hätte es genug gegeben: der Kontrakt war im Landtag von Anfang an hoch umstritten. Besonders die Grünen mit ihrem damaligen Verkehrsexperten Boris Palmer kritisierten ihn massiv. Weil das Land nicht für genug Wettbewerb gesorgt habe, seien große Einsparmöglichkeiten und Qualitätssteigerungen „verschenkt“ worden, hieß es 2003 in einer Anfrage. „Es ist schwer zu verstehen, wie die Landesregierung einen Vertrag abschließen kann, welcher die Deutsche Bahn in diesem Umfang begünstigt“, schrieben Palmer und seine Kollegen. In der Antwort des damaligen Verkehrsstaatssekretärs Stefan Mappus (CDU) ging es auch um die Dynamisierung. Mappus erwähnte jedoch nur die Pauschale von 1,5 Prozent, nicht den Ausgleich der tatsächlichen Mehrkosten.

Der Ex-Ministerpräsident hatte seine Anwälte mitteilen lassen, er habe den Vertrag seinerzeit nicht unterzeichnet. Tatsächlich trägt dieser auch seine Signatur, Fernsehaufnahmen zeigen ihn sogar beim Unterschreiben. Wie es zu der offenkundig falschen Auskunft kam – dazu sagen die Anwälte inzwischen nichts mehr. Boris Palmer hatte schon 2004 an Aussagen des CDU-Mannes zum Verkehrsvertrag gezweifelt. Eine seiner Anfragen trug den Titel: „Wahrheitsbegriff des Staatssekretärs im Umwelt- und Verkehrsministerium“.