Bei einer Tagung in Hohenheim kommen christliche und muslimische Frauen ins Gespräch und schauen zugleich über den Tellerrand hinaus.

Hohenheim - Über das muslimische Kopftuch als Symbol der Rückständigkeit und Unterdrückung wird viel diskutiert. Feministinnen, darunter auch muslimische, kämpfen gegen die Verschleierung des weiblichen Körpers an. Die Entschleierung in der westlichen Welt wird auf der anderen Seite häufig übergangen, sagt die Akademiedirektorin Verena Wodtke-Werner. „Unser westliches Schönheitsideal haben Männer erfunden und ist alles andere als selbstbestimmt.“ Es stelle ein idealisiertes und entindividualisiertes Konzept dar. Könne daher anstelle der Enthüllung nicht auch der Schleier als Ausdruck für ein emanzipiertes weibliches Selbstbewusstsein stehen?, fragt daher Wodtke-Werner.

 

„Selbstachtung und Selbstausdruck von christlichen und muslimischen Frauen“ hieß der Untertitel der Veranstaltung „Verschleiern und Entschleiern“, die am Samstag im Tagungszentrum Hohenheim stattfand. Das Thema entstand auf Vorschlag muslimischer Frauen im Referat Interreligiöser Dialog.

Freier dank Kopftuch

Nahezu alle Musliminnen tragen das Kopftuch aus religiöser Überzeugung, wie Svenja Adelt, Doktorandin an der Technischen Universität Dortmund, in einer Studie belegt. 22 von 54 befragten Frauen möchten nach außen zeigen, dass sie Muslimin sind. „Die Frauen verfügen also über Selbstbewusstsein und Sendungsbewusstsein,“ sagt Adelt. Doch das Thema religiöse Verschleierung dreht sich um mehr als das Kopftuch, wie die Podiumsdiskussion deutlich machte. Claudia Maria Mühlherr, Franziskanerin im Kloster Sießen, symbolisiert mit ihrem Nonnenkleid ihre Zugehörigkeit zu Gott. Oft werde sie aufgrund ihrer Kleidung angesprochen. Muslimin Sevil Kantarci setzte ihr Kopftuch erstmals mit 18 Jahren auf. „Unter uns Mädchen gab es damals Rivalitäten. Mit dem Kopftuch hatte ich endlich meine Ruhe, ich fühlte mich freier.“ Auch gebe es in der muslimischen Welt nachweisbar weniger Fälle von Magersucht und Bulimie.

Journalistin: Ich bin keine Islam-Infosäule

Anders erging es Gökcen Tamer-Uzun, Lehrerin für islamischen Religionsunterricht: „Ich habe das Kopftuch mit 19 Jahren ausprobiert, es war ein Horrortag.“ Die blonde Frau sucht das Gespräch. „Viele Leute sind überrascht darüber, dass man auch ohne Kopftuch gläubig sein kann.“ Im Grunde aber sei es egal, was andere sagten, „denn schlussendlich legen wir Rechenschaft vor Gott ab.“ Religiöse Kleidung kann auch Schutz bieten, weiß die evangelische Pfarrerin Claudia Stefanie Henger. „Mein Talar hilft mir, mich im Amt nicht von persönlichen Gefühlen leiten zu lassen.“ Heidi Josua ist evangelische Religionspädagogin und leitet mit ihrem Mann, einem arabischen Pfarrer, mehrere evangelisch-arabische Gemeinden. „In den arabischen Ländern tragen christliche Männer und Frauen ein tätowiertes Kreuz am Handgelenk,“ sagt Josua. „Ich fand es beeindruckend, so zu seiner Identität zu stehen.“ Seitdem trägt Josua eine Halskette mit einem Kreuz. „Bevor man mit jemandem spricht, definiert man ihn über sein Äußeres. Mit dem Kreuz zeige ich, wo ich hingehöre.“

Dass Identitäten stark von der Außenwelt geprägt sind, machte die Journalistin Kübra Gümüsay aus Oxford deutlich: „Viele Rollenbilder werden uns zugeschrieben, das sind nicht wir.“ Ein typisches Phänomen sei, dass man als Muslim nur noch auf den Islam angesprochen und zu einer „Islam-Infosäule“ werde. Dadurch würde man auch unter Muslimen vermehrt über den Islam reden, was zu den Parallelgesellschaften führe. „Doch wir alle in Deutschland leben in sehr vielen Parallelgesellschaften“, sagt die 23-Jährige. Das Problem sei nur, dass man mit Kopftuch mehr auffalle. Man müsse mehr über den Tellerrand schauen und mit fremden Leuten reden.

Die Vorträge sowie die zahlreichen Anmerkungen aus dem Publikum machten deutlich: Auch innerhalb von Glaubensgemeinschaften gibt es verschiedene Ansichten.Ob sich jemand verschleiert oder entschleiert, darin waren sich die Teilnehmerinnen einig, sollte eine freiwillige Entscheidung einer jeden Frau sein.