Werden Roma auf dem Balkan politisch verfolgt? Um diese Frage dreht sich ein Streit, der diesen Freitag im Bundesrat auf der Tagesordnung steht. Es geht um das Asylrecht und um die Absicht der großen Koalition, die Regeln für Balkanflüchtlinge zu verschärfen.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Berlin - Werden Roma auf dem Balkan politisch verfolgt? Um diese Frage dreht sich ein Streit, der diesen Freitag im Bundesrat auf der Tagesordnung steht. Es geht um das Asylrecht und um die Absicht der großen Koalition, die Regeln für Balkanflüchtlinge zu verschärfen. Dazu braucht der Bund die Zustimmung der Länderkammer. Dort hat er aber keine Mehrheit. Eine Schlüsselrolle kommt deshalb den Grünen zu. Mindestens ein Land, in dem sie mitregieren, müsste das verschärfte Asylrecht billigen, damit es für eine Mehrheit reicht. Doch bis Donnerstagabend gab es keine Einigung.

 

Die Novelle sieht vor, die Balkanstaaten Serbien, Mazedonien sowie Bosnien und Herzegowina zu sicheren Herkunftsländern zu erklären. Von dort kommen jährlich tausende von Flüchtlingen nach Deutschland, fast ausschließlich Roma. Im ersten Quartal 2014 wurde jeder fünfte Asylantrag von einer Person dieser Herkunft gestellt. Für sie sind die Chancen, hier bleiben zu dürfen, aber minimal. Die zuständigen Gerichte erkennen nur in Einzelfällen Asylgründe an. Roma werden auf dem Balkan zwar häufig diskriminiert, nach Ansicht der großen Koalition und vieler Experten aber nicht politisch verfolgt.

Grüne wollen Residenzpflicht kippen

Das sehen aber nicht alle so. Die Hilfsorganisationen Pro Asyl und Amnesty International haben sich am Donnerstag erneut vehement gegen die geplante Asylrechtsnovelle ausgesprochen. „In den Balkanstaaten sind Minderheiten weitgehend schutzlos rassistischen Übergriffen ausgesetzt, Homosexuelle werden diskriminiert und angegriffen“, heißt es in einer Stellungnahme. „Ausgrenzung und Diskriminierung von Roma in den Balkanstaaten haben eine derartige Dimension, dass sie existenz- und lebensgefährdend sein können.“ Das umstrittene Gesetz „würde diese inakzeptable Praxis festschreiben und die Menschenrechtslage in den Westbalkanstaaten verharmlosen“, sagte Selmin Çalıskan, Generalsekretärin der deutschen Sektion von von Amnesty International.

Die Grünen sollten dazu bewogen werden, das verschärfte Asylrecht zu akzeptieren, weil mit dem gleichen Gesetzespaket Asylbewerbern und geduldeten Ausländern der Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt erleichtert würde. So ist geplant, die Sperrfrist, während der Asylbewerber nicht arbeiten dürfen, von einem Jahr auf drei Monate zu verkürzen. Der Geschäftsführer von Pro Asyl, Günter Burkhardt, warnt jedoch: „Das Recht auf Asyl darf nicht zur Verhandlungsmasse werden.“

Die Grünen fordern einen höheren Preis. So soll zum Beispiel auch die so genannte Residenzpflicht generell aufgehoben werden, wie es in Baden-Württemberg bereits geschehen ist. Asylbewerber dürfen sich sonst vielerorts nur in den Städten oder Kreisen aufhalten, in denen ihre Unterkunft ist. Bundesländer, in denen die Grünen regieren, verlangen zudem, dass der Bund die Kosten des Unterhalts der Asylbewerber komplett übernimmt. Um diese Konditionen wurde am Donnerstag bis in die Nacht gerungen. Es wurde in den Verhandlungsdelegationen auch nicht ausgeschlossen, dass die Streitfrage vertagt oder an den Vermittlungsausschuss überwiesen wird.

Grünen-Chef will „lösungsorientiert arbeiten“

Der Grünen-Bundesvorsitzende Cem Özdemir betonte allerdings im TV-Sender Phoenix, dass seine Partei grundsätzlich zu einem Kompromiss durchaus bereit sei: „Wenn die Regierung bereit ist, die Sache ideologiefrei anzugehen und lösungsorientiert zu arbeiten, werden wir uns Lösungen sicher nicht verschließen“, sagte er.

Im Zusammenhang mit dem Konflikt um das Asylrecht wurde auch Kritik am Chef des Kanzleramts, Peter Altmaier (CDU), laut. Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) sagte, es sei „ärgerlich“, dass die Sommerpause nicht wie geplant dazu genutzt worden sei, Möglichkeiten einer Einigung zwischen den Grünen und der Bundesregierung auszuloten. Ähnlich äußerte sich auch der baden-württembergische Bundesrats-Minister Peter Friedrich. Er teile Weils Kritik uneingeschränkt, sagte der sozialdemokratische Politiker. Altmaier habe „zum Jagen getragen“ werden müssen. Dem Unterhändler der Bundesregierung wird unterstellt, er habe auf eine Veränderung der Kräfteverhältnisse im Bundesrat in Folge der Landtagswahlen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen spekuliert.