Der Kolbenhersteller Mahle und der Getriebehersteller ZF haben es gemacht – sie sichern die Beschäftigung, fordern dafür aber Zugeständnisse der Mitarbeiter. Das Imu-Institut untersucht die Gründe.

Stuttgart - Den deutschen Autozulieferern geht es gut, die Zahlen beweisen das. Zum einen wächst der Markt weltweit. Zum anderen reduzieren die Autobauer ihre Fertigungstiefe, was zusätzlich die Auftragsbücher der Zulieferer füllt. 2014 wurde erstmals die Umsatzmarke von 70 Milliarden Euro geknackt. Im vergangenen Jahren haben die 681 Autozulieferer in Deutschland 75,7 Milliarden Euro umgesetzt, hat das Statistische Bundesamt errechnet. Tatsächlich dürfte der Wert noch höher liegen. Denn die Statistiker berücksichtigen nur Unternehmen mit mehr als 50 Beschäftigten; gerade unter den Zulieferern tummeln sich viele Kleine. Und so schätzt der Autoverband VDA, das es hierzulande sogar zwischen 2000 und 3000 Zulieferer gibt. Auch die Ertragslage hat sich verbessert. Die Umsatzrendite – also der Gewinn vor Steuern und Zinsen im Verhältnis zum Umsatz – liegt im Schnitt zwischen fünf bis sechs Prozent, schätzt Martin Schwarz-Kocher, Geschäftsführer des gewerkschaftsnahen Stuttgarter Imu-Instituts. Studien, etwa die der Unternehmensberatung Roland Berger, kommen auf noch etwas höhere Werte.

 

Trotz guter Lage knirscht es vielerorts. Beispiel Mahle: Erst im Frühjahr haben Geschäftsleitung und Arbeitnehmervertreter – begleitet von Protesten der Belegschaft – eine Vereinbarung zur Sicherung der 14 000 Arbeitsplätze in Deutschland bis Ende 2019 unterzeichnet. Im Gegenzug müssen die Beschäftigten den Gürtel enger schnallen. Hart trifft es dabei die 260 Beschäftigten in Leibertingen/Baden-Württemberg. Zeitlich befristet wird dort die wöchentliche Arbeitszeit um drei Stunden erhöht – ohne Lohnausgleich. Gleichzeitig werden künftige Tariferhöhungen um sechs Monate verschoben. Und der Zulieferer ZF – ein zweites Beispiel – schließt am Stammsitz Friedrichshafen Kündigungen bis Ende 2022 aus, rechnet im Gegenzug allerdings die zum April 2017 vereinbarte Tariflohnerhöhung auf den Übertarif der Beschäftigten an.

Für Schwarz-Kocher steht fest: In keiner anderen Branche gibt es so viele Ergänzungstarifverträge wie bei den Autozulieferern. An einem Viertel aller deutschen Standorte, schätzt der Experte, haben Zulieferer in den vergangenen Jahren „in irgendeiner Form über einen Ergänzungstarifvertrag zumindest nachgedacht“. In den Verhandlungen mit der IG Metall geht es – wie die Beispiele zeigen – um Sparmaßnahmen. Und immer wieder stehen Drohungen im Raum, die Produktion ins billigere Ausland zu verlagern. Viele Zulieferer machen ernst damit. In einer Umfrage haben ein Drittel der Betriebsräte erklärt, dass in ihrem Unternehmen innerhalb der vergangenen fünf Jahre Beschäftigung aufgrund von Verlagerungen abgebaut wurden. Die Studie, die derzeit erstellt wird, wird vom Imu-Institut durchgeführt und von der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung finanziert. Nicht zuletzt der enorme Preis- und Kostendruck treibt Unternehmen in billigere Länder, sagen Experten.

Mit der Verlagerung wollen Zulieferer ihre Kostenprobleme lösen

Das hat auch mit der Besonderheit der Branche zu tun. Auf den ersten Blick wirkt das Geschäftsmodell durchaus komfortabel für die Zulieferer, erläutert Schwarz-Kocher. Hat ein Unternehmen einen der begehrten Aufträge eines Herstellers für sich ergattert, ist normalerweise ein Teil seiner Produktion für die nächsten sieben, acht Jahre ausgelastet – solange läuft im Schnitt ein Modellzyklus und damit ein Auftrag. Das Geschäft ist relativ gut planbar, denn der Zulieferer kennt in etwa die Stückzahlen, die sein Kunde abnehmen will. Klingt in der Theorie gut. Doch in der Praxis ist das Modell weit weniger komfortabel für die Zulieferer.

Nicht nur dass die Abrufe immer kurzfristiger kommen und damit schlechter planbar sind. Der Autobauer will zudem seinen Anteil an möglichen Produktivitätsfortschritten abhaben und schreibt konkrete jährliche Abschläge gleich in die Verträge rein – egal ob der Zulieferer die Fortschritte schafft oder nicht. Damit nicht genug: will ein Zulieferer einen Folgeauftrag haben, muss er weitere Abschläge in Kauf nehmen. Häufig unterschreibe ein Autohersteller einen fertig ausgehandelten Folgeauftrag erst, so der Imu-Chef, wenn der Zulieferer ihm einen Nachlass in Millionenhöhe auf den Altvertrag einräumt. Gängig seien auch Online-Auktionen – wer das niedrigste Angebot abgibt, erhält den Zuschlag. Die Folge: An rund der Hälfte der deutschen Produktionsstandorte wird eine unterdurchschnittliche Rendite erzielt; in vielen Werken wird gar mit Verlust gearbeitet, erklärt Schwarz-Kocher.

Nicht zuletzt mit den billigeren Löhnen in Mittel- und Osteuropa wollen die Zulieferer ihre Kostenprobleme lösen. Zahlen belegen den Trend: Rund 40 Prozent der Beschäftigten arbeiten für die Zulieferer bereits von Osteuropa aus, hat Imu herausgefunden. Liegt es am Trend, dass Zulieferer ihre Werke neben denen der Autobauer errichten? „Nein“, sagt Schwarz-Kocher. „Es kann nicht sein, dass die Zulieferer den Herstellern gefolgt sind“. Denn dann müssten ja auch die Hersteller einen Großteil ihrer Belegschaften in diesen Ländern haben, argumentiert er. Das sei aber nicht der Fall. Lediglich elf Prozent der Mitarbeiter der Hersteller befinden sich in Ost- und Mitteleuropa. „Verlagerungen sind immer noch ein Thema“, so Schwarz-Kocher und widerspricht damit dem Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung (ISI). Doch der massive Aufbau in Osteuropa habe sich in den vergangenen Jahren geräuschlos vollzogen, sagt der Imu-Chef. Die Werke wurden meist in den 1990er errichtet, nun werden sie schlicht ausgebaut.

Hiesige Werke werden zu Innovationswerken ausgebaut

Fraunhofer hat einen anderen Trend ausgemacht. „Verlagerungsaktivitäten deutscher Unternehmen auf dem Tiefstand“, steht über einer in regelmäßigen Abständen erscheinenden Studie, die nicht nur die Zulieferer, sondern die gesamte Industrie umfasst. Die jüngste ist aus dem Jahr 2013. „Insgesamt scheinen die Vorteile kostenorientierter Verlagerungsaktivitäten in Niedriglohnländer immer mehr zu schwinden“, ist dort nachzulesen. Der Höhepunkt der „Verlagerungswelle“ habe es Mitte des vergangenen Jahrzehnts gegeben, seitdem gehe es stetig zurück. Derzeit erstellt das ISI eine neue Untersuchung, die Anfang 2017 heraus kommen soll. An dem Trend habe sich aber nichts geändert, verraten die Karlsruher.

Die Verlagerungen treiben Schwarz-Kocher keine Sorgenfalten auf die Stirn – obwohl die Qualifikation der Mitarbeiter in den osteuropäischen Werken mit der in Deutschland vergleichbar sei. Und auch bei der Produktion gebe es keine großen Unterschiede. Denn: „Osteuropa ist wichtig für den Erhalt der deutschen Standorte“, sagt er. Sein Kredo: Die hiesigen Werke müssen zu Innovationswerken ausgebaut werden. Viele Zulieferer hätten das Konzept realisiert. Aber: „Wir haben noch Potenzial nach oben“, so Schwarz-Kocher. Denn nur wenn hierzulande neue Produktlinien in Serie anlaufen, könnten mögliche Störungen schnell behoben werden. Deshalb dürften Innovationswerke nicht an Kennzahlen wie Gewinn gemessen werden. „Teilweise stellt sich erst nach einigen Jahren heraus, ob ein Produkt erfolgreich ist oder nicht“, so Schwarz-Kocher. In einem Mix aus teureren inländischem und preiswerteren ausländischen Werken stimme die Rendite dann wieder.