Beschäftigte in den Logistikzentren Bad Hersfeld und Leipzig könnten bald die Arbeit niederlegen. Die Gewerkschaft Verdi forciert die Tarifauseinandersetzung mit dem US-Konzern.

Leipzig - Wer in den nächsten Tagen etwas beim Versandriesen Amazon bestellt, muss sich möglicherweise auf längere Lieferzeiten einstellen. Die Belegschaft im Leipziger Versandzentrum von Amazon hat am Freitag Streiks angekündigt. Zuvor hatten sich bei einer Urabstimmung 97 Prozent der Gewerkschaftsmitglieder, immerhin 520 von insgesamt 2000 Mitarbeitern, für den Arbeitskampf ausgesprochen. Und dieser Ausstand soll möglichst viel Aufsehen erregen, um auch die Kollegen an den übrigen sechs deutschen Amazon-Standorten zum Nachahmen zu motivieren. „Zu streiken und keiner kriegt es mit, dass wäre ein bisschen blöd“, sagte der zuständige Verdi-Sprecher Jörg Lauenroth-Mago.

 

Wann und in welchem Umfang es zu Arbeitsniederlegungen kommen soll, ließ die Gewerkschaft zunächst noch offen: „Wir werden genau überlegen, wie wir am treffsichersten sein können“, sagte Lauenroth-Mago, der mit „harten Auseinandersetzungen“ rechnet. Geplant würden sowohl ganz- als auch mehrtägige Streiks. Verdi setzt auf eine großen Beteiligung der Belegschaft, auch unter den Leiharbeitern, die in den kommenden Tagen über ihre Rechte informiert werden sollen. In Leipzig sind 1200 Festangestellte und 800 Leiharbeiter tätig. Bundesweit beschäftigt der US-Internethändler 9000 Menschen.

Die Gewerkschaft fordert einen Mindestlohn von 10,66 Euro

Oberstes Ziel des ersten Arbeitskampfes bei Amazon in Deutschland ist die Anhebung der Löhne für die Beschäftigten. „Wir werden nicht locker lassen, bis wir einen vernünftigen Tarifabschluss haben“, so der Gewerkschaftssprecher. Die im Tarifvertrag für den Versand- und Einzelhandel festgelegte Untergrenze von 10,66 Euro Stundenlohn müsse auch für Amazon-Mitarbeiter gelten. Dieser Mindestlohn soll nach einem Jahr auf 11,39 Euro steigen. Außerdem verlangt die Gewerkschaft ein tarifliches Urlaubs- und Weihnachtsgeld sowie Zuschläge für Arbeiten nach 20 Uhr. Derzeit verdienen Einsteiger bei Amazon in Leipzig 9,30 Euro pro Stunde, wer zwei Jahre dabei ist, bekommt 10,57 Euro. Zuschläge gibt es erst ab Mitternacht.

Laut Verdi gibt es bisher an keinem der sieben deutschen Standorte eine Tarifbindung. Amazon orientiert sich nach eigenen Angaben an den Tarifen der Logistikbranche, die unter denen des Versandhandels liegen. „Mitarbeiter der deutschen Logistikzentren liegen mit ihrem Einkommen am oberen Ende dessen, was in der Logistikindustrie üblich ist“, erklärte eine Sprecherin des Unternehmens. Die Gewerkschaft weist jedoch entschieden darauf hin, dass Amazon ein Versandhändler und kein Paketdienst sei. „Amazon ist immerhin der Marktführer, die können sich nicht irgendeinen Tarif aussuchen“, sagt Lauenroth-Mago. „Dass wäre, als würde VW sagen: ‚Wir sind ein Zulieferer’.“

In Bad Hersfeld könnte es schon am Dienstag Warnstreiks geben

Auch am größten Logistikstandort von Amazon im hessischen Bad Hersfeld könnte die Belegschaft bald die Arbeit niederlegen. Zwar habe es hier noch keine Urabstimmung gegeben, teilte die Gewerkschaft mit. Der zuständige Gewerkschaftssekretär Heiner Reimann rechnet aber nicht mit einem Durchbruch bei den Verhandlungen mit dem Arbeitgeber am kommenden Montag. „Wenn es genau so fruchtlos läuft wie in Leipzig, werden wir am Dienstag in den Warnstreik treten“, kündigt Reimann die erste Aktion an. In den beiden Werken in Bad Hersfeld arbeiten insgesamt 3700 Menschen.

Der hessische Standort war zuletzt im Februar bundesweit in die Schlagzeilen geraten, nachdem eine Dokumentation der ARD über schlechte Arbeitsbedingungen für ausländische Leiharbeiter in der Weihnachtszeit berichtet hatte. Die Beschäftigten seien zudem von Mitarbeitern eines Sicherheitsdienstes schikaniert worden, der Verbindungen zur rechtsradikalen Szene haben soll. Nach einer breiten Protestwelle kündigte Amazon der Sicherheitsfirma. Den Einsatz von Leiharbeitern verteidigte das 1995 gegründete Unternehmen allerdings. Dieser sei zur Überbrückung von saisonalen Engpässen unverzichtbar.