Im Berufsverkehr gibt es Verspätungen auf der ganzen Linie: Für den Verband Region Stuttgart ist die „Pünktlichkeit der S-Bahnen absolut unbefriedigend“. Fachleute verwundert das Fahrplan­desaster überhaupt nicht.

Stuttgart - Stuttgarts neuer Oberbürgermeister Fritz Kuhn will die Verkehrswende schaffen: Ein Fünftel der Pendler soll von der Straße auf die Schiene umsteigen. Doch ebenda gilt im Berufsverkehr das Prinzip Ölsardine: Die S-Bahnen sind morgens und abends proppenvoll und unpünktlicher als jemals zuvor: „Seit den Entgleisungen im Hauptbahnhof ist der S-Bahn-Betrieb massiv gestört“, sagt der grüne Regionalrat Mark Breitenbücher. Seine Fraktion hat in der Regionalversammlung beantragt, dass die Bahn sich zu den „täglichen Verspätungen auf der Stammstrecke zwischen Schwabstraße und Hauptbahnhof“ äußert. „Eine Antwort erhalten wir und viele verärgerte S-Bahn-Fahrgäste aber erst im Januar“, kritisiert der Regionalrat. Dann müsse die Bahn auch plausibel erklären, mit welchen Maßnahmen sie in Zukunft einen pünktlichen S-Bahn-Fahrplan für die täglich mehr als 330 000 Fahrgäste garantieren werde.

 

Beim Reizthema S-Bahn zieht auch Jürgen Wurmthaler, der Verkehrsdirektor des Verband Region Stuttgart (VRS), die Stirn in Falten. „Die Pünktlichkeit der S-Bahnen ist absolut unbefriedigend, so darf es nicht bleiben.“ Die Bahn müsse im Berufsverkehr einen stabilen 15-Minuten-Takt auf allen sechs Linien gewährleisten.

Fahrplankonflikte häufen sich

Fachleute verwundert das Fahrplandesaster allerdings überhaupt nicht. Denn auf dem Hauptbahnhof sei nach drei Zugentgleisungen nicht nur das Gleis 10 gesperrt. Auch das Gleis 8 sei nur noch stark eingeschränkt benutzbar, weil dort ein Pfeiler stehe, um das nach dem Abbruch des Südflügels einsturzgefährdete Bahnhofsdach zu stützen. „Deshalb kommen sich S-Bahnen, Fern- und Regionalzüge andauernd in die Quere“, erklärt ein Bahnbetriebsfachmann. „Und bei diesen sich häufenden Fahrplankonflikten müssen immer die S-Bahnen zurückstecken.“

Zu dieser Erklärung passt auch Wurmthalers Aussage, dass von der Bahn für „den S-Bahn-Verkehr zugesagte Gleise auf dem Vorfeld des Hauptbahnhofs nicht zur Verfügung stehen“. Auch diesen Missstand müsse die Bahn unbedingt wieder rasch ins Lot bringen. Den Andrang im Berufsverkehr will Wurmthaler „mit mehr Langzügen auffangen, die mehr Fahrgäste befördern können“.

„Die Pünktlichkeit der S-Bahn hat nachgelassen“, räumt ein Bahnsprecher ein. Dieser Umstand hänge mit den vom Eisenbahnbundesamt verhängten Gleissperrungen auf dem Hauptbahnhof zusammen. „Da mehr Fern- und Regionalzüge auf S-Bahn-Gleisen fahren müssen, ist der Fahrplan anspruchsvoll und sehr sensibel.“

Umbau der Signaltechnik

Für Experten aus der Praxis des Bahnbetriebs gibt es aber noch mehr Probleme, die das S-Bahn-System beeinträchtigen. „Die Aufenthaltszeiten an den Stationen, vor allem in der Stadtmitte und im Hauptbahnhof, sind zu lang, um einen sicheren 15 Minuten-Takt im Berufsverkehr zu gewährleisten.“ Das Problem werde sich von 2013 an durch die neuen S-Bahnen vom Typ ET 430 verschärfen. Diese Bahnen hätten Türen, die von Nachzüglern von außen immer wieder geöffnet werden könnten.

Zu Beeinträchtigungen dürfte auch die wegen Stuttgart 21 erforderliche Umstellung des S-Bahn-Betriebs auf ein elektronisches Stellwerk führen. „Der Umbau der Signaltechnik, der im Tunnel nur nachts und an Wochenenden möglich ist, kann bis zu einem Jahr dauern“, sagt ein Fachmann. „Die Behinderungen für die Fahrgäste werden so gering wie möglich gehalten“, sagt die Bahn. Die Detailplanung für das elektronische Stellwerk sei erst 2016 oder 2017 vorgesehen. Dafür stünden innerhalb des S-21-Kostenrahmens von 4,5 Milliarden Euro „etwa elf Millionen Euro“ zur Verfügung. Ob das reicht, lässt die Bahn offen: „Die endgültigen Kosten werden auf Basis detaillierter Ausführungspläne erst nach der Vergabe bekannt sein.“

Inzwischen hat die Bahn öffentlich Überlegungen eingeräumt, den S-Bahn-Betrieb weiterhin mit dem über 30 Jahre alten Relaisstellwerk am Hauptbahnhof zu steuern. Dieser Plan ist aber nicht mit dem S-21-Planstellungsbeschluss vereinbar. Darin ist festgelegt, dass das alte Stellwerk durch ein elektronisches Pendant im neuen Technikgebäude ersetzt wird.